Vor wenigen Wochen war Susanne Hahn noch eine der Top-Managerinnen des Automobilherstellers Daimler. Jetzt sitzt die 42-Jährige im Konferenzraum des IT-Unternehmens GFT Technologies unweit der Landesmesse Stuttgart. GFT-Gründer Ulrich Dietz hat zusammen mit Susanne Hahn die von ihr geleitete Innovationsplattform Lab1886 aus dem Konzern herausgelöst und unter dem Namen 1886Ventures neu an den Start gebracht. Über den Kaufpreis schweigt der Unternehmer, der auch Vizepräsident des Branchenverbands Bitkomm ist. Lieber reden die beiden im Gespräch mit der Automobilwoche über die ersten Erfolge nach dem Neustart.
So sei es bereits drei Wochen nach der Neugründung gelungen, ein erstes Projekt als Unternehmen auszugliedern. Dabei handelt es sich um das Start-up Globe Fuel Cell Systems, das nun auf eigenen Beinen steht. Es ermöglicht eine durchgängige Konnektivität von Brennstoffzellen-Modulen, um beispielsweise Fehler frühzeitig vorhersagen zu können. "Das wäre so im Konzern nicht möglich gewesen, da die Entscheidungswege länger sind und immer wieder die Frage nach dem Kerngeschäft auftaucht", sagt Hahn. In der neuen Konstellation mit einem Digitalunternehmen im Hintergrund gehe das wesentlich schneller. "Was wir hier geschaffen haben, ist der perfekte Rahmen für Innovation und Kommerzialisierung."
Zehn Projekte mit Patenten und Rechten
2007 als Geschäftseinheit Business Innovation gegründet, war das Lab1886 im Daimler-Konzern an zahlreichen neuen Geschäftsideen beteiligt. Dazu zählt beispielsweise das digitale Ökosystem Mercedes Me, das 2013 vorgestellt wurde. Aber auch das Carsharing Car2go ohne feste Mietstationen ging aus der Einheit hervor. Während Daimler-Chef Dieter Zetsche noch stolz war auf die vielen Ideen und das Lab1886 auf rund 180 Mitarbeiter mit verschiedenen Ablegern auf der ganzen Welt anwuchs, kam mit seinem Nachfolger Ola Källenius die Kurskorrektur. Er will sich mit seiner Strategie wieder auf das Kerngeschäft besinnen und damit auf den Verkauf von Luxusautos.
Durch frühere Kontakte wurde Dietz auf den Verkaufswunsch aufmerksam. Nach längeren Verhandlungen mit dem Daimler-Konzern gelang es ihm schließlich, sich auf die Übernahme von zehn verschiedenen Projekten mitsamt Patenten und Rechten zu einigen. Das komplizierte Verfahren wurde dadurch erleichtert, dass Daimler nach wie vor einen Anteil von zehn Prozent hält. Für Hahn, die zuvor 20 Jahre für Daimler gearbeitet hatte, war der Verbleib im Unternehmen keine Option. "Ich hatte die einmalige Chance, mit meinem Team und den ganzen tollen Ideen in ein so flexibles Umfeld zu wechseln. Das wollte ich unbedingt durchziehen", sagt sie.
Bei den Projekten sind einige, die der Daimler-Konzern zwar öffentlichkeitswirksam angekündigt hatte, dann aber nicht mehr groß weiterverfolgte. So sieht Hahn für die App Flinc, mit der sich Mitarbeiter bei der Fahrt zur Arbeit zusammenschließen können und die im Werk Sindelfingen bereits erfolgreich im Einsatz ist, weitere Möglichkeiten. "Sie könnte für andere Unternehmen interessant sein oder bei Volksfesten und Fußballspielen die Verkehrssituation entspannen." Für ÖPNV-Abieter könnten die anfallenden Daten interessant sein.
Denkfabrik für Mittelständler
Zum Portfolio von 1886Ventures gehört auch der Digital Detector, bei dem 18 Kameras in Sekunden den Zustand eines Autos vor der Inspektion erfassen und Reparaturen vorschlagen. Axyard dagegen entwickelt die Technologie für fahrerlose Lkw im Logistikbereich auf Betriebshöfen. Sneaker Net kümmert sich um den kostengünstigen Transfer von Daten in und aus dem Auto.
Für Ulrich Dietz, der neben GFT Technologies auch das Start-up Netzwerk Code N am Firmensitz in Stuttgart betreibt, ist die neue Konstellation ideal. Man habe im Haus die ideale Kundenbasis und Expertise für Zukunftsthemen, um die Projekte auch schnell skalieren zu können. Doch Dietz denkt noch weiter. "Wir wollen auch eine Denkfabrik für Mittelständler schaffen, die sich als Service-Einheit versteht und mit Innovationsthemen befasst." Für ihn war es auch wichtig, diese Ideen inmitten der Transformation des Automobilclusters in Stuttgart halten zu können. Was in der Automobilindustrie immer noch fehle, sei eine konsequent digitale Herangehensweise.
Konsolidierung bei Start-up-Aktivitäten
Nicht zuletzt deshalb erwartet Hahn, dass auch andere Unternehmen ihre eigenen Inkubatoren und Innovations-Plattformen wieder aufgeben, weil sie nicht auf die althergebrachten Strukturen passen. "Ich glaube, dass es bei den ganzen Start-up-Aktivitäten der Unternehmen in nächster Zeit ähnlich wie bei Daimler zu einer Konsolidierung kommt", ist sie überzeugt. Wenn diese ausgelagert und professionalisiert würden, sei dies eine Chance für 1886Ventures. Auf diese Weise könnten neue Projekte gewonnen werden.
Aber auch so ist das Interesse von Risiko-Kapital-Unternehmen aus der ganzen Welt bereits groß. "Die Resonanz ist sehr positiv", sagt Dietz. Zunächst gehe es aber darum, dass sich die 50 Mitarbeiter finden und die Themen sortiert werden. "Mit unserem Deep-Tech-Ansatz haben wir eine gute Chance, erfolgreich zu sein", ist Dietz überzeugt. Ende 2021 will er eine erste Bilanz ziehen. Und natürlich sei es das Ziel, dabei profitabel zu sein.
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