Bei Entertainment-Angeboten im Fahrzeug sind viele zurückhaltend. Deutsche Hersteller bringen jetzt neue Angebote. Können sie die Skepsis der Kunden überwinden?
Mercedes kooperiert ab kommendem Jahr mit der Spieleplattform Boosteroid und will so große, grafisch anspruchsvolle Videospiele im Fahrzeug anbieten.
Im Bereich innovativer In-Car-Entertainment-Angebote kämpfen viele Hersteller nach wie vor mit geringer Marktakzeptanz ihrer Angebote. Eine Studie des US-Datenanalysten J.D. Power offenbarte zuletzt sogar, viele Kunden würden neue Technologien im Fahrzeug als wenig nützlich und eher störend empfinden.
Dennoch starten in den kommenden Monaten gleich drei deutsche Hersteller mit ambitionierten, neuen Entertainment-Angeboten in ihren Modellen. Der Automobilwoche-Überblick.
Bei der Vorstellung des ID.7-Topmodells GTX verkündeten die Wolfsburger den Kooperationsstart mit dem Schweizer Anbieter AirConsole. Das Unternehmen arbeitet bereits seit längerem auch mit BMW zusammen und bietet cloudbasierte Spieleformate direkt auf dem Fahrzeugdisplay.
Der Clou bei AirConsole: Die Smartphones der Fahrzeuginsassen werden zum Controller. Zusätzliche Hardware, wie bei Audis jüngst gescheitertem Start-up Holoride, muss nicht mitgeführt werden. Schon Mitte September startet die AirConsole in Volkswagens Elektroflotte vom ID.3 bis ID.7 (ab Software 4.0), zudem auch im neuen Passat, dem neuen Tiguan, dem neuen Golf und dem neuen Golf Variant.
Kunden zahlen für die Nutzung des Spielekatalogs der AirConsole eine monatliche Nutzungsgebühr. Bei BMW sind das in einem gebündelten Entertainment-Paket mit mehreren Apps momentan 9,98 Euro im Monat. Volkswagens Preise für die AirConsole sind noch nicht bekannt.
Ab Mitte September bietet Volkswagen die Cloud-Spielelösung AirConsole in seinen neuen Modellen an. Der Anbieter arbeitet auch mit BMW zusammen.
Spielen im Auto, darauf setzt auch Mercedes. Selbst, wenn der Markt aktuell nur schleppend anläuft. Im Rahmen der Spielemesse Gamescom, die am vergangenen Sonntag endete, kündigten die Stuttgarter eine Partnerschaft mit dem Cloud-Gaming-Anbieter Boosteroid an.
Boosteroid will nach eigenen Angaben ab 2025 rund 1000 hochkarätige Videospiele, wie den gerade bei Jugendlichen sehr beliebten Shooter-Klassiker Fortnite auf die Displays der MBUX-Infotainment-Systeme bringen. Die App soll Teil des Entertainment Package Plus werden, das Mercedes im Abo vertreibt.
Magnus Östberg, Chief Software Officer von Mercedes: "Der cloudbasierte Ansatz ist die ideale Lösung, um unseren Kundinnen und Kunden sowie Videospiel-Fans Triple-A-Gaming zu ermöglichen. Damit zeigen wir eindrucksvoll, wie wir MBUX im Einklang mit den Wünschen und Erwartungen unserer Kundinnen und Kunden weiterentwickeln."
Als Spielecontroller kann wie bei AirConsole das Mobiltelefon verwendet werden. Aber auch jegliche Bluetooth-Gamepads können über die Boosteroid-App verbunden werden, so Mercedes.
BMW-Kunden können Bundesliga-Spiele im Fahrzeug über eine eigene App schauen.
Während Volkswagen und Mercedes ihr Gaming-Angebot erweitern, setzt BMW auf einen Ausbau seiner Kooperation mit der DFL und Bundesliga-Übertragungen in seinen Fahrzeugen. Die Verträge zwischen dem Premium-Hersteller, der für das Angebot eine eigene App entwickelte, und dem Liga-Rechteinhaber mit Sitz in Frankfurt wurden vor dem Bundesliga-Saisonstart um eine weitere Spielzeit verlängert.
Bis Mai 2025 können BMW-Kunden mit Operating System 8.5 oder 9 ausgewählte Live-Übertragungen im Fahrzeug verfolgen. Natürlich nur im Stand bei Ladepausen, oder erstmals im 7er bei eingeschaltetem Personal Pilot Level 3 während der Fahrt bis Tempo 60 km/h.
"Die kontinuierliche Verbesserung des immersiven Erlebnisses durch die technologische Weiterentwicklung von In-Car-Entertainment-Systemen und das verstärkte Bedürfnis nach passendem, emotionalem Content bestätigen, dass wir mit diesem Pilotprojekt den Markttrend treffen. Wir freuen uns, die positive Entwicklung der Idee fortzuführen“, so Roman Schade, bei der DFL für die audiovisuellen Rechte in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich.
Bis die drei neuen Angebote der Hersteller zum Massenerfolg werden, wird es aber noch dauern. Noch fehlt es an wirklich immersiven Gaming-Angeboten (Spiele, in die der Spieler eintauchen kann, d. Red.), die die spezielle Situation in einem Fahrzeug wirklich ausnutzen.
Timo Möller, Leiter Center for Future Mobility bei McKinsey, sagte der Automobilwoche bereits Anfang des Monats: „Der Markt für In-Car-Gaming ist nicht tot. Der Markt ist nur hart in der Realität angekommen. Die Euphorie für das Thema war groß, aber benötigt auch eine entsprechende Umgebung im Fahrzeug. Hier hat sich in den letzten Jahren bei Fahrzeugen für den europäischen Markt relativ wenig getan.“
