Der Verbrenner verliert eine Bastion nach der anderen. Es ist ein Rückzugsgefecht von historischem Ausmaß und erinnert an den Untergang der mittelalterlichen Ritter, die tapfer mit Schwert und Rüstung gegen Fußsoldaten mit Langbogen und Feuerwaffen antraten – ein aussichtsloser Kampf.
Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der Otto- und Dieselmotor, betrieben mit fossilen Kraftstoffen, so effizient, sauber und kraftvoll ist wie nie zuvor, schlägt sein letztes Stündlein.
Die meisten Autobauer zögerten in den vergangenen Jahren mit dem Einstieg in die Großserienfertigung von E-Modellen. Sie wollten nicht riskieren, zu früh und isoliert auf das neue Ökosystem E-Auto zu setzen. Inzwischen jedoch liegt das größere Risiko bei den Zögerlichen. Wer jetzt nicht aufbricht ins E-Zeitalter, könnte am Ende alles verlieren – wie die Ritter ihre Lehen, ihre Burgen und ihre Macht.
Die strategische Landkarte hat sich komplett verändert. Die Gründe sind bekannt: strenge Emissionsvorgaben, hohe staatliche Förderung, globale Klimadiskussion, sinkende Batteriepreise, besser ausgebaute Ladeinfrastruktur und nicht zuletzt ein wachsendes Angebot attraktiver E-Autos.
Todesstoß Pandemie
Den Todesstoß hat dem Verbrenner die Corona-Pandemie versetzt. Denn wohl erst 2025 wird der globale Neuwagenabsatz wieder das Niveau vor der Krise erreichen. Das prognostiziert die Strategieberatung BloombergNEF. In dieser Zeit der Unsicherheit will jede Ausgabe doppelt gut begründet sein. Jede mehrgleisige Entwicklung hat es noch schwerer als in guten Zeiten. Die Konsequenz: volle Konzentration auf den batterieelektrischen Antrieb.
Als einer der ersten traditionellen Autobauer kündigte Volvo Cars Anfang März den radikalen Schnitt an: Die Schweden bieten ab 2030 nur noch reine E-Modelle an. Und kassieren nebenbei das Vertriebsmodell Händlerverkauf. Künftig werden die Fahrzeuge nur noch online vom Hersteller direkt verkauft. Vorstandschef Håkan Samuelsson argumentiert: "Anstatt in ein schrumpfendes Geschäft zu investieren, investieren wir lieber in die Zukunft – elektrisch und online."
Boris küsst Ford wach
Fast ebenso radikal ist die Antwort von Ford. Von 2030 an sollen in Europa alle Pkw-Modelle rein elektrisch angetrieben werden. Schon von 2026 an wollen die Amerikaner jedes Pkw-Modell in Europa entweder mit einer Plugin-Lösung oder rein elektrisch anbieten. Auch die Nutzfahrzeugpalette soll von 2023 an elektrifiziert werden. Möglich macht den schnellen Schwenk die Anfang 2019 vereinbarte umfangreiche Kooperation mit Volkswagen.
Bislang gehörte Ford zu den Schlafmützen in der Elektrowelt. Als erster rein elektrischer Pkw kommt in diesem Jahr das Nischenmodell Mustang Mach E auf den Markt. Das wird nun schnell anders. In Köln soll von 2023 an das erste rein elektrische Volumenmodell der Marke gebaut werden – auf Basis der MEB-Plattform von Volkswagen.
Ford bleibt keine andere Wahl, wenn der Autobauer seinen wichtigsten Markt in Europa nicht verlieren will. Im November kündigte der britische Premier Boris Johnson eine Entscheidung mit Tragweite an: Schon von 2030 an dürfen in Großbritannien keine neuen Pkw mehr allein mit Benzin- oder Dieselmotoren verkauft werden. Plug-in-Hybride sind noch bis 2035 erlaubt. Ursprünglich sollte dieser Schnitt erst 2040 kommen. Großbritannien ist nun kein kleiner Markt wie Norwegen, sondern der viertgrößte Pkw- Markt Europas.
Zwiespalt in Wolfsburg
Europas größter Autobauer Volkswagen agiert unterdessen ambivalent. Einerseits macht Konzernchef Herbert Diess gehörig Tempo bei der Elektrifizierung. Die ID-Familie wird rasch ausgebaut, der "Tesla-Fighter" Artemis kommt als Flaggschiff in drei Jahren. Doch wann er den letzten Verbrenner-Pkw verkaufen will, lässt Diess offen. VW-Markenchef Ralf Brandstätter sagte dazu der Automobilwoche: "Wir gehen davon aus, dass 2040 die letzten Verbrenner auf die Straße kommen. Es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten. In Europa laufen wir vorweg. In anderen Ländern wird es länger dauern."
Audi-Chef Markus Duesmann wurde in der vergangenen Woche noch deutlicher: "Wir werden keine neuen Verbrennungsmotoren mehr entwickeln, sondern unsere bestehenden Verbrennungsmotoren an neue Emissionsrichtlinien anpassen." Inzwischen kündigte auch VW-Markenchef Brandstätter an, wohl keine neuen Verbrenner mehr zu entwickeln. Das Ziel lautet, ab 2030 in Europa im Pkw-Bereich auf einen Stromer-Anteil von 70 Prozent zu kommen.
"Electric First" bei Mercedes
Bei Mercedes galt bislang das Fernziel, im Jahr 2039 aus der Verbrennertechnologie im Pkw auszusteigen. Doch möglicherweise zieht Daimler-Konzernchef Ola Källenius diesen Zeitpunkt vor. Es gebe "produktseitig in der nahen Zukunft keinen rationalen Grund mehr, sich für einen Verbrenner zu entscheiden", sagt Entwicklungschef Markus Schäfer.
Fest steht: Bis 2024/2025 will Daimler alle Plattformen auf einen möglichen E-Antrieb umstellen, dabei aber möglichst lange flexibel bleiben. "Wir sind mit unserer Strategie Electric First darauf vorbereitet, aber am Ende entscheidet dies der Markt", sagt Frank Deiß, Leiter der Antriebseinheit bei Mercedes. Die Motorenpalette werde derzeit auf die Abgasnorm Euro 7 vorbereitet, aber es werde nicht mehr in grundlegende Neuentwicklungen investiert.
"E-Mobility first" bei BMW
Zwischen Vollgas und Standgas schwanken auch andere Autobauer, die noch kein festes Ausstiegsdatum genannt haben. "Wir geben Vollgas beim Batteriefahrzeug", sagte vor wenigen Tagen Stellantis-Chef Carlos Tavares. Die Plug-in-Hybride könnten auch schon bald wieder "verschwinden".
BMW-Chef Oliver Zipse bestätigte nun, dass bei der Marke Mini der letzte Verbrenner im Jahr 2025 verbaut werde. Nahezu wortgleich wie bei Mercedes heißt es bei BMW ab 2025 "E-Mobility first". Dann bringen die Bayern ihr erstes Modell der "Neuen Klasse" auf den Markt. Bis 2030 wolle man, so Zipse, zehn Millionen E-Autos auf die Straße bringen.
Mitarbeit: Michael Gerster/Frank Johannsen/Mirabell Schmidt-Lackner
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