Cariad: Welche Rolle Volkswagens einstige Software-Hoffnung jetzt noch spielt

Es ist ruhig geworden um Cariad. Was für die meisten Unternehmen eine schlechte Nachricht wäre, dürfte den Chef von Volkswagens hauseigener Software-Schmiede, Peter Bosch, freuen. Denn das 2019 als Car.Software.Org gegründete Vorzeigeprojekt von Ex-Konzernchef Herbert Diess sorgte in der Vergangenheit vor allem für negative Schlagzeilen.

Hohe Kosten (bis zu vier Milliarden Euro jährlich), eine übermäßig komplexe Organisation und vor allem fehlende funktionierende Software-Lösungen belasteten Cariads Ruf – und den Volkswagen-Konzern.

Schon der verzögerte Marktstart des ID.3 war auf nicht rechtzeitig fertiggestellte Software zurückzuführen. Später kämpften auch andere Modelle des modularen Elektro-Baukastens (MEB) wie der Cupra Born und der Audi Q4 e-tron mit Softwareproblemen. Und auch die jahrelangen Verzögerungen des Audi Q6 e-tron und des Elektro-Macan von Porsche gehen teilweise auf Cariads Konto.

Während sich Cariad mit der Softwareversion 1.1 für die MEB-Fahrzeuge verzettelte, geriet die Entwicklung der Version 1.2 für Audis und Porsches Premium-Stromer sowie neue Verbrenner wie den Audi A5 ins Hintertreffen. In Zuffenhausen hieß es, nachdem der erste avisierte Start-Termin 2022 für den E-Macan verstrichen war, hinter vorgehaltener Hand, man wäre schon froh, wenn das Auto überhaupt irgendwie fahren würde.

Doch Cariads größte Herausforderung war ein anderes Projekt: die Entwicklung der Software E3 2.0 für Volkswagens Tesla-Konkurrenten Trinity. Der ist inzwischen in weite Ferne gerückt - und die Software wurde aus Cariads Verantwortungsbereich entzogen und umbenannt: Die neue Architektur heißt nun SDV 1.0 (Software-Defined Vehicle) und wird von einem Joint Venture zwischen VW und Rivian entwickelt.

Die Zusammenarbeit mit dem US-Start-up, das sich durch seine Expertise in zonaler Software-Technologie auszeichnet, ist VW in Summe rund 5,8 Milliarden US-Dollar wert. Überzeugen konnte Rivian die Manager in Wolfsburg, als sie innerhalb weniger Wochen eine leistungsfähige Software, angeblich für einen Audi-Q6-Prototyp, entwickelt haben – ein Erfolg, den Cariad so schnell nie erreichte.

Die erste Version von SDV 1.0 soll schon 2026 mit dem Rivian R2 starten und 2027 erstmals in einem "Produkt der Marke Volkswagen" zum Einsatz kommen. Offiziell wird noch kein konkretes Fahrzeug genannt, doch vieles deutet darauf hin, dass es sich um die Serienversion des Elektro-Kleinstwagens ID.Every1 handeln könnte.

Dazu passt: Schon Ende 2024 deutete Rivian an, dass die neue Software nicht nur für die geplante Super-Plattform SSP entwickelt wird (die erst gegen "Ende der Dekade" kommen soll), sondern unter „Einbeziehung ausgewählter MEB-Modelle von Volkswagen".

Und was macht Cariad jetzt? Trotz der großen Umstrukturierungen behält Cariad weiterhin die Verantwortung für die Software-Versionen E3 1.1 und 1.2. Und diese laufen mittlerweile stabil. Ein Beispiel: 2024 wurde der ID.7 von den Verbraucherschützern des ADAC als bestes Auto im Autotest ausgezeichnet.

Neben der Wartung und Weiterentwicklung der bestehenden Software übernimmt Cariad aber vor allem eine neue Rolle innerhalb der neuen Software-Strategie, die Oliver Blume konsequent verfolgen will.

Das Unternehmen koordiniert nun markenübergreifend die Entwicklung in den Bereichen ADAS (Advanced Driver Assistance Systems), autonomes Fahren, Infotainment und Cloud-Services.

Zudem wurde die Organisation gestrafft, Teams wurden verkleinert und die Mitarbeiterzahl um etwa 500 reduziert. Die verbliebenen 5900 Mitarbeiter konzentrieren sich auf Schlüsselbereiche und steuern die Zusammenarbeit mit externen Partnern.

Neben Rivian ist auch der chinesische Hersteller XPeng ein neuer Partner von Volkswagen. XPeng entwickelt im Joint Venture mit VW die China Electrical Architecture (CEA), eine speziell für den chinesischen Markt angepasste Elektrik-/Elektronik-Plattform.

Diess-Nachfolger Oliver Blume betonte, dass sich die Software-Ökosysteme in der westlichen und der östlichen Welt stark unterscheiden – ein Grund für die regionale Anpassung der Softwarestrategie.

Rivian und Xpeng sind aber nicht die einzigen Partner: Porsche holte sich schon vor einiger Zeit Google und Mobile Eye für die Themen Navigation, Sprachsteuerung und autonomes Fahren ins Auto, und sowohl die Stuttgarter als auch Audi haben sich vergangenes Jahr mit Applied Intuition zusammengetan, einem amerikanischen Spezialisten für Fahrzeugsoftware.

Zusätzlich gab Volkswagen eine Kooperation mit Dassault Systèmes bekannt, um digitale Zwillinge künftiger Modelle zu erstellen. Dies soll die Fahrzeugentwicklung effizienter machen.

Mit CGI arbeitet VW an einem IT-System, das von der Vorserie bis zum Kundendienst alle Anforderungen der neuen Fahrzeugarchitektur bündeln soll – mit dem Ziel, schnellere Software-Updates und neue per Knopfdruck bestellbare Funktionen zu ermöglichen. Ein Bereich, der bislang oft für Frust sorgte.

Klar wird: Volkswagen zieht klare Konsequenzen aus den jahrelangen Problemen bei Cariad. Statt alles selbst zu entwickeln, setzt der Konzern verstärkt auf externe Partner mit spezifischem Know-how. Der Cariad – neben der Bestandssoftware - eine neue, koordinierende Rolle zu übertragen, scheint nachvollziehbar. Ob dieser neue Kurs die erhoffte Effizienz bringt, bleibt allerdings abzuwarten.