Die Kfz-Branche steht vor einer Systemumstellung im Vertrieb: weg vom selektiven Vertrieb hin zum Direktvertrieb. "In den nächsten zehn Jahren gibt es noch eine Ko-Existenz verschiedener Vertriebsmodelle", sagt Sebastian Tschödrich, Vice President von Capgemini. Die Entwicklung wird von der aktuellen Virus-Pandemie ebenso vorangetrieben wie von langfristigen Trends wie der Transformation zur E-Mobilität.
Die Unzufriedenheit mit der aktuellen Vertriebssituation ist bei allen Beteiligten zu spüren. Rund 96 Prozent der Händler bewerten das bestehende Vertriebsmodell als nicht mehr zeitgemäß, vor allem im Hinblick auf veränderte Kundenbedürfnisse. Dies geht aus der Studie "Agency Sales Model: Accelerating the Future of Automotive Sales" von Capgemini Invent, für die weltweit 6000 Verbraucher sowie mehr als 50 Händler befragt wurden.
Die Händler spielen beim Autokauf eine entscheidende Rolle: 92 Prozent der Verbraucher halten einen persönlichen Kontakt mit dem Händler für unverzichtbar, in Deutschland sogar 95 Prozent. Nur knapp ein Viertel (24 Prozent) kann sich vorstellen, das nächste Fahrzeuge ohne Händlerkontakt zu kaufen.
Für viele Verbraucher ist das Zusammenspiel bei der Customer Journey entscheidend: 95 Prozent erwarten einen nahtlosen, einfachen und effizienten Bestellprozess und 75 Prozent erwarten ihr nächstes Auto online kaufen zu können (in Deutschland sind dies mit 59 Prozent etwas weniger).
Im Idealfall Einsparungen von acht Prozent
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Preistransparenz 90 Prozent der Verbraucher sehen den Preis als den Faktor Nummer eins für den Kauf eines Autos. 77 Prozent bevorzugen Festpreise, die online und offline gleich sind.
Mit der Umstellung des Vertriebssystem gehen sowohl eine Neuverteilung der Kosten als auch der Aufgaben einher. Auf die Hersteller kommen in einem ersten Schritt höhere Kosten für die Prozessumstellung und eine neue IT-Landschaft zu. "Führen die Hersteller das neue System in mehreren Märkten ein, lassen sich die Kosten schnell amortisieren", so Tschödrich. Stellt ein Hersteller fünf Märkte um, rechnet der Auto-Experte mit Skaleneffekten und einer Amortisierung in drei bis vier Jahren.
Dem stehen nach der Umstellungsphase geringere Kosten gegenüber. Im Idealszenario rechnen die Berater mit acht Prozent Einsparungen, "realistisch sind aus meiner Sicht fünf bis sechs Prozent", sagt Tschödrich.
Intrabrand-Wettbewerb ausschalten
Eine entscheidende Rolle spielen dabei höhere Transaktionspreise. Liegt die Preisfindung beim Hersteller, so kann er den Intrabrand-Wettbewerb im Händlernetz ausschalten und höhere Preise durchsetzen. Für Tschödrich hat dies gleich mehrere Vorteile: "Die Kunden erhalten die von ihnen gewünschte Preistransparenz und der Vertriebsdruck auf die Händler lässt nach." Im Idealfall könnten die Hersteller die Preise um ein bis zwei Prozent erhöhen.
Entscheidend für eine erfolgreiche Umstellung ist zudem die Ausgestaltung der Verträge zwischen Hersteller und Händler. Nur wenn die künftigen Agenten finanziell nicht schlechter gestellt sind, unterstützen sie die Umstellung. Wichtig dabei ist die Rolle des Aftersales: Es könnten für die Händler künftig noch wichtiger werden.
Nicht für alle Hersteller eignet sich das Agenturmodell: "Im Volumenmarkt sind die Effekte am größten", so Tschödrich. Dass es auch bei Premiumanbietern geht, zeigt Mercedes-Benz. Doch je höher die Fahrzeugpreise, desto kleiner die Effekte. "Bei sechsstelligen Fahrzeugpreisen im Luxus-Segment ist der Direktvertrieb weniger relevant, weil das einfach ein anderer Markt ist."
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