Corona-Pandemie, Halbleitermangel, Ausbau der Elektromobilität und verschärfte Klimaziele. Es mangelt derzeit nicht an Herausforderungen für die deutsche Automobilindustrie. VDA-Präsidentin Hildegard Müller sieht das Jahr 2021 gar als Schlüssel für die Zukunft. "Wir stehen an einem Wendepunkt, der die Richtung der folgenden Dekaden vorgibt", sagte sie in einer Videokonferenz mit Journalisten beim Jahresausblick des Verbands.
Müller kommt dabei immer wieder auf den Standort Deutschland zu sprechen, dem sie im Vergleich zu anderen Ländern ein schlechtes Zeugnis ausstellt. So habe Deutschland zwar die höchsten Arbeitskosten neben der Schweiz oder Norwegen sowie mit die höchsten Ertragssteuern weltweit. Bei Themen wie schnelles Internet, Energiekosten oder Unternehmensgründungen lande man aber regelmäßig auf den hinteren Plätzen. "Damit wir aus der Krise herauskommen, brauchen wir bessere Rahmenbedingungen für die Industrie", forderte Müller.
Dazu gehöre beispielsweise das schnellste Internet in Europa, der 5G-Ausbau entlang der Verkehrsachsen für das autonome Fahren, ein modernes Steuersystem, e-Government in der Verwaltung, wettbewerbsfähige Energiekosten sowie eine höhere Bildungskompetenz. "Man kann der Industrie nicht immer mehr aufbürden, wenn die Infrastruktur nicht besser wird", so Müller. Sie sei eine der wichtigsten Aufgaben der Politik für das Jahr 2021.
Müller warnte zudem vor einem harten Corona-Lockdown in der Produktion, um Klimaziele zu erreichen und beispielsweise die CO2-Belastung weiter zu reduzieren. Die Antwort auf die Klimasorgen seien nicht Verbote oder der Verzicht auf Wohlstand und Wachstum. Wichtig sei stattdessen technische Innovation, mit der klimaneutrale Mobilität erreicht werden könne. So investiere die deutsche Autoindustrie bis 2025 rund 150 Milliarden Euro in Zukunftstechnologien wie Elektromobilität. Dies sei die gleiche Summe, die der Bund für alle Forschungseichrichtungen im Land ausgebe. "Europa braucht diesen Innovationswettbewerb", so Müller.
Erholung erst im zweiten Halbjahr
Bei der Schaffung von Rahmenbedingungen komme auch der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zu. Allerdings gingen die Überlegungen für den Klimaschutz in eine falsche Richtung. Die Kommission müsse ihren Vorschlag für die Abgasnorm EU7 überarbeiten. Dieser sehe im aktuellen Entwurf so strenge Grenzwerte vor, dass dies faktisch ein Aus des Verbrennungsmotors bedeute und dazu führe, dass ältere Autos länger auf den Straßen bleiben. Stattdessen müsse die EU sich stärker bei der Infrastruktur für Elektromobilität engagieren und synthetische Kraftstoffe sowie Wasserstoff ebenfalls einzubeziehen. Müller: "Wir müssen groß denken, sonst sind wir nicht dabei." Ein Ladenetz für Lkw fehle beispielsweise noch völlig.
Sie forderte, die abgebrochenen Gespräche mit den USA über ein Freihandelsabkommen wieder aufzunehmen und begrüßte auch die mit China getroffenen Vereinbarungen. Diese ermöglichten den deutschen Autoherstellern ein Agieren "auf Augenhöhe" und ein System von gegenseitiger Kontrolle. Trotz der weiter gestiegenen Abhängigkeit vom chinesischen Markt und den damit verbundenen Risiken sei es aber eine gute Nachricht, dass die deutschen Autobauer sich in China durchsetzen könnten.
Umgekehrt betrachtet sie es als Erfolg für den heimischen Standort, dass sich beispielsweise der amerikanische Autobauer Tesla für Deutschland entschieden habe beim Aufbau einer Produktion für Europa. Hier hätten die Behörden gezeigt, dass es auch unbürokratisch und schnell gehen könne. "Wichtig ist aber, dass auch andere Regionen der Autoindustrie eine solche Behandlung erfahren", so Müller. Über eine Mitgliedschaft von Tesla im VDA wolle man dann reden, wenn das Werk fertiggestellt sei.
Müller rechnet nach dem Halbleiter-Mangel und den verlängerten Lockdown-Maßnahmen erst im zweiten Halbjahr mit einer deutlichen Erholung der Märkte. Für Deutschland geht der VDA von einem Plus von acht Prozent auf ein Volumen von 3,15 Millionen Pkw aus. Damit sei das Niveau von vor der Corona-Krise mit rund 3,5 Millionen Einheiten aber noch lange nicht erreicht. Für Europa soll das Plus mit zwölf Prozent auf 13,4 Millionen Einheiten etwas höher ausfallen, in den USA soll das Wachstum neun Prozent und 15,8 Millionen Fahrzeuge erreichen. Nur China sticht mal wieder hervor. Nachdem ohnehin schon hohen Niveau im Jahr 2020 soll es nochmals um acht Prozent auf 21,4 Millionen Einheiten nach oben gehen.
In einer Reaktion auf die Pressekonferenz sagte der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter: „Die Umsatzeinbußen des letzten Jahres zeigen, dass die deutsche Autoindustrie schnellstmöglich die Spur wechseln muss." Der Bedarf an fossilen Verbrennermotoren sei eingebrochen und keine Option für die Zukunft. Eine moderne Industriepolitik orientiere sich am Klimaschutz und setze auf Nachhaltigkeit. "Das darf auch in der Autoindustrie kein Widerspruch sein", so Hofreiter weiter. Die Zukunft der Autoindustrie und ihrer Arbeitsplätze liege deshalb in neuen Technologien.
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