Herr Niering, 2020 war die Insolvenzantragspflicht lange ausgesetzt. Zu welcher Situation hat dies im Kfz-Gewerbe geführt?
Christoph Niering: Wir hatten im Frühjahr mit der Aussetzung der Antragspflichten und -rechte eine Vollbremsung erlebt. Jetzt wird nur zögerlich der Fuß von der Bremse genommen. Unternehmen, die im November oder Dezember staatliche Hilfe beantragen können, sind von der Antragspflichten und -rechten im Januar wieder ausgenommen.
Was bedeutet dies fürs nächste Jahr?
Ob jetzt eine Welle kommt, ist alles andere als ein Automatismus. Wir hatten zwar in den vergangenen Monaten deutlich weniger Insolvenzzahlen als 2019. Aber entscheidend ist, wie lange der Staat noch hilft. Er lenkt das Insolvenzgeschehen. Derzeit sind Finanzämter und Krankenkasse sehr großzügig. Außerhalb von 2020 wäre dies ein No-Go.
Alles wird weiter aufgeschoben?
2021 haben wir ein Wahljahr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in dieser Zeit die Hilfspakete ausgesetzt werden. Wenn man Unternehmen künstlich am Leben hält, schwächt das aber alle anderen. Selbst die stärkeren. Im Jahr 2019 gab es rund 18.500 Insolvenzen, zu Hochzeiten der Finanzkrise waren es etwa 30.000. Der Nachholeffekt kann jetzt schon zu einem deutlichen Anstieg auf mehr als 20.000 Insolvenzen führen.
Hersteller nehmen Insolvenzen zum Teil bewusst in Kauf
Und im Kfz-Gewerbe?
Das ist natürlich ein breites Spektrum. Allerdings dürfte sich die Transformation stärker auf die Branche auswirken als die Corona-Krise. Seit zwei Jahren fahre ich Tesla, ich war quasi noch nicht in der Werkstatt. Verschleißteile gibt es nicht, mit Ausnahme der Reifen und Bremsen. Die Pandemie führt allenfalls zur Beschleunigung von Entwicklungen wie der Elektromobilität.
Das betrifft Werkstätten. Wie sieht es bei Autohäusern aus?
Das hängt von der Strategie der Hersteller ab, in den Vertriebsnetzen gibt es schon seit Jahren Konzentrationsprozesse. Die Hersteller entscheiden, ob ein Autohaus erhalten bleibt oder nicht.
Und der Insolvenzverwalter?
Entscheidend ist die Strategie der Hersteller. Sie nehmen Insolvenzen zum Teil bewusst in Kauf, um ihre Netze neu zu ordnen. Ein Händler muss sich im Klaren sein, dass er nicht immer auf einen starken Konzern zählen kann. Dann sind Fehler unverzeihlich: Laut Studien kommt es durch Managementfehler zu drei Viertel der Insolvenzen.
Hersteller entscheident über Verkauf von insolventem Autohaus
Was bedeutet die Macht der Hersteller für den Insolvenzverwalter?
Der Sinn und Zweck eines Insolvenzverfahrens ist es, das Unternehmen meist bietend zu verkaufen. Aber es gibt Bereiche, wie der Automobilhandel, da ist man abhängig von Vertragspartnern und Lizenzgebern. Wenn der Hersteller nicht will, kann ein Insolvenzverwalter allenfalls die Immobilien und die Werkstatteinrichtung verkaufen.
Ist die Arbeit der Insolvenzverwalter zuletzt schwieriger geworden?
Es war schon immer schwierig. Der Einfluss der Hersteller hat sich nicht verändert, aber der Umgangston. Die Strukturen im Kfz-Handel sind überholt, das Internet spielt zunehmend eine größere Rolle. Eigentlich sind wir dazu da, Unternehmen zu retten. Aber gerade bei Automobilhäusern bleibt uns häufig keine andere Wahl als den Betrieb einzustellen.
Das Interview führte Christoph Baeuchle
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