Herr Mosch, Sie waren im Januar seit genau 15 Jahren als Betriebsratsvorsitzender im Amt. Damit sind Sie länger im Amt als der gesamte aktuelle Vorstand zusammen.
(Lacht) Locker!
Ändert das auch Ihre Rolle im Unternehmen? Werden Sie von den neuen Vorständen als Ratgeber gesucht?
Ja, der Betriebsrat ist hier schon ein bisschen der Fels in der Brandung. Und mit den neuen Vorständen habe ich es schon erlebt, dass sie auf meinen Rat zurückgreifen. Wir sind da schon auf Augenhöhe.
Und auch inhaltlich auf einer Linie?
Wir haben da schon eine größere Schnittmenge, was wir gemeinsam auf den Weg bringen wollen. Nämlich, dass Audi die Rolle als Speerspitze der technologischen und ökologisch nachhaltigen Entwicklung, die zuletzt etwas gelitten hat, wieder einnehmen kann und wieder ganz weit vorne mit dabei ist. Dass wir das "Vorsprung durch Technik" wieder mit neuen Ideen und Leben füllen.
Da ist aber in den vergangenen Jahren einiges verloren gegangen. "Vorsprung durch Technik" verbanden viele ja zuletzt eher mit Tesla oder vielleicht BMW.
Natürlich haben die Audi-Ringe etwas an Glanz verloren, wenn wir die letzten fünf Jahre sehen. Da hat Dieselgate seine Spuren hinterlassen. Aber ich habe jetzt wieder ein gutes Gefühl, dass wir seit knapp einem Jahr mit Markus Duesmann an der Spitze wieder Stück für Stück Boden gutmachen, wieder nach vorn kommen. Und dass wir wieder weit oben im Wettbewerb mit dabei sind.
"Duesmann ist Techniker mit Leib und Seele"
Was vor allem Duesmann zu verdanken ist, der seit April 2020 an der Audi-Spitze steht?
Er sieht es einfach als seine oberste Aufgabe an, Audi wieder an die Spitze zu bringen. Und er arbeitet da wirklich zielstrebig dran. Technik steht jetzt wieder im Vordergrund, er hat das gesamte Produktportfolio durchkämmt und die technischen Ansprüche wieder ganz nach oben geschraubt. Und die Menschen merken das auch. Duesmann ist Techniker mit Leib und Seele. Man sieht ja, dass er selbst Hand anlegt und auch selbst an Autos und Motorrädern schraubt. Das wirkt einfach authentisch und hat die Leute hier schnell begeistert. Das ist für die Belegschaft wichtig.
Gerade nach der Erfahrungen mit dem Dieselskandal 2016?
Ja, das war schon sehr niederschmetternd. Was dort passiert ist, war auch für mich bis dahin unvorstellbar. Da ist auch viel Stolz verloren gegangen bei den Audianern. Und viele hatten Existenzangst, weil ja gar nicht abzusehen war, wie es weitergeht. Da sind auch bei mir einige graue Haare hängen geblieben. Seither ist aber viel getan worden, damit so etwas in dieser Dimension nicht wieder passieren kann.
Audi startet gerade eine massive Elektrooffensive. Das erste Volumenmodell Q4 e-tron wird jetzt bei VW in Zwickau gebaut, der neue Top-Stromer aus dem Artemis-Projekt ab 2024 bei VW Nutzfahrzeuge in Hannover. Hätten Sie die nicht auch selbst bauen können?
Natürlich kämpft jeder erst einmal für die eigenen Standorte. Deswegen habe ich da schon ein weinendes Auge dabei. Aber es wird ja auch eine zweite Generation der Fahrzeuge geben. Wenn die Stückzahlen weiter nach oben gehen, stellen wir dann schon den Anspruch, Modelle auch wieder zurückzuholen in das Audi-Produktionsnetzwerk.
"Wir müssen mehr Wertschöpfung in die Werke holen"
Das klingt aber noch nach sehr ferner Zukunft.
Keineswegs! Da werden durch den Green New Deal der EU gerade alle Karten neu gemischt. Wir müssen die Elektrifizierung noch schneller vorantreiben und wir werden zwischen 2025 und 2030 noch deutlich mehr Elektrofahrzeuge im VW-Konzern bauen, als noch im vergangenen Jahr gedacht. Das muss jetzt bis zur nächsten Planungsrunde im November alles noch einmal neu geplant werden. Die nächsten sechs Monate werden da entscheidend sein. Im November dieses Jahres wissen wir dann sicher mehr.
Ihrem VW-Kollegen Bernd Osterloh ist es dagegen gelungen, das Zukunftsprojekt Trinity nach Wolfsburg zu holen. Kommt da bei Ihnen nicht etwas Neid auf?
Überhaupt nicht. Trinity wird ja nicht nur ein Auto, sondern eine neue Plattform. Da werden dann einige Modelle darauf gebaut werden, auch von Audi. Ich sehe das sehr positiv, dass wir diese Plattform dann auch bei Audi einsetzen werden.
E-Autos sind aber in der Produktion weniger arbeitsintensiv als Verbrenner. Drohen da nicht doch Arbeitsplätze wegzufallen?
Für die deutschen Standorte Ingolstadt und Neckarsulm sehe ich da wenig Probleme, weil wir hier den Antriebsstrang nicht machen. Vom Karosseriebau über die Lackiererei bis hin zur Montage ist der Arbeitsaufwand ja ähnlich. Da ändert sich grundsätzlich nicht viel, aber wir wollen trotzdem personalpolitisch Beschäftigung in neuen Feldern aufbauen und die Kolleginnen und Kollegen für zukünftige Tätigkeiten gezielt weiter qualifizieren. Wo sich ganz viel ändern wird, ist der Antriebsstrang. Da wird viel passieren.
Und wie wollen Sie das ausgleichen?
Hier müssen wir mehr Wertschöpfung in die Werke holen. Deshalb fordern wir, dass wir in Ingolstadt ab 2023, wenn hier die ersten Elektromodelle auf der PPE-Plattform anlaufen, auch eine eigene Batterieproduktion vor Ort haben. Damit hier einfach mehr Wertschöpfung entsteht.
"Das Thema Batteriezellen haben wir in Deutschland und Europa komplett verschlafen"
Aber in Brüssel, wo seit 2018 der Audi e-tron gebaut wird, gibt es doch schon eine eigene Batteriemontage. Und auch in Ingolstadt ist eine geplant.
Ja, aber dabei geht es nur um die reine Montage der angelieferten Batteriepacks, die hier nur noch zusammengebaut und ins Gehäuse gesetzt werden, um sie dann ins Fahrzeug zu hieven. Wir Betriebsräte fordern schon einen Schritt früher einzusteigen, also auch das Zusammensetzen der Zell-Module zu Batteriepacks hier am Standort zu machen.
Und in Györ in Ungarn, wo bisher die Verbrennungsmotoren entstehen?
In unserem größten Motorenwerk in Györ haben wir ja schon umgeschwenkt und dort auch Fahrzeugproduktion angesiedelt. Und natürlich bauen wir auch die Elektromotoren dort.
Die Zellen kann man also getrost weiter bei Zulieferern aus Asien einkaufen?
Das Thema Batteriezellen haben wir in Deutschland und Europa ja komplett verschlafen. Da sind wir meilenweit entfernt von den Kollegen in Asien. Und daran ist vor allem die fehlende Industriepolitik in Deutschland schuld. Insofern ist es gut, dass VW jetzt beginnt, da wieder Know-how aufzubauen. Aber im Moment sind wir da viel zu weit hinten. Wenn wir das aufholen wollen, muss sich eben auch die Industriepolitik ändern. Wir haben ja ganz viele tolle Forschungseinrichtungen. Aber wir schaffen es nicht, das in eine Richtung zu bündeln und daraus marktfähige Produkte zu entwickeln. Hier müsste gezielter Forschungs- und Innovationsmanagement gefördert werden.
"Die Beschäftigungssicherung bis Ende 2029 gilt weiter"
Der VW-Konzern hat angekündigt, die Fixkosten bis 2023 noch einmal um fünf Prozent zu senken, und zwar konzernweit. Drohen jetzt neue Einschnitte bei Audi?
Da bin ich eigentlich sehr entspannt. Ja, der Aufsichtsrat hat sich vorgenommen, noch einmal über die Fixkosten drüber zu gehen...
...mit Zustimmung der Arbeitnehmervertreter in dem Gremium, zu denen ja auch Sie gehören.
Ja. Aber, und das ist uns wichtig, unter Einbeziehung der bestehenden Programme. Und bei Audi haben wir ja schon unser großes Paket "Audi Zukunft" vereinbart, das schon Milliarden einspart. Und das zählt bei den fünf Prozent mit ein. Wir haben unsere Hausaufgaben schon gemacht.
Also gar keine neuen Einsparungen?
Wir werden jetzt schauen, was zusätzlich möglich und vor allem sinnvoll ist. Das hat für uns aber erst einmal keine Personalrelevanz. Die Beschäftigungssicherung bis Ende 2029 gilt weiter. Das ist auch wichtig, dass die Menschen nicht mit Angst leben müssen in dieser großen Transformation. Sondern dass alle sagen: Wir wuppen das gemeinsam!
Wenn Sie die 15 Jahre an der Betriebsratsspitze noch einmal Revue passieren lassen, was war das tollste Erlebnis, an das Sie sich gern zurückerinnern?
Das war 2012. Da hatte ich die Gelegenheit, Fritz Böhm, der einer meiner Vorgänger war, hier noch einmal durchs Werk zu führen. Fritz Böhm war ja von 1951 bis 1985, also 25 Jahre lang, Betriebsratsvorsitzender, also zu der Zeit, als das Werk hier in Ingolstadt aufgebaut wurde. Und zu seinem 92. Geburtstag war er noch einmal im Werk. Ich habe gesehen, was für strahlende Augen er hatte, als er noch einmal sein Lebenswerk sehen konnte und wie es sich weiterentwickelt hat. Das war für mich ein bewegendes Erlebnis.
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