Große Zulieferer wie Bosch und Continental investieren sowohl in Radar- wie auch in Lidarsensoren, teils über Beteiligungen an entsprechenden Unternehmen. Zumindest beim vollautonomen Fahren auf Level-4- und -5-Niveau dürften sich beide Systeme gegenseitig ergänzen.
Die Fortschritte beim Radar sind enorm. Kürzlich stellte der Halbleiterhersteller NXP seine neueste Chip-Generation für das sogenannte Imaging-Radar vor, die ein Objekt nicht mehr nur als Punkt erkennt, sondern auch Konturen von Objekten erfassen und relativ kleine Objekte getrennt erkennen kann. In dieser Liga spielt auch der Radarsensor ARS 540, für den Continental soeben einen CES Innovation Award erhielt. Er kann neben Reichweite, Geschwindigkeit und Azimutwinkel auch die Position eines Objekts mit seiner Höhe erkennen, um eine präzise Abbildung der Fahrzeugumgebung bis zu 300 Metern erstellen.
Bei NXP rechnet man damit, dass der Markt für Automobil-Radarsensoren von rund 80 Millionen im Jahr 2020 auf Sicht von rund zehn Jahren auf 300 bis 400 Millionen Stück pro Jahr wachsen werde. Eine stagnierende oder sinkende Fahrzeugproduktion werde dabei mehr als ausgeglichen, weil pro Fahrzeug immer mehr Radarsensoren verbaut würden. 2020 sei man in diesem Feld Marktführer gewesen, heißt es bei NXP.
Klar ist, dass Radar- und Lidar-Systeme rein physikalisch bedingte Vor- und Nachteile haben. Bei der Auflösung bringt die genutzte Wellenlänge dem Lidar einen Vorteil gegenüber Radar. Zwar spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle, doch als Faustregel gilt: Je kürzer die Wellenlänge, umso höher ist theoretisch die maximale Auflösung. Lidare liegen oft in der Größenordnung von 1000 Nanometern, also im Infrarotbereich. 77-Gigahertz-Radare aber bei 3,8 Zentimetern. Dazwischen liegt etwa der Faktor 4000.
Radar ist deutlich günstiger
Umgekehrt sind Vor- und Nachteile verteilt, wenn es um Störungsanfälligkeit etwa durch schlechtes Wetter geht. Hier sorgt die hohe Wellenlänge dafür, das Radar problemlos Nebel, Regen oder auch Verschmutzungen auf der Sensoroberfläche durchdringt. Das bedeutet allerdings auch, dass Radar manche Materialien nicht "sieht", weil die Wellen einfach hindurchgehen, statt von ihnen reflektiert zu werden.
Um den Nachteil bei der Auflösung zu verringern und die Umgebung genauer abzubilden, setzen Radarentwickler auf die Steigerung der Rechenleistung bei der Signalauswertung. NXP verwendet bei seinen neuen Radarlösungen Hardwarebeschleuniger, die die Rechenleistung gegenüber konventionellen Lösungen um den Faktor 64 steigern, wie das Unternehmen betont.
Enorm wichtig gerade für die Massenfertigung im Automobilbereich ist der Kostenvorteil der Radare. Auch die angekündigten neuesten Lidar-Generationen seien noch drei- bis fünfmal so teuer wie Radare, schätzt etwa Matthias Feulner, Senior Director Fahrerassistenzsysteme bei NXP.
Spätestens ab Level 4 muss Redundanz gesichert sein
Ob Radar die Lidar-Sensoren künftig ersetzen kann, ist aber unsicher. "Wenn die High-Resolution-Radare das erfüllen, was erhofft wird, dann wird Lidar eigentlich obsolet, weil das Radar wesentlich günstiger herstellbar ist", meint Hartmut Güthner, Director bei PwC Strategy&. Doch Experten etwa von Bosch und Continental zeigen sich da skeptischer – vor allem, weil sie spätestens auf Level 4 und 5 eine Redundanz der Sensorik für erforderlich halten, die ohne Radar plus Lidar nicht realisierbar sei. Bei NXP erwartet man, "dass für Level 2+/3-Funktionen mit Kamera und Radarsensoren alle notwendigen Funktionen abgedeckt werden können und ausreichende Redundanz erzeugt wird", sagt Matthias Feulner.
"Jedoch nehmen wir an, dass durch die signifikante Leistungssteigerung bei Imaging Radar immer mehr Anwendungen ausschließlich durch Radar und Kamera bedient werden und letztendlich Lidar zwar für vollautonome System alleine schon aus Redundanzgründen benötigt wird, aber die Anwendungen volumenmäßig relativ begrenzt sein könnten", betont Torsten Lehmann, Executive Vice President Driver Assistance, Car Infotainment, Health bei NXP.
Keine Technologie kann alles
"Wir erachten Lidar für das automatisierte Fahren von Level 3 aufwärts als unverzichtbar. Wir benötigen für das hochautomatisierte Fahren alle Sensortechnologien, um eine robuste 360° Umfeldwahrnehmung realisieren zu können", unterstreicht auch Jan Mertens, Abteilungsleiter für die Lidar Systementwicklung bei Bosch. Denn "je komplexer die Fahraufgabe, desto ist wichtiger das Zusammenspiel der unterschiedlichen Sensoren", erläutert der Bosch-Experte.
Lidar habe eine hohe Reichweite mit hoher Auflösung in einem großen Sichtbereich. Es könne Objekte auch in Fahrsituationen erfassen, in denen Radar und Video ihre jeweiligen Stärken nicht ausspielen können, so Mertens. Er nennt ein Beispiel: "Wenn sich an einer Kreuzung ein Motorrad mit höherer Geschwindigkeit nähert, sind für einen Radar die schmale Silhouette und Kunststoffverkleidungen schwer zu erkennen. Eine Kamera kann durch ungünstigen Lichteinfall geblendet werden. Hier braucht es einen Lidar, um das Zweirad zuverlässig zu erkennen."
Diese Einschätzungen teilt man auch beim Wettbewerber Continental. "Der Schlüssel auf dem Weg zu höheren Automatisierungsgraden ist Redundanz. Keine der verfügbaren Sensortechnologien Kamera, Lidar oder Radar wird allein in der Lage sein, automatisierte Fahrfunktionalitäten zu realisieren", sagt Christian Schumacher, Leiter Program Management Systems in der Geschäftseinheit Fahrerassistenzsysteme. Schumacher betont zwar auch die Verbesserungen bei der Umgebungserkennung, die der gerade mit dem CES Innovation Award prämierte Continental Radarsensor bringe. Doch im gleichen Atemzug erwähnt er auch "dass bei höheren Automatisierungsgraden auch Lidar-Sensorik eine Rolle spielen wird. Insbesondere aus Redundanzgründen aber auch da ein Lidar im Vergleich zu Radar und Kamera weitere Funktionalitäten beisteuern kann."
Lesen Sie auch:
"Alles hängt von der Dynamik der Märkte ab"
Ford erwirbt 7,6 Prozent an Velodyne Lidar
ZF und Aeva wollen Lidar-Sensor für Massenmarkt produzieren
Aus dem Datencenter:
Prognostizierte Zuliefererumsätze im Bereich autonomes Fahren