Als Daimler-Entwicklungschef und Mercedes COO Markus Schäfer vor wenigen Wochen als Gast beim Automobilwoche Kongress auf die Situation im Werk Untertürkheim angesprochen wurde, da deutete er bereits an, wie hart die Verhandlungen über die zukünftige Beschäftigung am Stammsitz in Stuttgart werden könnten. "In Zeiten der Transformation haben wir emotionale Momente, aber es geht um nichts anderes als die Zukunft dieser Company", sagte Schäfer – und schob nach. "Für den Einzelnen ist das ein harter Schritt, aber er ist alternativlos."
Was wenig später folgte, war ein Schlagabtausch zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat, den es in dieser Schärfe nicht mehr gegeben hat, seit der streitbare Betriebsratschef Erich Klemm im Jahr 2015 sein Amt an Michael Brecht übergab. Wie zwei Boxer im Ring vor dem großen Kampf umkreisten sich beide Seiten. Zunächst rief die IG Metall zu einer Protestaktion im gesamten Konzern auf, um gegen den aus ihrer Sicht zu harten Sparkurs mobil zu machen. "In den Werken zittern die Beschäftigten und haben Angst um ihre Zukunft. Die Belegschaft in der Verwaltung fühlt sich verstoßen. Dabei wollen wir über die Zukunft sprechen", ließ sich Brecht in der Mitteilung zitieren und ergänzte: "Wir sind keine Bittsteller. Wir haben Daimler zu dem gemacht, was es heute ist."
Danach tauchte ein interner Brief von Markus Schäfer und Mercedes-Produktionsvorstand Jörg Burzer auf, der weiteres Öl ins Feuer goss. Darin stellten sie den für das Werk Untertürkheim geplanten eCampus als Kompetenzzentrum für die Elektromobilität in Frage, bevor dieser überhaupt konkret wird. Dem Betriebsrat wurde in dem Schreiben eine Blockadehaltung vorgeworfen. Dieser könne nicht an Vereinbarungen festhalten, die in der Vergangenheit unter anderen Vorzeichen geschlossen wurden. Dazu zählt beispielsweise die Fertigung von Kurbelwellen. So drohten Burzer und Schäfer: "Klar ist: Kommt die neue Kurbelwellenfertigung in vollem Umfang nach Untertürkheim, müssen wir für den Campus Mercedes-Benz Drive Systems alternative Szenarien prüfen. Denn eine Bündelung von Zukunftstechnologien ist dann aus Platzgründen in Untertürkheim nicht mehr möglich."
Strategieschwenk beim Verbrenner
Die Reaktion der Arbeitnehmerseite ließ nicht lange auf sich warten. Diesmal war es der örtliche Betriebsratschef Michael Häberle, der zum verbalen Rundumschlag ausholte. "Die Kluft zwischen der Konzernführung und der Belegschaft wird immer größer. Dass der Vorstand die Kolleginnen und Kollegen jetzt aber zusätzlich verunsichert, indem er droht, wichtige Zukunftsthemen an andere Standorte zu geben, ist ein Schlag ins Gesicht", polterte Häberle. Mit den Drohungen, so der Vorwurf, solle ein Keil zwischen Belegschaft und Betriebsrat getrieben werden. Man habe den Eindruck, dass der angebotene eCampus in erster Linie ein "Trojanisches Pferd" sei, mit dem versucht werde, in Untertürkheim vereinbarte Regelungen zu kippen und einen Abbau von Arbeitsplätzen künstlich zu erzwingen. 4000 der 19.000 Jobs könnten mit dem Abschied vom Verbrennungsmotor in den nächsten Jahren verloren gehen, fürchtet Häberle.
Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Streit ein Stratgieschwenk, der nun erste Opfer fordert. So war die Führunsgriege um Ola Källenius zunächst davon ausgegangen, dass die Zahl der in Untertürkheim produzierten Verbrennungsmotoren zumindest bis 2030 stabil bleiben würde und die Transformation daher ohne größere Bruchstellen über die Bühne gehen kann. Diese Ansicht hat sich als falsch herausgestellt. Angesichts der verschärften CO2-Ziele der EU bleibt dem Unternehmen nichts anderes übrig, als den Hochlauf der Elektromobilität zu beschleunigen und den Abschied vom Verbrenner schneller einzuläuten als gedacht. Sollte im Rahmen des Green Deals der EU eine Reduktion von 55 Prozent der Treibhausgase von 2021 bis 2030 beschlossen werden, dann ist das Ziel nur mit einer beispiellosen Elektrooffensive zu erreichen.
In China spielt die Musik
Dies bedeutet, dass der Konzern seine Investitionen fokussiert einsetzen muss. Wie in vielen anderen Unternehmen der Autobranche soll daher auch bei Daimler deutlich weniger Geld in den Verbrenner fließen. Konkret bedeutet dies Verlagerungen von Umfängen ins polnische Motorenwerk Jawor, wo deutlich billiger produziert werden kann. Außerdem will Mercedes die letzte Generation von Benzinmotoren mit dem chinesischen Konzern Geely und dessen Tochter Volvo entwickeln und ab 2024 produzieren. Erstmals sollen diese Motoren explizit auch nach Europa exportiert werden. Vom Diesel war bei diesem Deal gar nicht mehr die Rede. Er wird zwar weiter optimiert, gilt aber intern als Auslaufmodell, das höchstens noch bei großen SUV eine Chance hat.
Die Zusammenarbeit mit Geely offenbart ein weiteres Problem. Während Daimler 170.000 von knapp 300.000 Mitarbeitern weltweit in Deutschland beschäftigt, spielt die Musik längst woanders. Die Produktionszahlen in den deutschen Werken sinken seit Jahren, während sie in China stetig zunehmen. Mehr als ein Drittel seiner Fahrzeuge verkauft Mercedes inzwischen in China. Ein großer Teil davon wird lokal produziert. Von den renditestarken Modellen wie S-Klasse oder Maybach geht bereits jedes zweite Modell ins Reich der Mitte. Daimler-Chef Ola Källenius macht keinen Hehl daraus, dass er in China die Zukunft des Unternehmens sieht. Nur spiegelt sich diese Tatsache bisher noch nicht in der Präsenz des Konzerns und in der Beschäftigung dort wider. Dabei dürfte auch der Druck aus China eine Rolle spielen. Die Regierung wünscht sich eine stärkeren Fußabdruck der Unternehmen, diese sollen auch Hochtechnologie im Land ansiedeln.
Präzedenzfall für die neue Strategie
In der Vergangenheit ist es den Betriebsräten immer wieder gelungen, durch geschickte Deals und kleinere Zugeständnisse dafür zu sorgen, dass die deutschen Werke ihre Beschäftigung zumindest halten konnten. Für die Zustimmung zur neuen Konzernstruktur war die Unternehmensführung sogar bereit, eine Beschäftigungssicherung bis 2030 sowie neue Mitspracherechte bei anstehenden Investitionen zu garantieren. Diese in Zeiten des Erfolgs geschlossenen Vereinbarungen fliegen der Konzernführung angesichts aktuell mickriger Margen und fehlender Auslastung in den Werken um die Ohren.
Damit wird Untertürkheim auch zum Präzedenzfall für Källenius' Strategie der Profitabilität. Gelingt es ihm nicht, sich hier durchzusetzen, nährt das erste Zweifel an den vollmundig formulierten Renditezielen seiner Luxus-Strategie. Während in den vergangenen Jahren nicht selten der Eindruck entstand, dass die Arbeitnehmer am längeren Hebel sitzen und den Vorstand mitunter vor sich hertreiben, soll sich das Machtzentrum wieder eindeutig zur Konzernführung hin verschieben. "Die Company steht an erster Stelle", betonten Ola Källenius und Markus Schäfer auch bei der Vorstellung ihrer Strategie vor Investoren auffallend häufig.
Vieles deutet also darauf hin, dass die lange vorherrschende Konsenskultur mit dem Streit um das Werk Untertürkheim vorerst zu einem Ende gekommen ist. "Eine Beziehung, in der man nicht aufeinander zugeht, hält nicht lange. Wir sind an einem kritischen Punkt", konstatiert Betriebsratschef Michael Brecht. Da eine Scheidung nicht in Frage kommt, muss sich wohl einer der beiden Partner solange unterordnen, bis es in Zukunft wieder mehr zu verteilen gibt. Es braucht nicht viel Phantasie, um zu erkennen, wer das sein wird.
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