Start-up Arnold NextG: Wunderbox für das autonome Fahren

An Selbstbewusstsein mangelt es Kevin Arnold nicht. Trotz seines jugendlichen Aussehens wirkt der 24-Jährige im Gespräch wie der erfahrene CEO eines großen Unternehmens. Mit dem von seiner Firma Arnold NextG entwickelten Steuergerät NX NextMotion für elektronisches Lenken und Bremsen will er die Fahrzeugindustrie revolutionieren.

„Autonomes Fahren ist nur dann sicher, wenn das Fahrzeug selbstständig und intelligent agieren kann – und genau das macht unser System besser als alle anderen auf dem Markt“, sagt er.

Das 2021 von Kevin Arnold und seinem Bruder Luca gegründete Unternehmen hat seinen Sitz am Rande von Pfronstetten-Aichelau auf der Schwäbischen Alb, rund eine Autostunde von der Landeshauptstadt Stuttgart entfernt.

Wer dorthin will, fährt über Straßen ohne Mittelstreifen, passiert Pferdekoppeln und hübsche Dorfkirchen. Mehr als 60 Mitarbeiter sind fest angestellt, nochmals so viele arbeiten extern zu. Jeder kennt hier jeden, Gäste werden ohne Umschweife geduzt. Es herrscht eine umtriebige Atmosphäre.

Das Gelände ist auch Sitz der Firma Paravan, mit dem Vater Roland Arnold bekannt wurde. In der Werkstatt werden 800 Fahrzeuge jährlich umgebaut, um behinderten Menschen Mobilität zu ermöglichen. Neben dem Verwaltungsgebäude ist Baustelle.

Hier entsteht eine Akademie, um die Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren bekannter zu machen. Gerade bespricht Arnold mit dem Wanddesigner Details.  „Wir haben uns im Stil an den Eventlocations der Motorworld orientiert“, sagt er.

Auch seine private Autosammlung inklusive AMG One steht hier, die gut und gern 15 Millionen Euro wert sein dürfte. Ein ausgemusterter Tornado der Bundeswehr auf dem Hof symbolisiert die Firmenphilosophie, wonach Entscheidungen immer schnell getroffen werden sollen.

Obwohl Arnold NextG ein junges Unternehmen ist, starten die beiden Brüder mit einer Menge Erfahrung. Das liegt an ihrem Vater, der praktisch als Nebenprodukt seiner Vision von behindertengerechter Mobilität das System Space Drive entwickelt hat. Autos lassen sich damit per Joystick elektronisch steuern, keine Mechanik ist mehr im Spiel.

Das Drive-By-Wire-System muss wegen der körperlichen Einschränkungen der Fahrer zu jedem Zeitpunkt absolut zuverlässig funktionieren. 2003 erfolgt die weltweit erste Straßenzulassung. Bis heute haben 15.000 Fahrzeuge über zwei Milliarden Kilometer abgespult. Das kann kaum einer der Branchengiganten vorweisen.

Es dauert nicht lange, bis die Autoindustrie das Potenzial der Technologie erkennt. Erste Industrieaufträge folgen, später konstruiert Arnold Messe-Showcars wie den Future Van von Mercedes oder den BMW Next100, die ohne Fahrer auf die Bühne rollen.

Die CEOs der großen Autohersteller sowie von Bosch, ZF, Conti, Schaeffler oder Mahle kommen reihenweise auf die Schwäbischen Alb, um sich zu informieren ­ ­- meist werden sie verwöhnt mit schwäbischen Spezialitäten von Arnolds Ehefrau Martina.

Auch Vertreter von Google und Apple wollen wissen, wie Space Drive als Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren funktioniert. So ist es nachzulesen in Arnolds frisch erschienener Autobiografie.

Nach vielen Gesprächen mit potenziellen Investoren verkauft Arnold 2015 seine Firma schließlich an den Würth-Konzern, um Space Drive zum Durchbruch zu verhelfen. Mit Reinhold Würth, der zuvor schon mit 25 Prozent beteiligt war, verbindet Arnold ein freundschaftliches Verhältnis. In ihm sieht er den idealen Partner, um sein Geschäft groß zu machen.

In der Folge wird sogar ein Robotaxi entwickelt. Doch das Projekt scheitert. Arnold macht die Erfahrung, dass Konzernstrukturen sich mit mittelständischer Agilität schlecht vertragen. Alles geht ihm zu langsam. Am Ende kauft er das Unternehmen von Würth zurück.

Eine Skalierung der Technologie kann nur mit einem großen industriellen Partner gelingen. Das weiß auch Arnold. Und weil das Interesse nach wie vor groß ist, entscheidet er sich 2018 erneut für einen Verkauf. Diesmal bekommt der Zulieferer Schaeffler den Zuschlag, obwohl auch Bosch, Conti oder ZF im Rennen sind.

Arnold gefällt, dass es sich bei Schaeffler ebenfalls um ein Familienunternehmen handelt und sich das Unternehmen auch an Paravan beteiligen will. Arnold ist einer der Geschäftsführer im Joint Venture.

Doch wieder passt der Großkonzern nicht zur hemdsärmeligen Führungskultur des Firmengründers, der die schleppenden Prozesse und die Angst der Mitarbeiter vor Entscheidungen moniert.

Zwar beweist Arnold in dieser Phase gegen alle Widerstände, dass Space Drive sogar im Motorsport eingesetzt werden kann und gründet seine eigene Rennserie. Doch die Zusammenarbeit mit Schaeffler kommt nicht in die Gänge.

„Sie kamen nicht auf den Punkt – und blieben leider häufig Luftnummern“, urteilt Arnold im Rückblick wenig schmeichelhaft. Ihm selbst macht die Situation gesundheitlich zu schaffen. 2022 lässt er sich von Schaeffler auszahlen und geht. Zudem bekommt er Paravan zurück.

Schaeffler selbst steckt weiter viel Geld in die Entwicklung von Space Drive II, kommt aber nicht entscheidend voran und steigt schließlich aus.

Vater Roland darf die Technologie aus Wettbewerbsgründen vorerst nicht weiterverfolgen, doch das gilt nicht für seine Söhne Kevin und Luca. Viele Entwickler sind nach den Erfahrungen mit Schaeffler auf die Schwäbische Alb zurückgekehrt und wollen weitermachen.

Innerhalb von nicht einmal zwei Jahren schaffen sie es, die Grundidee von Space Drive mit Arnold NextG auf eine neue Stufe zu heben.  „Was wir mit NX NextMotion jetzt machen, ist etwas völlig anderes“, betont Kevin Arnold. Auch finanziell ist das Unternehmen unabhängig vom Vater. Wobei der Name durchaus helfe, bei Banken und in der Industrie Türen zu öffnen.

Das neu entwickelte Steuergerät hat die Größe einer flachen Schuhschachtel. Mit den vielen Schnittstellen nach außen lässt sich das System in kurzer Zeit anpassen und ist mit allen Sensoren, die für das autonome Fahren benötigt werden, kompatibel.

„Wir benötigen nahezu keine Daten oder Signale von den Herstellern, damit das System seine Aufgaben erfüllt“, sagt Kevin Arnold. Die Software dafür wurde komplett selbst entwickelt. Zwar ist der Firmenchef als gelernter Mechatroniker kein Experte auf diesem Gebiet. Das sieht er aber sogar als Vorteil, weil er so leichter die richtigen Fragen stellen könne.

Das Steuergerät übernimmt sämtliche Aufgaben für Lenkung und Bremsen. Zwei unabhängige Systemstränge mit insgesamt 16 Rechenkernen garantieren, dass selbst bei einem Ausfall alle sicherheitskritischen Funktionen weiter ihren Dienst verrichten.

Vor jeder Fahrt überprüft das System seine fast 5000 Komponenten auf Fehlerfreiheit. Redundanz. Sicherheit und Verfügbarkeit seien der Schlüssel für das autonome Fahren. „Das System funktioniert zuverlässig bei allen Witterungsverhältnissen und jedem Fahrbahnuntergrund“, betont Kevin Arnold.

Damit ist das Drive-by-Wire-System nicht nur für die Serie geeignet, sondern auch für die Nachrüstung von Flotten – ob in normalen Autos oder Traktoren auf dem Feld, Minenfahrzeuge oder autonome Shuttles im öffentlichen Nahverkehr.

Gerade laufen die letzten Tests, die Marktreife soll noch im ersten Quartal 2025 erreicht sein. Die Straßenzulassung ist bereits erfolgt. Beim Start-up-Wettbewerb der Automobilwoche in Berlin schaffte es Arnold NextG mit seiner Innovation kürzlich auf den zweiten Platz.

Während Arnold NextG in vielen Entwicklungs- und Industrieprojekten engagiert ist, kommt eine Serienfertigung auf der Schwäbischen Alb nicht in Frage. Über einen Volumenhersteller oder einen großen Zulieferer lasse sich das System, beispielsweise in Lizenz, aber leicht skalieren.

Hauptgeschäft sind aber Industrieprojekte. Arnold NextG versteht sich in erster Linie als unabhängiger Vorausentwickler und Inkubator.

Zwar gibt es auf dem Weg zum autonomen Fahren derzeit reihenweise Rückschläge. So hat beispielsweise GM nach Milliarden-Investitionen die Vision vom Robotaxi aufgegeben und die Fahrzeuge der Tochterfirma Cruise stillgelegt.

Auch bei anderen Herstellern wie Tesla sieht Kevin Arnold mehr Schein als Sein. Davon lässt sich der ehemalige Rennfahrer aber nicht entmutigen. „Für mich ist das Motivation, das Tempo nochmals zu beschleunigen, denn die Technologie wird sich definitiv durchsetzen.“

Auch Zulieferer wie Bosch oder ZF, das jüngst einen Großauftrag ergattern konnte, verfolgen den Ansatz mit Hochdruck weiter. In China und den USA sieht Arnold NextG derzeit die größte Dynamik und will demnächst einen Standort in Schanghai eröffnen. Und obwohl das Steuergerät NX NextMotion noch nicht auf dem Markt ist, tüfteln die Entwickler bereits an der nächsten Generation.