Zulieferer: Warum so viele Standorte bedroht sind

Der Druck auf die Zulieferindustrie ist derzeit so groß wie nie. Bei kleineren Unternehmen wie zuletzt dem Sitzhersteller Recaro häufen sich die Insolvenzen. Bei den großen Konzernen steht in den nächsten Jahren ein Stellenabbau an, den es in dieser Größenordnung seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat.

Ein Problem dabei, das mitunter weniger beachtet wird: Kaum eine Branche verfügt über eine solch zersplitterte Werkslandschaft. So kommen allein die vier großen Zulieferer Bosch, Conti, ZF und Mahle zusammen auf mehr als 200 Standorte in Deutschland. In manchen Werken sind weniger als hundert Mitarbeiter beschäftigt.

Derzeit spüren die Zulieferer am heftigsten den Strukturwandel in der Autoindustrie. Ihre Kompetenzen aus der Verbrennerzeit sind weniger gefragt. Investitionen in die batterieelektrische Zukunft wurden zwar getätigt, zahlen sich jedoch bislang kaum aus. Dadurch werden auch die über Jahre gewachsenen Strukturen zum Problem – und Standorte in Frage gestellt. 

„Die Strukturen entstanden oft durch sukzessive Erweiterungen und Zukäufe, die über Jahrzehnte hinweg getätigt wurden“, sagt Markus Wambach, Automotive-Experte und COO bei der Strategieberatung MHP.

Oftmals hätten regionale, lokale und finanzielle Gründe sowie auch gesellschaftspolitische Anreize im Vordergrund dieser Entscheidungen gestanden. Eine durchgängige, globale Strategie war meist eher zweitrangig. Dies führt zu hoher Komplexität in der Betriebsführung, da jedes Werk individuelle Prozesse, Systeme und Kulturen entwickelt hat.

Die kleinteilige Produktionslandschaft macht den Zulieferern zunehmend zu schaffen, da sie am Standort Deutschland mit hohen Personalausgaben und teurem Strom im globalen Wettbewerb ohnehin schon benachteiligt sind.

„Die Fragmentierung erschwert die Standardisierung und Harmonisierung von Abläufen, was wiederum die Skaleneffekte reduziert und die Gesamtkosten in die Höhe treibt“, sagt Wambach.

Hinzu komme, dass die Koordination und Steuerung über mehrere Standorte hinweg Ressourcen binde und die Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen verlangsamt. „Diese Faktoren machen es für die Zulieferer schwieriger, flexibel und wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Zum Teil haben die Unternehmen schon reagiert. So hat beispielsweise Conti beschlossen, seine Werke in Wetzlar und Schwalbach bis Ende 2025 zu schließen. Das Elektronikwerk im hessischen Karben will der Konzern Ende 2025 auslaufen lassen.

Ursprünglich sollte das Werk bereits Ende 2023 geschlossen werden. Nachdem die Produktion in Damme schon beendet wurde, macht ZF den Standort im Gelsenkirchener Stadtteil Schalke bis Ende des Jahres dicht, das Werk im nordrhein-westfälischen Eitorf soll spätestens Ende 2027 geschlossen werden.

In einem Gespräch mit der Automobilwoche hatte ZF-Vorstand Peter Holdmann erklärt, „dass Eitorf wohl das letzte Werk in Deutschland ist, in dem überhaupt noch Stoßdämpfer produziert werden. Zahlreiche Wettbewerber hätte es schon vor etlichen Jahren nach Rumänien und in andere osteuropäische Länder gezogen.

„Standardstoßdämpfer sind Commodities, für die es Weltmarktpreise gibt. Mit Kostenstrukturen, wie wir sie in Deutschland vorfinden und die wir als Unternehmen nicht beeinflussen können, lässt sich hierzulande mit diesem Produkt kein Geld mehr verdienen“, so der Vorstand.

Bosch hatte jüngst etwa das Aus für das Werk in München bis Ende 2027 beschlossen, weil die Stückzahlen fehlen. Mahle schließt den Standort Gaildorf in Baden-Württemberg bis Ende des Jahres, wo bisher Metallteile wie Stößel oder Nockenwellen für den Verbrenner gefertigt wurden.

Andere Werke wie Freiberg in Sachsen, wo weniger als 100 Mitarbeiter Komponenten für das Thermomanagement herstellten, sind bereits zu.

Dies sind womöglich nur die Vorboten einer großen Konsolidierung in den nächsten Jahren. „Vor dem Hintergrund des enormen Kostendrucks könnte sich die Dynamik noch verstärken“, sagt beispielsweise Frank Göller, Automotive-Experte und Partner der Unternehmensberatung Horvath.

Seine Einschätzung: „Wir sehen, dass die Unternehmen nach wie vor zum Standort Deutschland stehen. Angesichts hoher Lohnkosten und Energiepreise kommt es darauf an, jetzt die richtigen Maßnahmen zu treffen und Produktkosten sowie Werksstrukturen zukunftssicher zu machen.“ 

Bei ZF hat CEO Holger Klein im Zusammenhang mit dem Abbau von 14.000 Stellen angekündigt, die Werke zu größeren Verbünden zusammenlegen zu wollen. Der Zulieferer verfügt in Deutschland über 52 Standorte, davon 36 Produktionswerke. Durch die großen Zukäufe der vergangenen Jahre (TRW 2015, Wabco 2020) hat sich laut ZF die Standortstruktur sukzessive vergrößert.

„Sollte sich herausstellen, dass für einzelne Standorte keine langfristige Perspektive gefunden oder deren Wettbewerbsfähigkeit nicht dauerhaft verbessert werden kann, ist auch eine Restrukturierung oder Schließung möglich“, hatte der Zulieferer erklärt. Doch noch hat der Konzern nicht konkretisiert, in welchem Umfang Reduzierungen an welchen Standorten vorgenommen werden sollen.

Vor einem Schrumpfungsprozess steht wohl das Werk für Automatikgetriebe in Saarbrücken mit mehr als 9000 Mitarbeitern. Dort war spekuliert worden, dass rund ein Drittel der Stellen gestrichen werden könnten.

Mit der Montage von E-Antrieben versucht ZF dort gegenzusteuern. Aber es ist klar, dass das nicht reichen wird, da beim Hochlauf der E-Mobilität die Zahl der Getriebe für Verbrennungsmotoren sinken wird.

Die rund 4900 Beschäftigten des Betrieb Z (Verwaltung sowie Forschung und Entwicklung) können zwar vorerst aufatmen. Für sie gibt es eine Jobgarantie bis Juni 2028. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen. Dennoch ist laut eines Unternehmenssprechers ein Stellenabbau bis zu einer Untergrenze von 4150 Mitarbeiter durch Fluktuation oder Renteneintritte weiterhin möglich.

Für die zirka 5500 Produktionsmitarbeiter am Standort Friedrichshafen wurde bereits Ende des Jahres eine Einigung erzielt, in der vor allem Maßnahmen zur Stärkung des Standortes vereinbart wurden. Eine Jobgarantie wurde dabei nicht gegeben.

Gesichert sind die Arbeitsplätze an den vier deutschen Standorten von ZF Lifetec, der ehemaligen Division passive Sicherheit. Dort sind in Summe rund 4000 Mitarbeiter beschäftigt. Für die Standorte in Alfdorf, Aschaffenburg, Aschau und Laage wurde für die Beschäftigten mit dem Unternehmen ein Überleitungstarifvertrag und eine Überleitungsvereinbarung geschlossen.

Um ab dem Jahr 2025 jährlich 400 Millionen Euro einzusparen, verschlankt der Continental-Unternehmensbereich Automotive seine Geschäfts- und Verwaltungsstrukturen. Weltweit sind davon 5400 Stellen betroffen.

„Bis zum 30.06.2024 haben wir im Unternehmensbereich Automotive weltweit mehr als 2800 der avisierten 7150 Stellen abbauen können, ein Großteil davon in Deutschland“, erklärte der Zulieferer auf Anfrage.

In Deutschland verfügt Continental über 50 Standorte, davon rund 25 Produktionswerke. Der Automotive-Bereich soll wie berichtet nach der Restrukturierung bis Ende 2025 an die Börse gebracht werden.

Zudem will der Konzern in der Forschung und Entwicklung effizienter werden. In Summe strebe das Unternehmen an, die Forschungs- und Entwicklungskosten im Vergleich zum Umsatz (R&D-Quote) bis 2028 auf neun Prozent zu reduzieren.

Um dies zu erreichen, werde Continental bis spätestens Ende 2025 eine Reihe der derzeit 82 Entwicklungsstandorte „verschlanken“. Unter anderem werden Entwicklungseinheiten gebündelt, um diese besser auszulasten. Von den Maßnahmen sind bis Ende 2025 weltweit rund 1750 Stellen betroffen. Davon entfallen 380 auf die Software-Tochter Elektrobit.

Bosch hat zwar den Abbau von rund 3000 Stellen im Mobility-Bereich angekündigt, allerdings sind damit zunächst keine Konsolidierungen in der Werkslandschaft verbunden. Der Zulieferer verfügt in Deutschland im Mobility-Bereich schätzungsweise über rund 45 Standorte, 20 davon sind Produktionswerke.

Vielmehr trifft es nur einzelne technologische Bereiche wie etwa Cross-Domain Computing Solutions, wo Entwickler am autonomen Fahren arbeiten. Am traditionsreichen Standort Feuerbach, wo hauptsächlich Antriebskomponenten hergestellt werden, konnte die Zahl der abzubauenden Stellen von 1250 auf 950 reduziert werden. Zukunftsprodukte im Thermomanagement sollen für bessere Auslastung sorgen.

Im vergangenen Jahr hatte die Unternehmensleitung des Mobility-Bereichs mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung getroffen, die neben dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen für die rund 80.000 Beschäftigten bis Ende 2027 auch die Erstellung von sogenannten Zielbildern für die einzelnen Standorte vorsieht.

Darin soll definiert werden, wie die Werke mit welchen Produkten in den nächsten Jahren ausgelastet werden können. Klar ist aber auch, dass mit sinkenden Mitarbeiterzahlen weitere Werke in Gefahr sind, weil sich ein Betrieb dann nicht mehr lohnen könnte.

"Um uns zukunftsfähig aufzustellen, passen wir unsere Aktivitäten in den verschiedenen Unternehmensbereichen kontinuierlich an die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an – dies gilt auch für unseren globalen Entwicklungs- und Fertigungsverbund", so ein Bosch-Sprecher auf Anfrage.

"Auch den Zielbildprozess für die deutschen Mobility Standorte führen wir jährlich durch, um uns gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern einen Überblick über aktuelle Marktgegebenheiten zu verschaffen und uns daran anpassen zu können."

Beim Stuttgarter Zulieferer Mahle ist es das erklärte Ziel von CEO Arnd Franz, die Werke in Zukunft effizienter aufzustellen und Kosten zu senken. „Derzeit produzieren wir an weltweit 152 Standorten. Es gibt keine Zielgröße, aber wir werden die Zahl reduzieren“, sagte er im Gespräch mit der Automobilwoche vor der IAA im vergangenen Jahr.

Der Trend gehe eindeutig zu größeren Standorten. Wann hier die Entscheidung über eine Restrukturierung fällt, ist noch offen. Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern seien noch nicht abgeschlossen, sagte eine Mahle-Sprecherin.

Im Rahmen einer Betriebsvereinbarung hatte Mahle den rund 10.500 Beschäftigten in Deutschland eine Jobgarantie bis Ende 2025 gegeben. Parallel sollten für die einzelnen Standorte Zukunftskonzepte erarbeitet werden. Entschieden werde markt- und standortspezifisch.

Wichtig sei die Industrialisierungskompetenz, betont Franz. Als Beispiel für kombinierte Linien nennt der CEO Kunststoffprodukte wie Klimaanlagen oder Ansaugsysteme. Auch in den Kunden- und Lieferantenbeziehungen müsse die Effizienz steigen. Bei einem gesunden Produktmix könnten so auch Schwankungen bei den Stückzahlen besser abgebildet werden.

Neben der Größe zählt bei den Standorten der Zukunft also vor allem Variabilität. „Flexible Produktionsstätten bieten die Möglichkeit, verschiedene Produkte auf denselben Linien herzustellen, was die Umstellung auf unterschiedliche Produktionsvolumina erleichtert“, sagt Experte Wambach.

Dies sei besonders wichtig in einem Umfeld, in dem Nachfrage und Produktionsmengen stark schwanken können. Durch die Zentralisierung von Produktionskapazitäten an einem oder wenigen Standorten könnten Zulieferer nicht nur ihre Kostenstruktur optimieren, sondern auch ihre Innovationsfähigkeit steigern, da der technologische Fortschritt leichter und schneller umgesetzt werden kann​. Zu beachten seien allerdings möglicherweise längere Transportwege und die höhere Gefahr eines Komplettausfalls.

Ebenso wichtig dürfte werden, dass Zulieferer die Prozesse in den Werken optimieren. Dabei seien ein hoher Automatisierungsgrad und die möglichst vollständige digitale Vernetzung entscheidend, um die Kosten zu senken.

Ein weiterer Hebel ist das Produktdesign. „Durch die Standardisierung von Bauteilen und die Reduktion der Anzahl von Komponenten kann die Produktion vereinfacht und die Komplexität reduziert werden“, so Wambach. Dies führe nicht nur zu geringeren Herstellungskosten, sondern auch zu einer verbesserten Effizienz in der Logistik und Montage.