Das wäre Rupert Stadler früher nicht passiert. 20 Minuten ließen die Gerichtsdiener den Ex-Audi-Chef am Dienstag vorm Gerichtsgebäude an der JVA München-Stadelheim in der Kälte warten, bevor jemand die Tür für den prominenten Angeklagten öffnete. Auch klingeln half nichts, "Da bin ich wohl zu früh", sagte der 57-Jährige fröstelnd und wartete geduldig auf Einlass.
Dabei müsste er das Prozedere am Gericht längst kennen. Bereits seit mehr als drei Monaten sitzt er wegen des Dieselskandals in München auf der Anklagebank, 18 Verhandlungstage lang hatte er sich schon schweigend die Ausführungen der Staatsanwälte und seiner drei Mitangeklagten angehört. Jetzt meldete er sich erstmals selbst zu Wort und ließ dabei kein gutes Haar an den Ermittlern.
Stadler fühlt sich als Gallionsfigur instrumentalisiert
Die Klageschrift bewerte Sachverhalte "willkürlich, unbegründet und auch einseitig", sagte Stadler in ruhigem Ton. Und immer wieder merke er an, dass für ihn entlastendes Material von den Anklägern schlicht ignoriert worden sei. "Was darf man von einer Staatsanwaltschaft halten, die fortlaufend den Eindruck erweckt, voreingenommen zu sein", kritisierte Stadler. "Ich erwarte eine faire und absolut neutrale Behandlung." Stattdessen fühle er sich "politisch instrumentalisiert und als Gallionsfigur missbraucht", die unbedingt mit auf der Anklagebank sitzen sollte.
Mit dem Job im Audi-Vorstand, wo er 2003 zunächst als Finanzchef angefangen hatte und 2007 dann zum Vorsitzenden aufrückte, habe sich für ihn ein Traum erfüllt, "da ich mich nicht nur regional, sondern auch emotional eng mit der Marke verbunden fühlte". Umso größer sei das Entsetzen gewesen, als ab 2015 nach und nach die Manipulationen an den Dieselmotoren herauskamen, mit denen die Abgaswerte auf dem Prüfstand gedrückt wurden. Bis dahin, so versicherte Stadler, habe er keinerlei Kenntnis davon gehabt.
Betriebswirt mit "rudimentärem Technik-Verständnis"
Auch die Staatsanwaltschaft wirft Stadler anders als den drei anderen Angeklagten nicht vor, selbst an den Abgasmanipulationen ab 2008 beteiligt gewesen zu sein oder diese zumindest veranlasst zu haben. Stadler habe aber nach dem Auffliegen des Skandals Ende 2015 nicht sofort die Notbremse gezogen und die betreffenden Fahrzeuge weiter ausgeliefert, obwohl er inzwischen von den Manipulationen gewusst habe.
Stadler wies diesen Vorwurf entschieden zurück. "Als Betriebswirt und Nichttechniker konnte ich die Inhalte nur begrenzt beurteilen", sagte er entschuldigend. Und die Aussagen seiner Techniker "erschienen mir mit meinem rudimentären Technik-Verständnis plausibel".
Kritik an "Salamitaktik" der eigene Entwickler
Erstmals erfahren habe er von den Abgasmanipulationen am 19. September 2015 bei einer Telefonkonferenz mit dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn, berichtetet Stadler. Winterkorn habe hier erstmals von den Problemen in den USA berichtet. Allerdings sei es dabei nur um Vierzylinder-Motoren von VW gegangen. Seine eigene Entwickler hätten ihm auch nach dem Aufdecken des Skandals bei VW versichert, dass es bei den eigenen Sechszylindern, die Audi auch an Porsche lieferte, keine illegale Prüfstanderkennung gebe.
Umso größer sei dann der Schock gewesen als die US-Behörden am 2. November auch dem V6 TDI von Audi manipulierte Abgaswerte vorwarfen. Doch auch danach hieß es, das Probleme betreffe nur die USA, in Europa, wo völlig andere Abgasvorschriften galten, seien die Motoren dagegen vorschriftsmäßig. Und dies habe zunächst auch das Kraftfahrbundesamt bestätigt. Bis sich 2017 das Gegenteil herausstellte. "Hätten die verantwortlichen Entwickler schon 2015 die Hosen heruntergelassen, wären viele Probleme der durch sie verursachten Salamitaktik vermeidbar gewesen."
"Meine Erinnerung ist eine andere"
Viereinhalb Stunden lang verlas Stadler seine Einlassung zur Sache, die er noch geschliffener vortrug, als einst seine Reden zur Jahrespressekonferenz in Ingolstadt. Optisch hob er sich aber deutlich von seinen damaligen Auftritten ab: Statt Hemd und Krawatte trug er im Stil von Steve Jobs einen schwarzen Rollkragenpullover, plauderte und scherzte in den Pausen mit seien beiden Anwälten und dem Mitangeklagten Wolfgang Hatz, einst Motorenentwickler bei Audi und später Porsche-Vorstand, der im Gerichtsaal direkt vor ihm saß.
Kein Wort wechselte er dagegen mit den beiden Ingenieuren, die zusammen mit Hatz und Stadler auf der Anklagebank sitzen und die ihre früheren Chefs zum Teil schwer belastet hatten. "Meine Erinnerung an die Ereignisse ist eine andere", widersprach er den Aussagen des einen Ingenieurs, der bereits im vergangenen Jahr ausführlich ausgesagt hatte.
Stadler übernimmt politische Verantwortung
Zumindest moralisch fühle er sich aber durchaus schuldig, fügte Stadler hinzu. "Ein Vorstand trägt die politische Verantwortung. Und zu einer solchen Verantwortung bekenne ich mich." Denn der Dieselskandal habe bei Audi erheblichen finanziellen und Reputationsschaden angerichtet. "Dass es mir nicht gelungen ist, diesen Schaden zu begrenzen, das mache ich mir persönlich zum Vorwurf." Strafrechtlich relevant sei dies aber nicht. "Das weise ich in aller Entschiedenheit zurück."
Bis zum Urteil wird sich Stadler nun noch gedulden müssen. Das soll erst Ende 2022 fallen.
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