Grüne Mobilität muss mehr als nur batterie-elektrische Fahrzeuge umfassen und sollte auch die vielversprechenden synthetischen Kraftstoffe berücksichtigen - sofern diese mit regenerativen Energien erzeugt werden. Das ist die klare Empfehlung von vier Automobil- und Energieexperten, die sich am Dienstag bei einer live im Internet übertragenen Debatte der Automobilwoche austauschten.
"Es gibt weltweit rund 1,2 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Wir wären schlecht beraten, wenn wir für diesen enormen Fahrzeugbestand keine Lösung für eine Verringerung der CO2-Emissionen anbieten würden", sagte Stefan Pischinger, Vorstand des Aachener Entwicklungsdienstleisters FEV und Motorenexperte an der RWTH Aachen.
"Wenn wir schnell Erfolg haben wollen bei der CO2-Senkung, dann müssen wir auch die großen Bestandsflotten adressieren", pflichtete ihm Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner bei. In Europa habe die E-Mobilität sicher große Wachstumsperspektiven, aber dies gelte nicht für alle Weltregionen. "Es gibt nicht überall auf der Welt so ein relativ gutes Ladenetz wie in Europa. Deshalb sind E-Fuels eine sinnvolle Ergänzung zur E-Mobilität."
"Es gibt einen Markt mit Zahlungsbereitschaft"
Armin Schnettler, Präsident des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) und Vorstandschef des Bereichs New Energy bei der Siemens-Tochter Siemens Energy, betonte die hohe Marktrelevanz von E-Fuels: "Wir machen das, weil wir einen Markt sehen, und zwar einen Markt, der groß genug ist und in dem Zahlungsbereitschaft besteht."
Siemens Energy baut derzeit mit Partnern im Süden von Chile eine Pilotanlage auf, um mit Hilfe von großen Windrädern den Strom für die Elektrolyse von Wasserstoff zu erzeugen. Dieser Wasserstoff wird dann weiterverarbeitet mit CO2, das der Luft entzogen wird. Am Ende eines aufwändigen Prozesses entsteht daraus Methanol-to-Gazoline (MtG), ein vollständig "grün" erzeugter Kraftstoff, der in herkömmlichen und millionenfach existierenden Verbrennungsmotoren eingesetzt werden kann.
Knackpunkt für den Erfolg von E-Fuels könnte deren Preis werden. Siemens Energy-Vorstand Schnettler rechnet mit einem Anfangspreis von 2,0 bis 2,80 Euro je Liter, allerdings ohne Steueranteil. FEV-Chef Pischinger hält auch einen künftigen Preis von einem Euro für möglich, wenn alle Möglichkeiten zur industriellen Produktion genutzt werden. "Es gibt noch einen unschätzbaren Vorteil von E-Fuels," so Schnettler: "Wenn wir heute damit anfangen, wird er sehr schnell verfügbar sein."
Porsche: Potenzial für CO2-freie Plug-in-Hybride
Stefan Kneip von Siemens Advanta Consulting sagte, weltweit könne der Markt für synthetische Kraftstoffe künftig "mehrere Billiarden Dollar" pro Jahr schwer sein. Der grüne Kraftstoff habe auch Chancen in der Luftfahrt und im Seeverkehr. Dabei spiele aber Europa eine besondere Rolle. "In Europa könnten E-Fuels zu einem sehr relevanten Punkt für die etablierten Unternehmen im Bereich der Automobil- und Energiewirtschaft werden."
Porsche-Entwicklungsvorstand Steiner sagte, die Politik sollte die Unternehmen einfach machen lassen - "und in der Anfangsphase auch etwas unterstützen." Dann hätten synthetische grüne Kraftstoffe großes Potenzial. "E-Fuels sind auch eine perfekte Ergänzung für Plug-in-Hybridfahrzeuge, wenn diese einmal nicht mit Batteriepower gefahren werden." Damit könne letztlich ein Plug-in in jeder Situation CO2-frei fahren.
Steiner kündigte an, Porsche werde die ersten E-Fuels Lieferungen aus dem Pilotbetrieb im Süden Chiles unter anderem für seine Rennsport-Aktivitäten einsetzen. Künftig sei aber noch weit mehr denkbar. "Ich rechne damit, dass wir ab 2024 genug E-Fuels haben, um beispielsweise alle neu ausgelieferten 911er ein Jahr lang mit E-Fuels betanken zu können."
(Hinweis: Porsche hat eine frühere Aussage zur Verwendung der E-Fuels in einer ersten Phase geändert)
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