VWs Spar-Rechnung: "Zwei Werke zuviel"

Der Ton im Konflikt zwischen Volkswagens Unternehmensspitze und dem Betriebsrat verschärft sich. Nach der Ankündigung eines milliardenschweren Sparprogramms bei der Kernmarke Volkswagen am Montag lieferten sich Konzern-Finanzchef Arno Antlitz, Volkswagen-Markenchef Thomas Schäfer und Betriebsratschefin Daniela Cavallo am Mittwoch auf der Betriebsversammlung ein intensives Rededuell. Finanzvorstand Antlitz nannte dabei erstmals konkrete Zahlen zur aktuellen Krise.

So sagte der CFO und COO des Konzerns in emotionaler Atmosphäre vor den nach Teilnehmerangaben mehr als 15.000 Beschäftigten in und vor der Halle 11 des VW-Werks in Wolfsburg: "Wir geben in der Marke seit geraumer Zeit schon mehr Geld aus, als wir einnehmen. Das geht nicht gut auf die Dauer! Wenn wir so weiter machen, schaffen wir die Transformation nicht."

Antlitz stellte für die Beschäftigten folgende Rechnung auf: "In Europa werden zurzeit zwei Millionen Fahrzeuge weniger verkauft als noch vor Covid. Vor Covid wurden in Europa rund 16 Millionen Fahrzeuge gekauft.

Während und nach Covid ist dieser Wert auf rund 12 Millionen Fahrzeuge zurückgegangen, weil die ganze Industrie nicht genügend Halbleiter hatte. Der Markt in Europa hat sich seither erholt – wird aber das alte Niveau nicht wieder erreichen."

Der Ausblick des VW-CFO fällt pessimistisch aus: "Wir rechnen mit rund 14 Millionen verkaufter Fahrzeuge pro Jahr in Zukunft, wenn überhaupt. Es fehlen also rund zwei Millionen Verkäufe. Wir sind der größte Hersteller mit rund einem Viertel Marktanteil in Europa. Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke. Und das hat nichts mit unseren Produkten zu tun oder schlechter Leistung des Vertriebs. Der Markt ist schlicht nicht mehr da."

Bisher war bei den Sparplänen des Konzerns seit Montag immer wieder die Schließung eines deutschen Standorts thematisiert worden. Jetzt nennt Antlitz sogar erstmals zwei Werke, die im Produktionsnetzwerk überflüssig werden könnten.

Allerdings bezogen auf den Gesamtkonzern – nicht allein auf die Kernmarke Volkswagen. Mit der anstehenden Umstrukturierung des Audi-Werks in Brüssel bereitet Volkswagen hier ohnehin eine mögliche erste Werksschließung vor.

Die drastische Warnung von Finanzchef Antlitz an die Beschäftigten in Wolfsburg in seiner Rede: "Wir haben noch ein Jahr, vielleicht zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen. Aber diese Zeit müssen wir nutzen. Gleichzeitig müssen wir die Komplexität unsere Abläufe reduzieren und noch mehr Konzernsynergien heben."

Antlitz versuchte, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in seiner Rede auf die Sparpläne einzustimmen: "Bezahlbare, wettbewerbsfähige Preise kann man aber nur anbieten, wenn man eine wettbewerbsfähige Kostenbasis hat. Die müssen wir uns wieder gemeinsam erarbeiten! Das ist unsere gemeinsame Verantwortung!"

Auch VW-Markenchef Thomas Schäfer, der das im Juni 2023 erstmals vorgestellte Sparprogramm bei der Kernmarke initiiert hatte, richtete das Wort an die Belegschaft in Halle 11. In seiner Rede sagte Schäfer: "Wenn wir es jetzt schaffen, unsere Kosten nachhaltig zu reduzieren und in ein Modellfeuerwerk zu investieren, wie es der Wettbewerb und die Kunden noch nicht gesehen haben – dann werden wir es sein, die die Voraussetzungen geschaffen haben, damit auch die nächsten Generationen hier in Deutschland für Volkswagen arbeiten können.“

Der ehemalige Skoda-Chef versuchte, die Belegschaft auf seinen harten Kurs einzuschwören: "Ich bin hier angetreten, um Volkswagen mit Euch zusammen wieder an die Spitze zu bringen. Wir haben Top-Produkte in der Pipeline und wollen sie erfolgreich im Markt positionieren. Dafür brauchen wir jetzt Geld, um kräftig zu investieren.“

CEO Oliver Blume pflichtete seinem Markenchef bei und sagte: "Gemeinsam werden wir passende Maßnahmen umsetzen, um wirtschaftlicher zu werden. Wir führen VW wieder dorthin, wo die Marke hingehört - das ist die Verantwortung von uns allen. Der VW-Vorstand hat dabei meine volle Unterstützung. Ich komme aus der Region, arbeite seit 30 Jahren im Konzern und verspreche: ich bringe all meine Erfahrung bei VW ein. Ihr könnt auf mich zählen und ich zähle auf Euch - wir sind Volkswagen."

Vor Antlitz und Schäfer hatte Volkswagen-Betriebsratschefin Daniela Cavallo der Halle 11 mit emotionalen Worten eingeheizt. Die Tochter italienischer VW-Gastarbeiter, selbst in Wolfsburg geboren, verknüpfte ihr berufliches Schicksal mit dem Versprechen, kein Werk in Deutschland aufzugeben: "Ich sage es auch hier in Halle 11 noch einmal ganz deutlich und für alle auf der Vorstandsbank zum Mitschreiben: Mit mir, Daniela Cavallo, Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, wird es hierzulande keine Werksschließungen geben."

In ihrer Rede schlug die Nachfolgerin von Bernd Osterloh einen großen Bogen von der Bedeutung Volkswagens für Deutschland bis hin zu konkreten Managementfehlern im Vorstand des Konzerns. 

"Sie wollen Standorte dichtmachen. Unsere Kolleginnen und Kollegen vor die Tür setzen. Und denjenigen, die das Glück haben, noch bleiben zu dürfen, denen wollen Sie dann auch noch ans Geld gehen. Das ist Ihre Antwort auf die Krise? Ist das alles, was Ihnen einfällt? Ich sag Ihnen mal, was das ist: Das ist nicht nur ein Armutszeugnis. .Das ist eine Bankrotterklärung", sagte Cavallo in Richtung des Vorstandes.

Den Sparplänen von Markenchef Schäfer erteilte sie eine klare Absage: "Volkswagen krankt eben genau nicht an seinen deutschen Standorten und an den deutschen Personalkosten. Sondern Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht."

Cavallo forderte für die Belegschaft einen "Masterplan Zukunftsfähigkeit 2025 - 2030 - 2035" und stellte die aus ihrer Sicht dafür notwendigen fünf zentralen Punkte vor. Die Betriebsratschefin fasste sie in ihrer Rede wie folgt zusammen:

1. Technologieführerschaft erlangen., 2. Vertrauen und Verlässlichkeit in den Entscheidungen, 3. Führung und Governance, 4. Finanzielle Situation verbessern, 5. Standort- und Beschäftigungssicherung.

Weiter sagte Daniela Cavallo: "Aktuell gibt es kein gemeinsames Verständnis, wie der Weg aus der Krise konkret aussehen soll. Gerade in herausfordernden Zeiten brauchen wir aber den Mut, auch in der Krise zu investieren und so den Grundstein für die Innovationen von morgen zu legen."

Auch konkrete Forderungen formulierte die Betriebsratschefin: "Beispiele dafür sind neue Modelle im Volumensegment. Aber auch, die installierten Kapazitäten der Fabriken bestmöglich auszulasten und somit Fixkosten zu reduzieren. Nur so wird es uns gelingen, gestärkt und nachhaltig erfolgreich wieder aus dieser Situation herauszukommen. Alles andere ist blindes Sparen von einem Quartal zum anderen. Und das ist das Gegenteil von nachhaltiger Unternehmensführung und sorgt nur dafür, dass wir die Abwärtsspirale weiter befeuern."

Ihre Rede schloss die seit 2019 amtierende Betriebsratsvorsitzende von Volkswagen mit einem emotionalen Appell an die VW-Vorstände: "Wenn Sie selber ins Bett gehen, denken Sie dann mal an die Standortregionen. Und wenn Sie das tun, dann denken Sie mal darüber nach, was passiere würde, wenn nicht nur die Gewerbesteuer ausfällt. Sondern ein ganzes VW-Werk verschwindet und mit ihm tausende Arbeitsplätze. (...) Und denken Sie vor allem an unsere Kolleginnen und Kollegen. Und dann, ich hoffe es sehr, dann kommen Sie vielleicht zu dem Schluss, dass Vorstand zu sein bei Volkswagen auch etwas mit großer Verantwortung zu tun hat. Und dann packt Sie das hoffentlich bei Ihrer Ehre!"

Für den weiteren Verlauf der Betriebsversammlung in Wolfsburg ist eine Aussprache von Vorstand und Betriebsrat mit den über 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort geplant. Das Ende der Betriebsversammlung wird erst für den Nachmittag erwartet.