Analyse: VW ID.1 – zu spät, zu teuer, zu schwach?

Die Weltpremiere der VW-Studie ID.Every1 hat große Aufmerksamkeit erregt, doch bis das Serienmodell auf die Straße kommt, wird es noch dauern. Die Serienversion ist für 2027 angekündigt, Marktstart voraussichtlich erst 2028.

Viele fragen sich: Warum braucht VW so lange, warum sind die Chinesen so viel schneller? Die Antwort von VW-Entwicklungsvorstand Kai Grünitz überrascht: Sind sie gar nicht! Volkswagens Problem sind eher verschenkte Jahre. Grünitz, selbst erst seit 2022 im Amt, formuliert es diplomatischer: VW habe damals das ein oder andere nicht mehr so richtig gemacht.

Tatsächlich begann VW die Entwicklung seiner kleinen Stromer mit dem Showcar des ID.2all im März 2023 neu. Der damals frisch von Bentley geholte Chefdesigner Andreas Mindt verwarf den ID.Life von der IAA 2021 und stellte wieder einen klassischen Volkswagen auf die Räder. Parallel dazu definierte Grünitz mit seinem Team, was ein Volkswagen künftig können muss.

Die Basis war gelegt: Der Modulare E-Antriebs-Baukasten (MEB) sollte weiterentwickelt und auf Frontantrieb umgestellt werden. Doch im Detail begann das Entwicklerteam fast von vorn. Es erarbeitete einen Anforderungskatalog mit 34 Punkten, heruntergebrochen auf einzelne Fahrzeugsegmente.

Dabei stellten sich banale, aber entscheidende Fragen: Braucht es eine Gurthöhenverstellung? Muss jedes Fenster einen eigenen Heber haben? Ist ein Lautstärkeregler notwendig? Früher hatte VW hier oft mit Nein geantwortet.

Parallel zur Aufwertung der bestehenden ID-Modelle konzipierte Grünitz' Mannschaft die Modelle ID.2 und ID.1 neu – mit einer strikten Preisvorgabe: 25.000 Euro für den ID.2, noch einmal 5.000 Euro weniger für den ID.1. 

2026 soll der ID.2 starten, drei Jahre nach Entwicklungsbeginn – und damit im Zeitplan. Thomas Schäfer betonte jüngst erst wieder das Ziel für neue Entwicklungen: 36 Monate Time-to-Market.

Angesichts der komplexen Anforderungen seien die Hersteller aus Fernost "definitiv auch nicht schneller", so Grünitz. "Ich trimme die gesamte technische Entwicklung auf Speed, ohne den Kostenpunkt zu verlieren", erklärt der Chefingenieur.  Umso erstaunlicher, dass das Entwicklerteam für den ID.1 den Unterbau extra verkürzt hat, also auf einen kleineren Radstand als beim ID.2 setzt. Der Aufwand ist deutlich höher, als würde man nur die Überhänge reduzieren – zeitlich, und finanziell. Das Geld wieder reinzuholen, dürfte in Anbetracht der erwartbaren, überschaubaren Margen, kaum möglich sein. 

VW entwickelt derzeit also zügig, doch es gibt bereits Elektro-Modelle in dieser Preisklasse. Aktuell allerdings nur zwei: Stellantis-Partner Leapmotor brachte 2024 den T03 für 18.900 Euro auf den Markt, der Dacia Spring startet ab 17.000 Euro.

Andere Fahrzeuge orientieren sich preislich eher am ID.2: Renault 5, Hyundai Inster, Citroën e-C3 und Fiat Grande Panda Elektro kosten zwischen knapp 24.000 und 25.000 Euro. Günstigere Versionen unter 20.000 Euro sind teilweise angekündigt, aber noch nicht erhältlich – ebenso wie der BYD Seagull oder Dolphin Mini.

Keine Frage: Bis zum Marktstart des ID.1 werden weitere günstige Modelle folgen. Doch das muss VW nicht unbedingt schaden, denn derzeit gibt es für diese Fahrzeuge noch relativ wenig Nachfrage. Zwar hat VW schon vor Jahren den E-Up verhältnismäßig erfolgreich verkauft, doch profitierte der Zwerg stark von Early-Adoptern und dem Umweltbonus.

Dazu kommt: Die aktuelle Diskussion um verschobene CO2-Ziel-Bewertungen und ein mögliches Aus des Verbrenner-Aus beflügeln den E-Auto-Markt nicht gerade. Hybridisierte Verbrenner-Kleinwagen könnten vor den reinen Stromern noch Fahrt aufnehmen.

Ein 20.000-Euro-Stromer ist auch heute noch vorrangig für Eigenheimbesitzer mit Wallbox ein attraktiver Zweitwagen, doch diese Klientel allein reicht nicht für die nötigen hohen Stückzahlen. Vom elektrischen Up hat VW hierzulande in zwölf Jahren circa 66.000 verkauft, dem gegenüber stehen rund 360.000 Benziner.

Entscheidend für ein großes Absatz-Volumen dürften die Erstwagenkäufer sein, oft mit begrenztem Budget, vielfach in der Stadt wohnend, ohne eigene Lademöglichkeit und von hohen Strompreisen an öffentlichen Ladesäulen bislang noch häufig abgeschreckt. 

Dass andere Hersteller eher ins Kleinstwagengeschäft einsteigen, könnte sich für VW am Ende sogar bezahlt machen. Schon häufig hat die Marke von Wegbereitern profitiert, die den Erfolgspfad für die Niedersachsen geebnet und der Kundschaft Lust auf diese Art von Autos gemacht haben. Das war beim Tiguan so, beim Touran und beim Sharan.

Am Ende könnten VWs starker Name und das dichte Händlernetz über den Erfolg entscheiden. Selbst wenn die lange erwartete Welle günstiger chinesischer Elektroautos kommt, werden viele Kunden einen preiswerten Volkswagen bevorzugen. Junge Marken haben es schwer, schnell ein flächendeckendes Servicenetz aufzubauen.

Ab 2026 bietet VW mit dem ID.2 zudem ein drängenderes Modell an. Die jüngste Leasing-Aktion des ID.3 zeigte: Die Nachfrage in der 25.000-Euro-Klasse ist bereits größer. VWs gestaffelter Zeitplan könnte aufgehen.

Entscheidender dürfte die Frage sein, ob die Technik des ID.1 wenn er Ende 2027 an den Start geht, zeitgemäß ist. 95 PS und 130 km/h werden aktuell von vielen belächelt, sind am Ende aber in dieser Klasse sicher nicht die entscheidenden Faktoren – wichtiger ist die Reichweite. VW spricht derzeit von "mindestens 250 Kilometern". 

Das ist das, was ein Leapmotor T03 heute schon kann und etwas mehr als der Dacia Spring bietet. Diese und andere Hersteller werden nicht schlafen, in den kommenden Jahren weiterentwickeln, vielleicht an VW vorbeiziehen.

Offen ist, ob in den kommenden Jahren in diesem Preissegment wirklich mit einem großen Durchbruch zu rechnen ist – und ob VW eventuell auch schon daran arbeitet. 

Mit der eigenen Batteriezell-Fertigung der PowerCo-Sparte will der Konzern das Zepter selbst in die Hand nehmen. Die Einheitszelle, für ID.2 und 1 aus spanischer Produktion, soll nicht nur den Preis senken – bis 2027 will VW die Batteriekosten auf die Hälfte von vor zwei Jahren drücken –, sondern könnte auch den technischen Fortschritt beschleunigen. Volkswagen will der Implementierung neuer Techniken nicht auf Zulieferer angewiesen und weniger anfällig für externe Engpässe sein. Dafür muss die hauseigene Produktion aber erst einmal Fahrt aufnehmen, aktuell werden nur Vorserien-Produkte gefertigt.  

Dass VW in Anbetracht des angepeilten Preises keinen riesigen Stromspeicher verbauen kann, ist klar. Wie groß der Akku wirklich ist, lässt der Konzern noch offen. Fakt ist: Kleine Stromspeicher sind durchaus vernünftig. Sie sparen Energie und Rohstoffe in der Produktion, sind leichter und senken den Verbrauch – und eben den Preis. 

250 Kilometer sind für die meisten Kleinwagen-Fahrer zudem ausreichend. Die durchschnittliche Fahrleistung in Deutschland beträgt 12.320 Kilometer pro Jahr, Benziner-Fahrer liegen bei 9.580 Kilometern. Das entspräche beim ID.1 etwa 40 Ladevorgängen pro Jahr, weniger als einmal wöchentlich.

Wichtig ist: VW muss liefern! Die 250 Kilometer dürfen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen auch real erreicht werden. Und sie müssen im Basis-Modell verfügbar sein: VW nennt heute die Reichweite und den Preis – beides muss 2027 zusammenkommen, damit der ID.1 überzeugen kann. Steigen die Wolfsburger aus Kostengründen mit einem kleineren Akku ein, setzen sie den Erfolg des Stromers aufs Spiel.

Zudem muss das Laden schnell gehen – gerade für Kunden ohne eigene Lademöglichkeit. Ein zügiger Ladestopp am Charging Hub muss problemlos machbar sein und genauso komfortabel wie ein Abstecher zur Tankstelle. Dann funktioniert das Konzept im Alltag, und auch längere Ausflüge sind gelegentlich möglich.

Wie schnell das Nachladen funktionieren soll, verrät VW ebenfalls noch nicht. Angesprochen auf die maximal 11 kW Ladeleistung, die die Basis-Version des Renault 5 bietet, schüttelte Grünitz nur den Kopf. Der ID.1 lade freilich schneller. Schnell heißt aber: Gleichstrom und mindestens 50 kW. Kai Grünitz und sein Team haben nun drei Jahre Zeit, um das alles sicherzustellen. Sie sollten sie nutzen.