Die Antriebswende gerät ins Stocken, und mit ihr der globale Absatz batterieelektrischer Modelle. Die Nachfrage der Kunden deckt sich nicht mit den Produktionsplänen der Hersteller, die dadurch zum Reagieren gezwungen sind – von gesenkten Absatzzielen bis zur Abkehr von 100-Prozent-BEV-Fantasien. Ein Überblick über die Strategieschwenks der Autobauer.
Verschoben, gestutzt, gestrichen: Wie Hersteller ihre E-Auto-Pläne anpassen
Die ambitionierten Pläne vieler Hersteller haben den Realitätscheck nicht bestanden. Jetzt kassieren sie ehrgeizige Ziele und passen ihre Strategien an. Der große Überblick.
Der Volkswagen-Konzern will bis 2030 den Anteil der reinen Elektroautos am Gesamtabsatz in Europa auf 70 Prozent steigern. In den Vereinigten Staaten und China soll der BEV-Anteil bis dahin 50 Prozent betragen. An diesen Plänen hält das Management in Wolfsburg bis jetzt unverändert fest – trotz der wiederholten Warnungen vor einer nachlassenden Nachfrage.
"Volkswagen hat sich klar zum E-Antrieb bekannt", heißt es nach wie vor auf der Unternehmenswebsite. Wohl aber sagte Technologiechef Thomas Schmall im August, dass die Pläne von VW für neue Batteriefabriken nicht in Stein gemeißelt seien und von der Nachfrage nach Elektrofahrzeugen abhingen.
Berichten zufolge investiert Volkswagen darüber hinaus bis 2028 rund 60 Milliarden Euro in die Weiterentwicklung von Verbrennungsmotoren. Und die Kernmarke VW Pkw sprach zuletzt davon, mehr Plug-in-Hybride verkaufen zu müssen, um den nachlassenden Absatz reiner Elektroautos mit Blick auf die CO2-Ziele der EU abzufedern. Neue Einstiegs-Elektroautos wie der ID.2 sollen erst 2025 auf den Markt kommen – vergleichsweise spät.
Auch in Stuttgart ist man voller Tatendrang in die elektrische Zukunft aufgebrochen, doch die ursprünglichen Absatzprognosen hat Mercedes-Benz in diesem Jahr zurückgeholt. Der Anteil von reinen Elektroautos und Hybriden am Gesamtabsatz soll bis zum Jahr 2030 nun rund 50 Prozent betragen – deutlich weniger als zunächst geplant, als man sogar mit 100 Prozent liebäugelte.
Im laufenden Jahr sollen nur rund 20 Prozent der global ausgelieferten Neuwagen einen Batterieantrieb haben. Noch vor wenigen Jahren rief Konzernchef Ola Källenius die Strategie "Electric Only" aus, schränkte jedoch ein: "Wo immer es die Marktkonditionen zulassen." Wie sich herausstellt, machen die Märkte dem Schweden fürs Erste einen Strich durch die Rechnung.
Je nach Kundennachfrage will Mercedes nun sogar bis in die 2030er Jahre hinein Autos mit Verbrennungsantrieben bauen. Die neue "MB.EA-Large"-Plattform für große Premium-Elektrofahrzeuge liegt dagegen auf Eis. Flexibilität heißt die neue Strategie.
BMW steht weniger unter Druck als seine Wettbewerber: Die Elektroautos der Münchener kommen bei den Kunden besser an als die der deutschen Konkurrenz. Im ersten Halbjahr verkaufte BMW über 190.000 E-Autos, 25 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Trotzdem hat der Hersteller weiterhin kein konkretes Ausstiegsdatum aus dem Verbrenner definiert.
Der i3 war 2013 ein frühes Elektro-Statement, ist mittlerweile aber eingestellt. 2025 sollen die ersten BEV-Modelle auf der Neue-Klasse-Plattform auf den Markt kommen – ein SUV und eine Limousine im Dreier-Segment. Geplant sind insgesamt sechs Modelle in den ersten zwei Jahren. Mit der Architektur will BMW perspektivisch sämtliche Segmente abdecken.
Ungeachtet dieser Perspektive will sich BMW auf einen vollständigen Abschied vom Verbrennungsantrieb nicht festlegen. Ein reines Elektrowerk hat der Hersteller in seinem Produktionsnetzwerk noch nicht. Erst Ende 2027 soll das Stammwerk in München den Anfang machen. Anfangs gab es für diese Zurückhaltung noch Kritik, heute führt die Weitsicht dazu, dass BMW – anders als die Konkurrenz – keinen größeren Strategieschwenk vollziehen muss.
Audi will 2033 in Europa und den USA seine letzten Verbrennerfahrzeuge verkaufen. Auf den ersten Blick ist das noch lange hin. Doch die letzten neuen Modelle mit konventioneller Antriebstechnologie sollen bereits Ende 2026 der Öffentlichkeit präsentiert werden. "Wir werden alle elektrisch fahren", sagte Audi-Chef Gernot Döllner im Interview mit der Automobilwoche.
Doch die Premiummarke des VW-Konzerns kommt dabei nicht wie geplant voran. Der Absatz reiner Elektroautos ging im ersten Halbjahr um 1,2 Prozent auf rund 76.700 nach oben – eher Stagnation als echtes Wachstum. Der Hersteller nannte als Grund dafür die allgemein abgekühlte Nachfrage, aber die bremste das Elektro-Wachstum beim Rivalen BMW eben nicht aus.
Und jetzt geht im Brüsseler Werk auch noch die Belegschaft auf die Barrikaden. Dort baut Audi das elektrische Oberklasse-SUV Q8 e-tron. Doch die Nachfrage ist verschwindend gering, sodass der Vorstand das Produktionsende vorziehen will.
Die Schließung des belgischen Werks rückt näher. Aktuell sucht Audi einen externen Käufer oder Investor. Derweil soll die Entwicklung eines kompakten Einstiegsmodells unterhalb des Q4 e-tron beschleunigt werden, das aber im Stammwerk in Ingolstadt gebaut werden soll.
Porsche hat sein Ziel, bis 2030 einen zu 80 Prozent elektrifizierten Absatz zu erreichen, nicht offiziell zurückgeholt. Wohl aber hat der Sportwagenbauer es anders formuliert – abwartender, vorsichtiger. Man könne diese Marke bis dahin nach wie vor erreichen, hieß es. Allerdings nur, wenn die Nachfrage der Kunden dementsprechend wachse.
Der nächste Cayenne, dann in vierter Generation, kommt deshalb zwar als Elektro-SUV auf den Markt, gleichzeitig baut Porsche das Modell bis ins nächste Jahrzehnt hinein aber auch weiter als Verbrenner sowie als Hybrid.
Zur Einordnung: Im vergangenen Jahr wurde der Porsche Cayenne als Verbrenner rund 95.000 Mal verkauft. "Dass im Jahr 2030 mehr als 80 Prozent der ausgelieferten Porsche vollelektrisch sein werden", schrieb die Automobilwoche in einer Analyse, "ist mit der Cayenne-Entscheidung kaum haltbar."
Der 14 Marken umfassende Stellantis-Konzern rüttelt nicht an seinem Ziel, in Europa vom Jahr 2030 an nur noch vollelektrische Autos zu verkaufen. Konzernchef Carlos Tavares rief die Strategie "Dare Forward 2030" bereits vor über zwei Jahren aus und will davon auch angesichts der aktuellen Nachfrageschwäche nicht ablassen.
In Europa und speziell in Deutschland etablierte Marken wie Fiat (ab 2027) und Opel (siehe unten) sollen derweil schon vor 2030 reine Elektro-Anbieter werden. Und durch die Kooperation mit dem chinesischen E-Auto-Hersteller Leapmotor zum Verkauf und Bau von Modellen in Europa gehören zum Stellantis-Konzern jetzt – inoffiziell – sogar 15 Marken.
Trotz des Festhaltens: Stellantis bekommt derzeit die Nachfrageschwäche zu spüren. Die Produktion des elektrischen Kleinwagens Fiat 500e musste mangels Nachfrage einen Monat lang gestoppt werden.
Die einzige deutsche Marke im Stellantis-Konzern will besonders schnell sein. Schon 2028 soll Opel ein reiner Elektroauto-Anbieter sein. Kunden sollen dann keine Neuwagen mit Verbrennungsantrieben mehr kaufen können. Mit der Markteinführung des Frontera und des Grandland hat Opel schon ab Ende 2024 kein Modell mehr im Portfolio, das nicht auch in einer elektrischen Variante zu haben ist.
Im Interview mit der Automobilwoche-Schwester Automotive News Europe bekräftigte Opel-Chef Florian Huettl grundsätzlich zuletzt die Strategie: "Wir sehen die Elektromobilität als den einzigen gangbaren Weg für einen Massenmarkt-Hersteller, ein CO2-neutrales Unternehmen zu werden."
Auf die Frage, ob es angesichts der Kundennachfrage auch nach 2028 noch Verbrenner geben könnte, antwortete Huettl jedoch vage: "Die Multi-Energy-Plattformen sind extrem wichtig für den ersten Schritt zur Elektrifizierung. Sie helfen uns, Auswirkungen auf das Produktionsnetz zu mildern. Im nächsten Schritt werden unsere zukünftigen Modelle nur noch elektrisch sein."
Anders als viele Konkurrenten hat sich Toyota nicht vollständig dem Batterieantrieb verschrieben. Stattdessen fährt der japanische Großserienhersteller einen mehrgleisigen Ansatz auf dem Weg zur Kohlenstoffneutralität. Dieses Ziel will der Konzern bis zum Jahr 2040 erreichen. Elektromobilität spielt dabei keine herausgehobene Rolle.
Der Toyota bZ4X ist bislang der einzige batterieelektrische Pkw des Herstellers. Bis 2026 sollen es sechs Modelle sein. Trotzdem hält das Unternehmen weiterhin auch – oder vor allem – an seinen Hybridantrieben fest. "Wir sehen uns an, wie die Kundennachfrage bei Elektroautos ist", sagte Toyota-Geschäftsführer Tetsuo Ogawa der Automobilwoche-Schwester Automotive News: "Aktuell ist es nicht gerechtfertigt, mehr Kapazitäten in diese Richtung zu verschieben."
In Europa will Toyota bis zum Jahr 2026 rund 15 verschiedene emissionsfreie Fahrzeuge anbieten, was die leichten Nutzfahrzeuge mit einschließt. Laut Angaben auf der Unternehmenswebsite soll der europäische Antriebsmix dann über 20 Prozent rein elektrisch sein, also mehr als 250.000 Fahrzeuge pro Jahr umfassen.
Was die Hersteller planen
"Wir sind weiterhin fest überzeugt, dass unsere Zukunft elektrisch ist", sagt Volvo-Vorstandschef Jim Rowan. "Aber es ist klar geworden, dass der Übergang zur Elektrifizierung nicht linear verläuft. Kunden und Märkte passen sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit an diese Veränderung an." Die Folge: Der schwedische Hersteller rudert bei seinen Elektroplänen zurück.
Das Ziel, bis zum Jahr 2030 vollständig auf Elektrofahrzeuge umzusteigen, hat Volvo aufgegeben. Stattdessen will Rowan zu diesem Zeitpunkt auch noch einige Hybridmodelle anbieten. Am Ende des Jahrzehnts sollen nun 90 bis 100 Prozent der verkauften Neuwagen reine Elektroautos oder Plug-in-Hybride sein, lautet die neue Vorgabe.
Die restlichen bis zu zehn Prozent des Absatzes sollen auf Mild-Hybride entfallen. Auf ein neues Datum für den vollständigen Abschied vom Verbrenner mochte sich Volvo noch nicht festlegen. "Wir reagieren auf den Markt", hieß es.
Den geplanten Börsengang der Elektrosparte Ampere sagte Renault Anfang des Jahres ab. Das Umfeld sei gerade nicht günstig, hieß es im Januar. An den strategischen Plänen für Ampere werde man aber festhalten. So will der Konzern die Sparte bis 2025 weiter finanzieren, dann soll die Gewinnschwelle erreicht sein.
In Europa wollte Renault vom Jahr 2030 an gemäß einer ersten Zielsetzung nur noch elektrifizierte Modelle verkaufen. Später wurde das Ziel aufgeweicht, bis 2030 sollten es dann noch bis zu 90 Prozent Neuwagen mit vollelektrischem Antrieb sein. Gegenüber Automotive News erklärte Markenchef Fabrice Cambolive in diesem Jahr, man werde für die nächsten zehn Jahre – also über 2030 hinaus – eine duale Strategie verfolgen.
Ampere verfolgt derweil das Ziel, die Kosten von E-Autos bis zum Jahr 2028 auf das Niveau der Verbrenner zu senken. Das Fernziel sind eine Million verkaufte Elektroautos im Jahr 2031. Die Renault-Tochter Dacia will in Europa so lange es geht am Verbrenner festhalten – also bis 2035, wenn das Verbot in Kraft tritt. Aktuell ist der günstige Spring das einzige E-Auto der Marke.
Mit Blick auf das geplante, nun aber wiederum heiß diskutierte Verbrenner-Aus in der EU ab 2035 hat auch der US-Hersteller Ford über zwei Milliarden Dollar in seine europäischen Pkw- und Nutzfahrzeug-Werke investiert. Den Plan, schon ab 2030 nur noch vollelektrische Modelle zu verkaufen, hat Ford angesichts der schwächelnden Nachfrage jedoch aufgegeben.
In den USA hat der Hersteller bereits Tatsachen geschaffen. So wurde der Anteil der geplanten jährlichen Investitionsausgaben für Elektroautos von 40 Prozent auf 30 Prozent herabgesetzt. Ford will stattdessen mehr als bislang auf Hybride setzen, sagte aber noch nicht, wo oder wann diese auf den Markt kommen sollen.
Zudem werden seit Langem geplante dreireihige Crossover-Modelle eingestellt und die nächste Generation des großen Elektro-Pickups F-150 Lightning um 18 Monate verschoben, um die Kosten in den Griff zu kriegen. Ford gab an, dass die Änderungen an den Plänen bis zu 1,9 Milliarden Dollar kosten könnten.
GM hat im Juni die Produktionsprognose für Elektroautos gesenkt. Im Jahr 2024 sollen nun statt rund 300.000 nur noch 200.000 bis 250.000 E-Autos der Konzernmarken gefertigt werden. Damit reagiert der Hersteller auf die schwächelnde Nachfrage in den USA.
Finanzchef Paul Jacobson erklärte das gesenkte Produktionsziel mit deutlichen Worten: "Wir wollen nicht in eine Situation geraten, in der wir ein Produktionsziel vorgeben und dann einfach blindlings produzieren und am Ende Hunderttausende von Fahrzeugen auf Lager haben, weil der Markt einfach noch nicht da ist."
Im Jahr 2025 will GM trotzdem E-Auto-Margen im mittleren einstelligen Bereich erreichen.
Hyundai bietet zwar bereits reine Elektro-Modelle an, hat sich der Antriebsart aber nicht vollständig verschrieben. Ein Ende kündigte Ulrich Mechau, President & CEO Hyundai Motor Deutschland, gegenüber der Automobilwoche nur für den Dieselmotor an. So sollen in der aktuellen Marktphase vor allem Hybride und Range-Extender-Fahrzeuge (EREV) dabei helfen, den Absatz zu steigern.
So hält es bis auf Weiteres auch Kia. Beide südkoreanischen Hersteller halten sich bislang mit Aussagen zurück, wonach ab einem bestimmten Datum keine Verbrenner mehr angeboten werden sollen. Auch bewegen sich die Absatzziele für elektrifizierte Modelle in erreichbaren Sphären.
Genesis, die Luxusmarke im Verbund, passt ihren ursprünglich durchaus ambitionierten Elektrokurs an und will nun ebenfalls verstärkt Hybridmodelle anbieten. Ein 100-Prozent-BEV-Portfolio ist zwar nach wie vor das Ziel, aber die Kundschaft soll auf dem Weg dorthin mehr Auswahl haben.