Seit der Ankündigung des Konzernvorstands am Montagnachmittag, Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht länger auszuschließen, um die Kernmarke VW Pkw zukunftsfähig zu machen, herrscht tiefe Verunsicherung im Unternehmen.
Der Betriebsrat um Chefin Daniela Cavallo kündigte erbitterten Widerstand gegen die Pläne von CEO Oliver Blume und VW-Markenchef Thomas Schäfer an. Am Mittwoch ist eine Betriebsversammlung im Werk Wolfsburg geplant. Gewerkschaften und Politik zeigen sich solidarisch mit den VW-Beschäftigten.
Noch ist offen, wo genau das Management einsparen will, welche Jobs und welche Standorte konkret bedroht sind. Das VW-Produktionsnetzwerk in Deutschland ist riesig und umfasst aktuell insgesamt zehn Produktionswerke und Komponenten-Standorte in den Bundesländern Niedersachsen, Hessen und Sachsen.
Der große Automobilwoche-Überblick:
VW-Werke: Wo schlägt der Spar-Hammer zu?
VW erwägt Werksschließungen – Beschäftigte von Emden bis Zwickau sind in Sorge um ihre Jobs. Ein Überblick über die Standorte und wie sie im VW-Reich dastehen.
Mitarbeiter: ca. 60.000
Gegründet: 1938
Gefertigte Fahrzeuge: Golf, Golf Variant, Tiguan, Touran
Aktuelle Situation: 2023 kam das Volkswagen-Stammwerk in Wolfsburg nur auf rund 490.000 Einheiten, was einer Auslastung von nur 56,32 Prozent entspricht. Wolfsburg baut unter anderem den Golf, Golf Variant, Touran und Tiguan – eigentlich alles wichtige Volumenbringer der Kernmarke.
Die Transformation der 1,6 Quadratkilometer bebauten Hallenfläche in ein Elektrowerk ist eine der schwersten Aufgaben im Konzern. Natürlich ist das Werk Wolfsburg als Stammsitz des Konzerns deswegen nicht von einer Schließung bedroht. Eine dauerhafte Reduzierung der enormen Produktionskapazitäten (ca. 870.000 Fahrzeuge) ist am Ende der Verhandlungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat aber wahrscheinlich.
Mitarbeiter: ca. 8000
Gegründet: 1964
Gefertigte Fahrzeuge: ID.4, ID.7, ID.7 Tourer
Aktuelle Situation: 2019 kündigte Volkswagen den Umbau des Standorts zu einem reinen Elektrowerk an. Seit März dieses Jahres werden direkt am östlichen Ufer der Ems ID.4 und ID.7 gebaut. Zuletzt mit steigender Nachfrage vor allem nach dem neuen Top-Modell der ID.-Flotte, dem ID.7.
Wenn es um den Abbau von Produktionskapazitäten und überflüssige Werke im VW-Konzern geht, wurde hinter vorgehaltener Hand in der Vergangenheit immer wieder vom Werk Emden gesprochen.
Der einstige Vorteil direkter Exportmöglichkeiten von der Produktionsfabrik direkt auf die großen Autofrachter im Emdener Hafen ist in der heutigen, globalisierten Produktionswelt des VW-Konzerns weit weniger wichtig als noch in den sechziger Jahren bei Gründung des Werkes. In Emden wurde einst der VW Käfer gebaut und in die USA exportiert.
Mitarbeiter: ca. 2300
Gegründet: 1935 (Übernahme durch VW 2009)
Gefertigte Fahrzeuge: T-Roc Cabrio, Porsche 718 Cayman, Porsche 718 Boxster
Aktuelle Situation: Der kleine Standort ist der Joker im VW-Produktionsnetzwerk und zudem Experte für die (ebenfalls bald aussterbende) Cabrio-Produktion. Im vergangenen Jahr fertigte Osnabrück etwas über 28.000 Fahrzeuge, bei einer theoretischen Kapazität von bis zu 100.000 Modellen. Das aktuell vom Band laufende T-Roc Cabrio soll laut VW-Angaben im kommenden Jahr eingestellt werden.
Gerüchte um eine Schließung des kleinen Osnabrücker Werks, oder einen Weiterverkauf gibt es schon länger. Selten allerdings mit konkreten Plänen. Dazu kommt: Wenn Volkswagen wirklich massiv einsparen will, dürfte das ehemalige Karmann-Werk kaum ausreichen, um Milliarden zu erlösen.
Mitarbeiter: ca. 7000
Gegründet: 1938
Gefertigte Komponenten: Achsen. Lenkungen, Batteriesysteme
Aktuelle Situation: In der Stadt des Zweitliga-Schlusslichts werden Vorder- und Hinterachsen, Lenkungen und seit Beginn der Transformation Batteriesysteme hergestellt. Seit 2019 entstehen in Braunschweig die Hochvoltspeicher für die aktuelle MEB-Generation des Konzerns. 2022 waren es fast 300.000 Stück. Braunschweig beliefert auch andere Konzernmarken und gehört wegen seiner Nähe zum Stammsitz in Wolfsburg mit zur Herzkammer des Unternehmens.
Mitarbeiter: ca. 13.500
Gegründet: 1956
Gefertigte Fahrzeuge: T7 Multivan, ID.Buzz
Aktuelle Situation: Formell gehört das VW-Werk in der niedersächsischen Landeshauptstadt nicht zur Kernmarke Volkswagen, sondern zur Nutzfahrzeugsparte. Aber: Mit dem ID.Buzz läuft auch ein MEB-Modell des Konzerns in Hannover vom Band, das eng mit dem Pkw-Vertrieb bei VW verknüpft ist. Hannover kämpft bereits seit längerem mit zu geringer Auslastung.
Momentan ist das VWN-Werk auf 200.000 Einheiten pro Jahr ausgelegt, 154.372 wurden im vergangenen Jahr gefertigt. Was aber zusätzlich hilft: Niedersachsens Ministerpräsident und Volkswagen-Aufsichtsrat Stephan Weil war vor seinem Schritt in die Landespolitik Oberbürgermeister von Hannover und kennt die Situation am und im VW-Werk im Westen der Stadt genau. Dass der Landesvater einem Stellenabbau, oder gar einer Neustrukturierung an einem Werk quasi direkt vor der Tür seiner eigenen Staatskanzlei zustimmen würde, gilt als ausgeschlossen.
Mitarbeiter: 10.350
Gegründet: 1990
Gefertigte Fahrzeuge: VW ID.3, I.4, ID.5, Audi Q4 e-tron & Sportback e-tron, Cupra Born, dazu Karosserien für Bentley Bentayga und Lamborghini Urus
Aktuelle Situation: Das erste reine E-Auto-Werk des Konzerns ist aufgrund der geringen Nachfrage nach Elektroautos nicht ausgelastet. Im vergangenen Jahr sind 247.000 Fahrzeuge und 12.000 Luxuskarosserien gebaut worden, möglich wären bis zu 360.000 Autos.
Zwickau produziert Fahrzeuge für mehrere Marken, die von einer möglichen Schließung betroffen wären. Als E-Auto-Werk ist es momentan eher schwach ausgelastet, VW muss ab dem kommenden Jahr aber viele E-Autos in den Markt drücken, um seine CO2-Grenzwerte zu erreichen, deshalb ist davon auszugehen, dass die Produktion steigen wird.
Mitarbeiter: rund 1800
Gegründet: 1991
Gefertigte Komponenten: Motoren und Teile wie Kurbelwellen, und Zylinderköpfe
Aktuelle Situation: Das Werk Chemnitz ist momentan noch auf Verbrenner fokussiert. Im vergangenen Jahr haben 690.000 Motoren das Werk verlassen. Momentan sind Verbrenner stärker gefragt als Elektroautos, in den kommenden Jahren dürfte sich das ändern. Perspektivisch sollen in Chemnitz auch Komponenten für die E-Mobilität gefertigt werden, zunächst aus dem Bereich Thermomanagement.
Mitarbeiter: 15.500
Gegründet: 1958
Gefertigte Komponenten: Elektrische Antriebe, Getriebe, Karosserieteile, Abgasanlagen, Ersatzteile, Aufbereitung gebrauchter Motoren und Getriebe
Aktuelle Situation: Das weltweit größte Komponentenwerk von des Konzerns gehört zu den ältesten VW-Standorten und produziert Teile für Elektroautos und Verbrenner. Kürzungen sind denkbar, vor allem im Verbrenner-Bereich. Eine komplette Schließung des Werks dürfte aber eher unwahrscheinlich sein. Dennoch sind die Beschäftigten besorgt. Der örtliche Betriebsratschef Carsten Büchling will um die Arbeitsplätze kämpfen.
Mitarbeiter: 7500
Gegründet: 1970
Gefertigte Komponenten: Motoren, Rotor/Stator, Komponenten
Aktuelle Situation: Das bisherige Motorenwerk Salzgitter soll zum Batteriezentrum für den VW-Konzern werden, dort entsteht auch die erste konzerneigene Fabrik für Batteriezellen. Damit dürfte der Standort für die Zukunft gut aufgestellt sein. Kürzungen, vor allem im Verbrenner-Bereich, sind aber durchaus denkbar, falls die natürliche Fluktuation nicht ausreicht.
Schon jetzt liefert Salzgitter mit Rotoren und Statoren wichtige Komponenten für Elektroautos. Dominiert wird das Werk jedoch noch von der Verbrenner-Technologie: Im vergangenen Jahr wurden dort 806.000 Motoren und 394.000 Rotoren und Statoren gebaut.
Mitarbeiter: 340
Gegründet: 2002
Gefertigte Fahrzeuge: ID.3
Aktuelle Situation: Wie auch der Standort Osnabrück wartet die “Gläserne Manufaktur” in Dresden auf eine nachhaltige Perspektive. Ohnehin nach Berechnungen nur auf eine Stückzahl von 20.000 Fahrzeugen jährlich ausgelegt, wurden im vergangenen Jahr gerade einmal 6000 ID.3 gebaut. Der prestigeträchtige Standort wurde einst für die Fertigung der Luxuslimousine Phaeton (2002 bis 2016) errichtet. 2021 startete die Produktion des ID.3 in Dresden.
Die Schließung des Standorts als Produktionseinrichtung steht in Aussicht, Volkswagen arbeitet derzeit an einem Nachnutzungskonzept. Wie das aussehen soll, ist noch unklar. Unabhängig davon ist die Gläserne Manufaktur zu klein, als dass ihre Schließung einen wesentlichen Unterschied in der Bilanz bedeuten würde.