Dass es schwer werden würde, darüber wird sich Tobias Moers keine Illusionen gemacht haben, als er im Sommer bei AMG den Hut nahm und von einem Tag auf den anderen zu Aston Martin wechselte. Der Mann, den sie drüben den schwäbischen Terrier nennen, musste von der ersten Stunde vieles in Frage stellen, um den Laden, in dem zwölf Vice Presidents herumturnten und trotzdem wenig gebacken bekamen, zeitnah wieder auf Vordermann zu bringen.
Kein Geld, keine Kompetenz, keine Leidenschaft – so lautete das enttäuschte Urteil vieler Techniker, die unter dem schillernden Chef Andy Palmer in Gaydon angeheuert hatten, nur um die Firma wenig später frustriert wieder zu verlassen. Sie alle hatten den Einfluss der so genannten Midlands Mafia unterschätzt, einer Riege früherer Rover-, Jaguar-, Land Rover und Leyland-Manager, denen die neue Auto-Welt fremd war und die davon auch nichts wissen wollten – frei nach dem Motto: "Fortschritt? Nur über meine Leiche!"
Bei seinen ersten Besuchen soll der kanadische Milliardär Lance Stroll, der an der Spitze des mehrköpfigen Eigner-Konsortiums steht, durchaus noch beeindruckt gewesen sein: tolle Architektur, blitzsaubere Fertigung, Handwerklichkeit auf hohem Niveau. Alles lief scheinbar wie am Schnürchen. Doch hinter der Marmor-Fassade regierte das pure Chaos in Form von vorsintflutlichen Abläufen, ausufernden Kosten, Konzeptlosigkeit und laxer Kontrolle.
Volumenmodelle im Blick
Das Design begeisterte, aber weil der Anteil an gleichen Teilen der drei Frontmotor-Sportwagen Vantage, DB11 und DBS nur rund 30 Prozent betrug, blieb die Rendite auf der Strecke. Ein von Ferrari abgeworbener Techniker hatte den Briten vorgerechnet, dass ein Ferrari Roma unter dem Strich deutlich billiger zu produzieren sei als ein vergleichbarer DB11. Der Grund: Auf der Insel herrschte Krieg zwischen Design und Technik. Modulstrategie war ein Fremdwort, die die ausufernde Modellvielfalt stand in keinem Verhältnis zum Ertrag.
Also holte Stroll den erfahrenen Moers. Der hatte bei AMG bewiesen, wie man eine Sportwagen-Marke zu immer neuen Absatzrekorden treibt – und das einer Rendite, die die Konzernchefs Dieter Zetsche und Ola Källenius jedes Jahr jubeln ließ. Nun aber entdecken die beiden Chefs, deren Büros direkt nebeneinander liegen, fast täglich neue Baustellen. Trotz des erfolgreichen Motorsport-Engagements kommen die Coupés, Roadster und Volantes nicht wirklich in die Gänge. Es fehlt zumindest für den DBX ein starker Plug-in Hybrid – und die sündhaft teuren Hyper- und Supersportwagen konnte der neue Chef in dem vorgefundenen unfertigen Zustand unmöglich für den Verkauf freigeben.
Jetzt will Moers aufräumen. Erste Erkenntnis: Das Wohl und Wehe von Aston Martin bestimmen nicht Kleinserien von Hypercars wie Valkyrie und Valhalla, sondern die Volumenmodelle, mit deren Hilfe der Absatz bis 2025 auf 10.000 Einheiten pro Jahr gesteigert werden soll. Gleichzeitig will Aston Martin Gewinne in Höhe von 500 Millionen Pfund einfahren. Während das Elektro-Zeitalter im Zeichen der sportlich-eleganten Rechtslenker erst 2026 beginnt, planen die Briten schon ein Jahr früher einen Anteil an Plug-In-Hybriden von 30 Prozent am Modellmix.
Kein Freund von Sechszylinder
Die entsprechende Technik wird auf Aktientausch-Basis von Mercedes und AMG zugeliefert, wobei man sich auf deutlich niedrigere Transaktionspreise für Kernkomponenten wie Motoren, Getriebe und Elektronik-Bausteine geeinigt haben will. "Mittelfristig wollen wir dadurch signifikant wachsen und eine Verbesserung der Rendite erreichen", kündigte Moers anlässlich der neuen Partnerschaft Ende Oktober an.
Dafür wird er auch technologisch einiges umkrempeln. Moers, in Personalunion Vorstandsvorsitzender und Technik-Vorstand, ist beispielsweise kein Freund von Hochleistungs-Sechszylindern. Sie haben bei AMG schon lange keine Rolle mehr gespielt, weshalb auch der bei Aston Martin neu entwickelte 3,0 Liter V6 für den Vanquish in der Asservatenkammer landen könnte. Statt dem V6 hat man den von AMG importierten 4,0 Liter V8 mittelfristig als solitären Verbrenner auserkoren, der eines Tages auch den Zwölfzylinder ersetzen dürfte.
Für den Achtender sprechen geringere Kosten aufgrund höherer Stückzahlen, mehr Leistung und Drehmoment sowie das demnächst startklare PHEV-Modul. Dieser speziell für Aston Martin nachgeschärfte, zwischen 700 und 850 PS starke Doppelherz-Antrieb soll quer durch die Palette vom Vantage bis zum langen DBX verfügbar sein. Dem Power-PHEV werden günstige Verbrauchswerte, kurze Ladezeiten und eine E-Reichweite von rund 100 Kilometer nachgesagt. Damit die Adaption reibungslos funktioniert, war der neue AML-Motorenchef bis vor kurzem beim Stern unter Vertrag.
Zukunftstrategie erst im März
Was passiert mit den Frontmotor-Sportwagen? Da die fertige Zukunftsstrategie erst im März verkündet werden soll, sind die letzten Würfel noch nicht gefallen. Die neue Zeitrechnung beginnt frühestens 2023 mit dem DB12, der im Idealfall auf der DBX-Architektur aufbaut und damit die nächste Gleichteile-Ära einläutet. Dieselbe Matrix ist für den Nachfolger des DBS vorgesehen, der zum Modelljahr 2026 anlaufen dürfte.
Mit dem DBX muss die Marke erst einmal richtig Geld verdienen. Vorbild wäre diesbezüglich der immer noch auf zwölf Monate ausverkaufte Lamborghini Urus, doch Aston Martin hat seinen Crossover in vielen Märkten sehr ambitioniert eingepreist und Varianten mit längerem Radstand und dritter Sitzreihe, ein Coupé oder der Plug-In-Hybrid lassen noch auf sich warten. Die Nobelversion des gestreckten DBX soll zwar als Aston Martin Lagonda verkauft werden, doch abgesehen davon steht die Zukunft der Luxus-Submarke noch in den Sternen.
Mit einer Limousine nach Art des Taraf, falls sich noch jemand erinnert, ist vermutlich nicht viel Staat zu machen. Das tolle Shooting Brake Concept ruht vorläufig in der Versenkung und für die Paraderolle als vollelektrische Speerspitze fehlen aktuell die Mittel. Man darf also gespannt sein, mit welchen Prioritäten die Führungsriege punkten will und in welchem Umfang Stuttgart bei Bedarf in die Bresche springt, wenn sich der Dienstwagenlieferant von James Bond für die Jahre 2025 bis 2035 aufstellt.
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Aus dem Datencenter:
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