Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung, erläutert, warum die Besetzung von Karin Rådström an der Spitze von Daimler Truck aus ihrer Sicht längst überfällig war, weshalb erst so wenig Frauen an der Spitze von deutschen Großkonzernen stehen und was Unternehmen in vergleichbar entwickelten Industriestaaten wie Großbritannien, Frankreich und vor allem den USA anders machen.
Frau Ankersen, mit Karin Rådström bekommt Daimler Truck als zweites Dax-Unternehmen eine weibliche CEO. Wie beurteilen Sie diesen Schritt für die deutsche Wirtschaft?
Das war längst überfällig. In den DAX-Unternehmen ist inzwischen jeder vierte Vorstandsposten mit einer Frau besetzt. Es ist höchste Zeit, dass diese Frauen auch konsequent bis an die Spitze der Unternehmen befördert werden. Diese Positionen werden ihnen in der Regel noch immer nicht zugetraut.
Beide Dax-Chefinnen, Belén Garijo, seit 2021 CEO des Pharmakonzerns Merck und Karin Rådström, kommen aus dem Ausland. Können Frauen im Ausland besser Karriere machen?
Das ist tatsächlich so. Die deutschen Unternehmen haben noch nicht viel Erfahrung mit Diversität in der Führung. Für Frauen sind amerikanische, britische oder skandinavische Unternehmen attraktivere Arbeitgeber, sie bekommen dort bessere Chancen.
Die Unternehmen bemühen sich schon viel länger um Chancengleichheit und Diversität und befördern auch viel konsequenter Frauen bis in oberste Positionen. Deshalb machen dort viel mehr Frauen eine Top-Karriere als in Deutschland, es stehen also auch mehr zur Verfügung.
Belen Garijo und Karin Rådström haben in Spanien und Schweden ihre Laufbahnen begonnen und sind dann als erfahrene Managerinnen nach Deutschland gekommen. Der Veränderungsprozess verläuft in Deutschland sehr langsam und kommt überhaupt gerade erst richtig in Gang.
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Was machen Unternehmen in Großbritannien, Frankreich oder den USA anders als in Deutschland?
Deutsche Unternehmen sind erst sehr spät in diesen Prozess eingestiegen. Man hat viel Energie in die Diskussion über gesetzliche Quoten gesteckt, anstatt sich mit der Frage zu beschäftigen, warum eigentlich nicht auf natürlichem Wege viel mehr Frauen auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen nachwachsen, die dann eben auch für solche Top-Positionen zur Verfügung stehen.
Für Chancengleichheit und Diversität gab es hierzulande lange kaum ein Bewusstsein. Das ändert sich gerade. Man merkt jetzt, dass da irgendetwas nicht stimmt, wenn es noch immer so viele, teils sehr große, rein männlich besetzte Führungsteams gibt – obwohl schon seit 2012 mehr Frauen als Männer einen Abschluss in BWL machen, also genau die Gruppe, aus der sich die meisten Topmanager rekrutieren.
Warum finden diese Absolventinnen derzeit noch nicht den Weg nach oben in Deutschland?
Weil da in der Praxis eben nicht nur Talent und Qualifikation eine Rolle spielen, sondern auch ganz andere Dinge, die bei der Entscheidung für eine Führungsposition eigentlich nichts zu suchen haben. Zum Beispiel, dass Männer noch immer anderen Männern, die ihnen ähnlich sind, am ehesten zutrauen, was sie selbst können.
Frauen als Führungskräfte werden noch immer viel mehr in Frage gestellt. Und die Vereinbarkeit und die Rollenverteilung in den Familien spielt noch immer eine große Rolle. Die Norm ist in Deutschland: Er macht Karriere, sie verdient ein bisschen was dazu. Das findet Anerkennung, wird vom Staat steuerlich gefördert und führt dazu, dass viele gut ausgebildete Frauen nicht im gleichen Maße zur Verfügung stehen wie Männer.
Neben der Berufung von Karin Rådström als CEO verliert der VW-Konzern zwei Frauen in seinen Markenvorständen: Hildegard Wortmann bei Audi und Imelda Labbé bei VW Pkw. Beide Stellen werden mit Männern nachbesetzt. Wir sind also doch nicht komplett auf einem guten Weg, oder?
Da zeigt sich, welche Unternehmen es ernst meinen mit der Transformation – und welche nicht. Manche versuchen eben, so lange es irgendwie geht, am Status Quo festzuhalten und möglichst wenig zu verändern. Bei Volkswagen wird das ja zurzeit schmerzhaft deutlich, nicht nur bei der Diversität.
Aber ohne diese Veränderungsbereitschaft geht es nicht, im internationalen Wettbewerb ist sie viel stärker ausgeprägt. Unternehmen erzielen bessere Ergebnisse, wenn sie diverser geführt sind. Natürlich ist es nicht so, dass sie eine Frau in einen Vorstandsposten berufen, und im nächsten Quartal sind die Zahlen besser.
Es geht vielmehr um die langfristige Entwicklung, um bessere Entscheidungsfindung, um eine bessere Arbeitskultur. In den USA oder Skandinavien herrscht eine Kultur, die immer angetrieben ist von der Frage, wie können wir langfristig noch besser werden.
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Warum brauchen wir in Deutschland sehr bald Parität in der Wirtschaft?
Ich würde die Frage gern umdrehen: Warum sollten wir uns denn weiterhin so einschränken und ausschließlich auf mittelalte westdeutsche Männer Mitte fünfzig setzen, aus der sich die Führungsspitzen im Moment rekrutieren?
Es gibt ja überhaupt kein Argument dafür, so weiterzumachen wie bisher. Da liegt zurzeit so viel Talent brach, bei den Frauen, bei den Ostdeutschen, bei den Deutschen mit ausländischen Wurzeln.
Es gibt alle Argumente dafür, sich den ganzen Talentpool zu sichern, zu sehen, dass wirklich die besten in die Position kommen, dass wirklich Talent und Leistung entscheiden.
Was entgegnen Sie, wenn es heißt, man habe eine Stelle mit einem Mann besetzt, da es keine qualifizierte Frau für diese Position gegeben habe?
Das ist eine sehr bequeme Ausrede. Jahrzehntelang wurde dieses Argument für die Aufsichtsräte genannt. Als sie dann gesetzlich verpflichtet waren, auch Frauen zu berufen, mussten die Unternehmen lernen, Kompetenz und Potenzial für diese Positionen auch bei Frauen zu sehen - und sie haben es gelernt, unmittelbar. Die Frauen waren die ganze Zeit da gewesen, man musste sie nur auch sehen wollen.