Neue Klasse von BMW: Das kann das Batterie- und E-Antriebskonzept Gen6

Der Trommelwirbel im Vorfeld der Markteinführung der Neuen Klasse zum Ende des Jahres wird intensiver. Im weltweit größten Komponentenwerk des Autobauers in Landshut wurde jetzt erstmals die grundlegend neu konzipierte „Gen6“-Technologie vorgestellt. Sie wird ab diesem Jahr in der Neuen Klasse zum ersten Mal eingesetzt und in der Folge in allen vollelektrischen Modellen der BMW Group genutzt.

Bei der Entwicklung des E-Antriebssystems Gen6, so der Eindruck beim Tech Day im Komponentenwerk Landshut, bringt BMW alles ein, was man sich an technologischer Kompetenz in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut hat, sowohl in der Entwicklung wie der Produktion.

BMW macht einen technologischen Weitsprung geltend: So soll sich durch den Einsatz von Gen6 die Ladegeschwindigkeit und Reichweite um 30 Prozent im Vergleich zu Gen5 erhöhen. Darüber hinaus verfügt das Hochvoltkonzept erstmals über eine 800-Volt-Technologie.

Im Vergleich zur noch im Einsatz befindlichen Gen5 ist die komplett neu konzipierte Batterie deutlich kleiner und flacher. Vorteil: Die Hochvoltbatterie lässt sich unabhängig von der Fahrzeughöhe in unterschiedliche Modelle integrieren, wobei die Batterie die Rolle eines Strukturbauteils in der Karosserie übernimmt.

Im Vergleich mit ihren Vorgängern, den prismatischen Batteriezellen der Gen5, verfüge die neue BMW Rundzelle über eine 20 Prozent höhere Energiedichte. Wie Joachim Post, Vorstand für Einkauf und Lieferantennetzwerk, bei der Veranstaltung sagte, liefere die Batteriezelle ein gutes Beispiel für die Bedeutung des Themas In-House Kompetenz bei BMW.

So habe es bei der Entwicklung der Zelle für BMW eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Experten des eigenen Batteriekompetenzzentrums in Parsdorf und den Zelllieferanten gegeben, indem die Spezifikation der Zelle letztlich definiert wurde. Das funktioniere nur, wenn man sich auf Augenhöhe mit dem Zelllieferanten auseinandersetzen können.

Inhouse-Kompetenz ist auch das Schlagwort für die Weiterentwicklung weitere technologischer Kernthemen wie der Energy Master und der Elektroantrieb. Der Energy Master ist das Hirn des Hochvoltbatteriesystems.

Er sitzt huckepack auf der Hochvoltbatterie und fungiert als Schnittstelle für die Hoch- und Niedervolt-Stromversorgung sowie für die Daten aus der Hochvoltbatterie.
 

Darüber hinaus steuert er die Stromzufuhr der E-Maschine und des Bordnetzes und sorgt für einen sicheren und intelligent gesteuerten Betrieb der Hochvoltbatterie. Beim Bordnetz, inklusive der elektronischen Sicherungen, hält der Autohersteller eine ganze Reihe an Patenten. Sowohl die Hard- als auch die Software des Energy Masters wurden vollständig bei BMW entwickelt.

Ein entscheidender Faktor ist die Positionierung Huckepack auf der Batterie, weshalb der Energy Master hausintern auch als "Penthouse" bezeichnet wird: Gibt es bei Gen5 noch aufwändige Verkabelungen zu den einzelnen Schnittstellen, sind jetzt im Energy Master gebündelt. Technische Weiterentwicklungen und Updates können so mittels Remote-Software-Upgrades unabhängig und in Echtzeit aufgespielt werden.

Beim E-Motor der Gen6 halten die Münchner am bewährten Prinzip der stromerregten Synchronmaschine (SSM) fest. Dabei handelt es sich um Synchronmotoren, bei denen das Magnetfeld im Rotor nicht durch Permanentmagnete, sondern durch eine mit Gleichstrom erregte Wicklung erzeugt wird. Die Stärke des Rotormagnetfeldes kann dabei optimal an den jeweiligen Lastzustand angepasst werden.

Der Synchronmotor wird wie in der Gen5 über der Hinterachse sitzen und vereint die elektrische Antriebsmaschine, Leistungselektronik und Getriebe in einem kompakten Gehäuse. Patentgeschütztes Knowhow steckt in zahlreichen technischen Details der Maschine. Auf den vergussfreien Rotor zum Beispiel entfallen mehr als zehn Patentanmeldungen.

In der Gen6 kommt eine zweite, zusätzliche E-Motoren-Technologie zum Einsatz: die Asynchronmaschine (ASM). Das Magnetfeld des Rotors wird hier weder durch
Permanentmagnete (PSM) noch durch eine elektrische Erregung (SSM) erzeugt, sondern per Induktion durch den Stator.

Der Rotor besteht bei dieser Bauart aus einem metallischen Käfig. Vorteile der Asynchronmaschine sind ein kompakteres Design sowie eine verbesserte Kosteneffizienz. Die ASM-Varianten sitzen auf der Vorderachse und kommen in den xDrive-Varianten der Neuen Klasse zum Einsatz.

Insgesamt führen die im E-Antrieb eingesetzten neuen Technologien sowie die Weiterentwicklung bestehende Systeme zu signifikanten Verbesserungen. So konnten laut Michael Salmansberger, Projektleiter elektrische Antriebssysteme die Energieverluste um 40 Prozent gesenkt, die Kosten um 20 Prozent reduziert und das Gewicht um zehn Prozent verringert werden.

Wesentliche Entwicklungsleistungen für den Energy Master wurden von dem Entwicklerteam in Landshut erbracht und für den E-Antrieb von den Entwicklern am Standort Steyr, wo BMW sein größtes Motorenwerk und eine der wichtigsten Entwicklungsstandorte für Antriebe unterhält.

Damit endet die bedeutende Rolle, die die beiden Standorte für die Neue Klasse spielen, nicht. Sie können künftig federführend produzieren, was im Haus entwickelt wurde.

Im Komponentenwerk Landshut ist auf einem ehemaligen Logistikareal eine Produktionsstätte mit einer Fläche von rund 35.000 Quadratmetern für die Fertigung des Energy Master entstanden. Dass das Hirn des Batteriesystems der Neuen Klasse hier produziert wird, ist eine Art Ritterschlag für die Beschäftigten am Standort.

Es ist ein Novum dass Entwicklung und Produktion dieses zentralen Steuergeräts inhouse bei der BMW Group stattfinden: "Das Werk ist gleichzeitig Innovations-Hub und Transformationstreiber", sagt Post.

Die Produktion startet im August. Aktuell befindet sich die Fertigung mit einem Automatisierungsgrad von mehr als 90 Prozent in der Anlaufphase. Mit dem Produktionsstart arbeiten 200 Beschäftigte im Werk, nach dem Hochlauf rund 700 Mitarbeiter an zwei Linien im Dreischichtbetrieb.

Der hohe Automatisierungsgrad mit bis zu 400 Robotern in der finalen Ausbaustufe garantiere für maximale Effizienz. Umfassende In-Prozess-Überwachungen, unter anderem mit KI-basierten Kamerasystemen, sowie 100-prozentige End-of-Line-Systemprüfungen in einer Reinraum-Umgebung sollen für ein Höchstmaß an Qualität sorgen.

Auch die elektrischen Antriebe werden dort gebaut, wo sie federführend entwickelt wurden: im oberösterreichischen Steyr. Bereits seit September 2024 läuft die Vorserienproduktion. Die Vorserienmotoren werden intensiv getestet und zum Teil heute schon in den Erprobungsfahrzeugen der Neuen Klasse aus dem Werk Debrecen eingesetzt.

In den Ausbau der Entwicklungs- und Produktionskompetenz für E-Antriebe investiert BMW seit Projektstart 2022 bis 2030 über eine Milliarde Euro in den Standort. Durch die Kapazitätserweiterung bleibt das Werk führender Antriebsstandort des Münchner Autoherstellers.

Seit über 40 Jahren entwickelt und fertigt das Werk Verbrennungsmotoren der Marken BMW und MINI. Die langjährige Erfahrung und hohe Kompetenz im Bereich Antrieb machen das Werk Steyr zum idealen Standort für die Produktion der Gen6-Elektromotoren. Die dortige E-Motorenfertigung verfügt über eine Kapazität von 600.000 E-Antrieben pro Jahr: „Sowohl Landshut wie Steyr spielen eine essenzielle Rolle für die Neue Klasse“, betont Post im Gespräch.

Die Montage der Hochvoltbatterien für die Neue Klasse erfolgt in fünf neuen Produktionsstätten. BMW platziert sie nach dem Prinzip "Local for Local" nah an den Fahrzeugwerken. So entstehen in Irlbach-Straßkirchen (Niederbayern), Debrecen (Ungarn), Shenyang (China), San Luis Potosí (Mexiko) und Woodruff bei Spartanburg (USA) Montagestandorte für die Hochvoltbatterien der Gen6.

Dieser Ansatz sei gerade in politisch volatilen Zeiten wie derzeit eine wichtige Absicherung der Produktion auch bei unvorhergesehenen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen ab, betont Post. Zudem würden die bestehenden Standorte gestärkt, Arbeitsplätze erhalten und geschaffen.

Das Prinzip setzt sich im Lieferantennetzwerk für Batteriezellen fort: Um den Bedarf für die Gen6 abzudecken, hat die BMW Group fünf Batteriezellfabriken – verteilt auf Europa, China und die USA – mit verschiedenen Partnern vertraglich vereinbart.

Wichtiger Zelllieferant in China ist CATL. Auf dem BMW-Areal in Debrecen plant EVE Energy Anfang 2026 die Eröffnung seiner ersten Gigafactory in Osteuropa, und in Bowling Green/Tennessee steht die Gigafactory von BMW-Partner Envision AESC kurz vor der Eröffnung.