Seit gut einem halben Jahr hat Mercedes seinen rein elektrischen Lieferwagen eSprinter im Handel. Das Interesse von Logistikdienstleistern ist bereits groß. Denn die Anlieferung auf der letzten Meile soll in den Städten zunehmend elektrisch erfolgen. So konnte Mercedes Ende August einen Großauftrag von Amazon verbuchen. Der Online-Handelsriese orderte gleich 1800 elektrische Mercedes-Transporter, um auf dem Weg zum nachhaltigen Unternehmen ein Stück voranzukommen.
Während der eSprinter in Deutschland das Zeug zum Bestseller in seinem Segment hat, so bleibt ihm ein riesiger Markt verwehrt. Offenbar tritt Mercedes mit dem eSprinter in den USA nicht an, weil die eigenen Spezifikationen für die Sicherheit nicht ausreichend erfüllt werden können. "Die Komponenten für den Elektroantrieb entsprechen nicht den internen Standards von Daimler für Crash-Tests, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen", sagte ein Insider der Automobilwoche. Die Anpassung an den amerikanischen Markt wäre so teuer, dass Daimler zunächst darauf verzichtet.
Fragt man beim Unternehmen nach, klingt dies freilich nach einer gewollten Strategie. "Wie im Rahmen der Markteinführung des eSprinter 2019 kommuniziert, haben wir uns bei der Entwicklung des Fahrzeugs in einem ersten Zug auf die Region Europa fokussiert. Dementsprechend sind die Leistungsbedarfe des Fahrzeugs auf die Kundenbedarfe in Europa abgestimmt", sagte ein Sprecher. In einer Stellungnahme nach Veröffentlichung des Artikels betont Daimler: "Unterschiedliche Sicherheitsanforderungen waren für die Strategie, zunächst den Fokus auf Europa zu legen, nicht entscheidend."
Amazon ordert bei Elektro-Start-up
Daimler argumentiert, dass der US-Markt ganz andere Anforderungen an einen batterie-elektrischen Large Van habe. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Reichweite und damit die Größe der Batterie. Tatsächlich hat der eSprinter selbst mit der größeren Batterie nur eine Reichweite von 170 Kilometern. Das reicht für eine Tagestour in einer europäischen Stadt in der Regel aus. Da die Entfernungen in den USA auch in urbanen Gebieten aber wesentlich größer sind, passt der Fahrzyklus kaum für einen amerikanischen Kunden.
Auf Dauer kann Mercedes diesen Markt aber nicht links liegen lassen. "Wir beobachten jederzeit das Marktgeschehen und stehen in intensivem Austausch mit unseren Kunden, um das Produktportfolio auf die Bedürfnisse weiterer Märkte anzupassen", so der Sprecher. Übersetzt heißt das wohl, dass Daimler an einer Weiterentwicklung des eSprinters arbeitet, damit dieser auch in den USA gebaut und verkauft werden kann. In Charleston hat Daimler vor zwei Jahren ein eigenes Werk für den Sprinter eröffnet.
Alles andere wäre auch fahrlässig, wie ein Blick auf den Partner Amazon zeigt. Der hat in den USA bereits 100.000 elektrische Transporter beim Elektro-Start-up Rivian geordert, die bis 2030 geliefert werden sollen. Rivian baut derzeit eine eigene Produktion in den USA auf – unterstützt mit Finanzmitteln von Amazon. Falls Daimler auf diesem Markt noch ein Wörtchen mitreden will, sollten sich die Entwickler besser beeilen.
Lesen Sie auch:
EQV hat rund 350 Kilometer Reichweite
Interview Marcus Breitschwerdt: "Nur wir können in diesem Umfang liefern"
Neuer elektrischer Van vorgestellt: Mercedes-Transporter sollen zurück in die Erfolgsspur
Aus dem Datencenter: