"Es gibt wenige Topmanager, mit denen man gerne nach Feierabend in der Kneipe ein Bier trinken würde. Er ist so einer", sagt ein ehemaliger Weggefährte von Siegfried Russwurm bei Siemens. Einer, der nicht auftrete wie ein Gutsherr, sondern direkt und offen auf Menschen zugehe. "Eine Rampensau."
Das kann Russwurm künftig in Berlin beweisen: Er wurde am Montag zum neuen Präsidenten des einflussreichen Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) gewählt werden und soll sein Amt im Januar antreten. Nach seiner Wahl versprach Russwurm: "Ich werde meine ganze Kraft dafür einsetzen, dass die deutsche Industrie die heftige Rezession möglichst rasch überwindet und ihre weltweite Spitzenstellung im digitalen Wandel stärkt."
"Bei Siemens hat er als Arbeitsdirektor immer gut mit der Arbeitnehmerseite zusammengearbeitet und ist auch neue Wege mitgegangen", sagt Birgit Steinborn, stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats. Ein anderer Vertreter der Arbeitnehmerseite beschreibt den 57-jährigen Franken als "umgänglich, ohne Attitüden, ohne Arroganz".
Karriere bei Siemens
Russwurm kommt aus einem kleinen Dorf östlich von Coburg, sein Vater war dort Polsterer, die Mutter Industriearbeiterin. Und er wohnt auch heute noch in einem Dorf ganz in der Nähe. Die Hektik des Berliner Politikbetriebs scheint von dort aus gesehen weit weg zu sein.
Schon als Jugendlicher habe ihn Technik fasziniert; er sei ein "Technikfreak", erklärte er einmal bei einem IG-Metall-Forum. Nach dem Studium an der Uni Erlangen-Nürnberg fing er als frischgebackener Dr.-Ing. bei Siemens im Oberpfälzer Werk Kemnath an, war dann mehrere Jahre in Schweden und stieg 2006 in den Vorstand der Medizintechnik-Sparte auf. 2008 holte der damals noch neue Siemens-Chef Peter Löscher den 44-jährigen Russwurm dann in den Konzernvorstand.
Als Personalchef musste er erst einmal Tausende Stellen abbauen. Zwei Jahre später bekam Russwurm die Verantwortung für die Industriesparte - die größte im Konzern mit mehr als 100.000 Beschäftigten - und trieb die Digitalisierung voran. Als Löscher immer mehr in die Kritik geriet, wurde Russwurm als ein möglicher Nachfolger gehandelt. Nach der Berufung seines damaligen Vorstandskollegen Joe Kaeser zum neuen Siemens-Chef bekam Russwurm bald als neue Aufgabe die Forschung und Entwicklung übertragen. Zwei Jahre später teilte er mit, dass er seinen Vertrag im März 2017 nicht mehr verlängern und "sich möglichen neuen Herausforderungen nicht verschließen" werde.
Politisch bestens vernetzt
Er wolle "nur noch mit Leuten zusammenarbeiten, die ich mag", sagte Russwurm laut "Manager-Magazin". Er arbeitete für eine schwedische Investmentfirma, wurde als Kandidat für die Chefposten bei der Deutschen Bahn und beim Münchner Gasekonzerns Linde gehandelt und trat 2019 wieder ins Rampenlicht: als Aufsichtsratschef des schwäbischen Anlagenbauers Voith und des angeschlagenen Stahl- und Industriekonzerns ThyssenKrupp.
Seine Leidenschaft für Technik, für Digitalisierung, für künstliche Intelligenz versucht Russwurm seit 2009 auch als Honorarprofessor an seiner alten Uni an Studenten weiterzugeben. Politisch ist er bestens vernetzt - vom Arbeitgeberverband BDA und dem Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) über die Deutsche-Schwedische Handelskammer bis zur Plattform 4.0 und Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) reicht die Liste der Gremien, in denen er Führungsposten hatte oder hat.
Mit Sachkenntnis hatte der Technikfreak Russwurm auch Experten in den Forschungslaboren von Siemens beeindruckt. Im Berliner Politikbetrieb gilt er als geradlinig. Als oberster Lobbyist der deutschen Industrie wird klare Kante von ihm erwartet. In der gesellschaftlichen Diskussion dürfte aber auch sein Witz und seine Schlagfertigkeit gefragt sein, wenn er zum Beispiel in Talkshows mit Klimaschützern über die Zukunft der Wirtschaft diskutiert. (dpa/swi)
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