Harald Krüger war kaum zu bremsen. "Wir revolutionieren den Automobilbau", sagte der damalige BMW-Produktionsvorstand 2013, als er Journalisten durch die neue i3-Produktion in Leipzig führte. Zum ersten Mal ging ein Auto in Großserie, dessen Karosserie fast komplett aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) bestand. Für die Produktion des Materials wurde mit SGL als Partner sogar ein neues Gemeinschaftsunternehmen gegründet, samt Carbonfaserproduktion in Moses Lake in den USA und Gelegefertigung in Wackersdorf.
Zwei Jahre später war die Euphorie verflogen. Krüger selbst, inzwischen zum BMW-Chef auf- gestiegen, stoppte alle Folgeprojekte. Längst hatte sich gezeigt, dass der Werkstoff CFK schlicht zu teuer ist, um daraus ganze Autos zu bauen. 2017 zog sich BMW dann auch aus dem Gemeinschaftsunternehmen mit SGL Carbon zurück.
Zielgenauer Einsatz statt Komplettkarosserie
Von einem teuren Fehlgriff will bei BMW heute trotzdem niemand sprechen. "Wir sind Vorreiter beim Einsatz von CFK", sagt Michael Fischer, Gruppenleiter Leichtbau bei BMW. "Wir haben dort seit 2013 Erfahrungen gesammelt, die wir jetzt zum zielgenauen Einsatz bringen." An komplette CFK-Karosserien denkt BMW dabei nicht mehr. Stattdessen setze man auf eine Mischbauweise – mit Carbon als bedeutendem Bestandteil. "Das ist immer eine Abwägung zwischen den funktionalen Anforderungen, dem Beitrag, den CFK liefern kann, und den Kosten."
Von den Vorzügen ist Fischer weiter überzeugt. Das Material sei fünfmal so fest wie Stahl, leichter als Aluminium, fast beliebig verformbar und roste nicht. "Es ist aber auch sehr teuer." Daher baue man es nun ganz gezielt ein. "Im richtigen Einsatzgebiet kann CFK seine Vorteile ausspielen."
CFK macht Siebener und iNext leichter
Beim Siebener etwa wird bereits seit 2015 im großen Stil CFK verbaut. In A-, B- und C-Säule ist der Stoff enthalten, ebenso in der Tunnelverkleidung für den Antriebsstrang und in der Dachkonstruktion. "Das ist Teil einer intelligenten Mischbauweise." Bei mehreren M-Modellen gibt es sogar komplette CFK-Dächer. Und auch beim neuen Technik-Flaggschiff iNext, das 2021 anläuft, setzen die Münchner auf Strukturteile aus CFK.
Geliefert wird das Material weiter vom einstigen Gemeinschaftsunternehmen mit SGL Carbon, das der Partner jetzt allein weiterführt. Auch dort will man das i3-Experiment keineswegs als Misserfolg ansehen. Zusammen mit BMW habe man damals Pionierarbeit geleistet, "von der wir als SGL Carbon auch heute noch profitieren", sagt ein Sprecher.
Batteriegehäuse als Wachstumstreiber
Die E-Mobilität eröffnet nun neue Chancen. "Wir konnten hier bereits über 20 Neuprojekte gewinnen, deren Anlauf bis 2022 geplant ist", sagt der SGL-Sprecher. Jüngstes Beispiel: Ein Batteriegehäuse aus CFK, das neben BMW schon drei weitere Autobauer bestellt haben. Hier kann CFK sogar mehrfach punkten. Das stabile Material schütze die Batterie vor Beschädigungen, sei kaum anfällig für Temperaturschwankungen und halte auch einem möglichen Brand länger stand. Entsprechend groß sei das Interesse der Autobauer. "Das entwickelt sich für SGL Carbon zu einem Wachstumstreiber."
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