Als Daimler-Chef Ola Källenius vor wenigen Wochen in einer hollywoodreifen Inszenierung vor Investoren seine neue Strategie ausrief, da knöpfte er sich den Vertrieb als Erstes vor. "Die Showrooms werden kleiner, ein Teil verlagert sich in die Stadt", kündigte Källenius an. Dabei gehe es auch darum, aus dem System "sehr viel Kosten" rauszunehmen. Källenius erwartet "nichts minder als eine Revolution". Der Vertrieb soll digitaler, der Onlinehandel gestärkt werden. "Das wird Folgewirkungen für die Vertriebsstrukturen haben", sagte Finanzchef Harald Wilhelm auf Nachfrage der Automobilwoche.
"Die Covid-19-Krise erzwingt radikal wirkende Restrukturierungen wie diese", sagt David Leggett, Automobilanalyst bei Global-Data. Auch wenn die Details noch nicht bekannt sind und das Unternehmen jegliche Interviewanfragen dazu ablehnt, so ist doch klar, dass die Preisdurchsetzung am Markt in Zukunft das wichtigste Kriterium sein wird. Profit geht vor Volumen. Im jeweiligen Segment sollen nur noch die höherpreisigen Fahrzeuge an den Kunden gebracht werden. Kompakte wie A- und B-Klasse, die zwar viele neue Kunden und ein hohes Volumen erreicht haben, spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. "In gewissem Sinne haben diese Modelle ihren Job erfüllt. Die Hoffnung ist nun, dass die Kunden umsteigen auf teurere Angebote", sagt Leggett.
Kostensenkung um 40 Prozent?
Die ersten Wellen der von Källenius ausgerufenen Revolution im Vertrieb sind längst bei den Händlern angekommen und haben vor allem eines ausgelöst: Angst. Für viele Mercedes-Partner könnten die Pläne, die beim Hersteller "Model D" heißen, das Aus bedeuten. "Daimler will die Kosten im Vertrieb um 40 Prozent senken", befürchtet ein großer Mercedes-Händler. Wie alle anderen Vertriebspartner will er anonym bleiben, aus Angst vor den Konsequenzen des Herstellers. Jeder zweite Standort, so die Sorge, soll am Ende wegfallen. Dies berichten mehrere Mercedes- Partner übereinstimmend. Es dürfte zuerst die hierarchisch untergeordneten Vermittler treffen, die den größeren Mercedes-Benz- Vertretern angeschlossen sind. Insgesamt zählt Mercedes nach eigenen Angaben in Deutschland knapp 520 Vertriebs- und Servicepartner.
Es ist der nächste Schritt in der schon vor Jahren eingeschlagenen Strategie "Mercedes-Benz 2020 – Best Customer Experience". Die Ausrichtung auf rund 130 Marktverantwortungsgebiete mit jeweils einem Leuchtturm-Standort zeigte den Weg zur Zentralisierung. Die Partner mussten dafür viel Geld in die Hand nehmen. "Zusätzlich zu den Investitionen der vergangenen Jahrzehnte investieren die deutschen Mercedes- Benz-Vertreter gerade einen dreistelligen Millionenbetrag in die neue Markenarchitektur", antwortet der Verband der Mercedes- Benz-Vertreter schriftlich. Selbst in kleineren Städten sind es teils zweistellige Millionenbeträge. "Die rüsten uns mit ihren Standards tot", fürchtet ein großer Mercedes-Partner.
Nicht mehr Premium, sondern Luxus
Gerade vor dem Hintergrund der geplanten Höherpositionierung sind diese Befürchtungen nicht von der Hand zu weisen. Nach den Plänen des Daimler- Chefs produzieren die Schwaben künftig nicht mehr Premium, sondern Luxus. In den Fokus rücken verstärkt Kunden mit einem Einkommen von 250.000 Euro und mehr. In Deutschland sind diese aber nur selten zu finden. Von der Berliner Regierungsriege dürfte streng genommen nur noch die Kanzlerin einen Mercedes fahren. Daimler-Chef Källenius versteht die Aufregung nicht: "Die Allergie zu Luxus erlebe ich nur in Deutschland, in anderen Ländern stellt man sich diese Frage nicht."
Die vier Submarken Maybach, AMG, G und EQ sollen die Kernmarke stärken. Doch in Deutschland und Westeuropa, wo Massenware wie A- oder C-Klasse gefragt ist, spielen diese nur eine Nebenrolle. "Eine Konzentration auf Derivate wie AMG oder Maybach wäre nicht durchzuhalten", sagt ein großer Mercedes-Partner aus dem Norden, der die Strategie grundsätzlich für richtig hält. "Wir werden aber nicht über Maybach oder AMG wachsen. Das ist in unserer Kultur nicht mehr so positiv beleumdet. Margenstark kann auch eine A-Klasse sein – wenn wir den Preis durchsetzen."
Rabatte keine Seltenheit
Dafür war die Kompaktklasse zuletzt jedoch nicht mehr stark genug. Zweistellige Rabatte bei einzelnen Modellen sind auch bei Mercedes keine Seltenheit mehr. Zwar sind die Nachlässe meist geringer als bei anderen Herstellern, doch kommen die Margen auch beim Stern unter Druck. Vor allen bei jungen Gebrauchten sorgte die Transparenz für Preisverfall. Dies will Mercedes verhindern und greift nach der Preisführerschaft – auf Kosten der Vertriebsnetzes. In Schweden geht Daimler diesen Weg bereits. Ab 2021 setzt der Konzern auch in Österreich auf Direktvertrieb. Die Freiheiten der Partner werden eingeschränkt. Die Preise bestimmt nun Daimler – landesweit.
Undenkbar für viele deutsche Autohausbesitzer. Sie halten das System für ungeeignet. "Ich bin mir sicher, dass der Händlerverband dazu nicht zustimmt", sagt ein großer Partner. Die Folgen wären für ihn gravierend, wenn kein Spielraum zum Verhandeln bleibt: "Ich kann doch nicht wegen fünf Euro ein Geschäft an Audi abgeben." Das wäre tatsächlich reiner Luxus.
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