Alle Jahre wieder im Herbst wird es ungemütlich für den Daimler-Konzern. Dann nämlich stellt die Daimler-Führungsriege um Ola Källenius, Markus Schäfer und Harald Wilhelm den Investoren ihre neue Strategie vor. Satte dreieinhalb Stunden sind für die Übertragung aus der Messe Stuttgart angesetzt. Wie schon im vergangenen Jahr dürfte es vor allem um Einsparungen gehen – nicht zuletzt beim Personal.
Vor allem die Motorenwerke wird es in den nächsten Jahren hart treffen. So hat der Betriebsrat am Stammsitz in Untertürkheim bereits Alarm geschlagen. Von 4000 Stellen weniger bis 2025 ist hier die Rede. Das wäre mehr als ein Fünftel der aktuellen Belegschaft, die 19.000 Mitarbeiter umfasst. Auch am Standort Berlin, wo Verbrenner-Motoren auslaufen, sollen bis zu 1000 Stellen gefährdet sein. Als Grund nannte Mercedes-COO Markus Schäfer den beschleunigten Wandel hin zur Elektromobilität und die schärferen Vorgaben der EU. „Wir haben keine Möglichkeit länger zu warten“, so Schäfer.
Dies steht im Kontrast zu den Aussagen, die noch vor einem Jahr zu hören waren. Da betonte das Unternehmen stets die immer noch guten Perspektiven an den Standorten für Verbrennungsmotoren. Da auch Plug-In-Hybride einen Diesel oder Benziner an Bord haben und der weltweite Absatz wachse, sei zumindest mit einer stabilen Entwicklung zu rechnen. Daher bleibe genügend Zeit für den Umbau. Dies wird nun offenbar völlig anders gesehen. Schäfer macht keinen Hehl daraus, dass es vor allem um die Rentabilität geht. „Auch die Powertrainwerke müssen zu den Wettbewerbsverbesserungen beitragen“, so Schäfer. Teile der Produktion sollen daher nach Polen und Rumänien verlagert werden.
Bald nur noch 250.000 Mitarbeiter?
Im Gegenzug könnte der frei gewordene Platz in Untertürkheim für den Einstieg in die Batteriezelle genutzt werden. Das Unternehmen denkt an ein Kompetenzzentrum für Elektromobilität, das neben Forschung und Entwicklung auch eine kleine Zellfabrik enthalten könnte. Hier geht es jedoch nur darum, Spezifikationen für die Lieferanten festzulegen, um eventuell bei Zelle und Batterie einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz herauszukitzeln. Ein Ersatz für die verloren gegangenen Arbeitsplätze kann dies nicht sein.
Daimler folgt hier übrigens dem Muster, das sich auch bei vielen Zulieferern wie Conti, Bosch oder Mahle zeigt. Produkte, die am Verbrenner hängen und keine Zukunft mehr haben, wandern gnadenlos nach Osteuropa ab, wo sie deutlich billiger hergestellt werden können. In Deutschland wird im Gegenzug zwar in Elektromobilität und Brennstoffzelle investiert. Doch weil das prognostizierte Wachstum auf den weltweiten Märkten für die nächsten Jahre deutlich nach unten korrigiert wurde und die neuen Technologien weniger beschäftigungsintensiv als Diesel und Benziner sind, fallen massenhaft Jobs weg.
Zwar spricht das Unternehmen nicht über Zahlen. Doch zu den bereits kolportierten mehr als 10.000 Stellen, die Källenius im vergangenen Herbst über die Sparten Pkw, Transporter und Lkw hinweg wegfallenlassen will, dürfte nun nochmals ein deutlich stärkerer Abbau hinzukommen. Nimmt man die um 20 Prozent nach unten korrigierten Wachstumsprognosen der Experten bis 2025 als Grundlage, dann könnten von den derzeit knapp 300.000 beschäftigten in fünf Jahren nur noch 250.000 übrig bleiben. Weil in Deutschland zwar die meisten Beschäftigten sind, der Gewinn aber überwiegend im Ausland und vor allem in China erwirtschaftet wird, dürfte es die rund 170.000 Mitarbeiter von Bremen über Rastatt bis Untertürkheim und Sindelfingen besonders hart treffen.
Weniger Modelle
Spannend wird dabei die Frage, ob alle Stellen auch wirklich sozialverträglich abgebaut werden können. Zwar ist es das erklärte Ziel der Unternehmensleitung, die Beschäftigungssicherung bis 2030 umzusetzen und Jobs nur über Fluktuation, Altersteilzeit oder freiwillige Angebote zu reduzieren. Doch eine Schlechtwetterklausel im Vertrag würde im Zweifel wohl auch Kündigungen erlauben. "Das oberste Kriterium ist die Gesundheit des Unternehmens", sagte Schäfer zuletzt auf die Frage, ob die Zusicherungen für die Motoren-Standorte weiter Bestand haben.
Die Motorenwerke sind dabei nur ein Teil im Sparpuzzle von Ola Källenius. Schon länger ist davon die Rede, dass auch die Komplexität bei den Modellen deutlich reduziert werden soll. So steigt die Zahl der unterschiedlichen Baureihen bis 2022 mit der Einführung der EQ-Modelle nochmals deutlich an und dürfte dann bei über 50 liegen. Danach aber soll es eine deutliche Reduzierung geben. Diese steht auch im Zusammenhang mit der Einführung eines neues Betriebssystems, das derzeit mit dem Partner Nvidia entwickelt wird. Mit Einführung der neuen Architektur im Jahr 2024/25 dürfte auch eine erkleckliche Anzahl von Modellen wegfallen. So hat sich Mercedes bereits entschieden, bei der S-Klasse Cabrio und Coupé auszusortieren. Auch die B-Klasse dürfte wohl keinen Nachfolger mehr erhalten. Weniger Modelle bedeuten, dass weniger Entwickler benötigt werden.
Källenius betonte mehrfach, dass die Gewinnschwelle des Konzerns in Zukunft weiter sinken soll, um die angestrebte Rendite von acht bis zehn Prozent in den kommenden Jahren wieder erreichen zu können. Dazu will sich der Daimler-Chef neben den Einsparungen verstärkt auf das obere Ende der jeweiligen Segmente konzentrieren, die höhere Margen versprechen. "Wir wollen den Kern als Luxusmarke stärken und uns auf unsere Wurzeln besinnen", sagte Källenius. Dies bedeutet, dass die Modell-Varianten um Maybach und AMG ausgebuat werden, da hier die höchsten Margen zu erzielen sind.
Weitere Anpassungen wird es auch im Produktionsnetzwerk für die Pkw geben. Die Fabriklandschaft war auf nachhaltiges Wachstum in den nächsten Jahren ausgelegt, das es aber nicht geben wird. Bereits auf der IAA im vergangenen Jahr prognostizierte Bosch-Chef Volkmar Denner, dass erst 2025 wieder das Niveau von 2019 erreicht werden könnte. Während Mercedes bereits den Ausbau des Werks im ungarischen Kecskemet auf Eis gelegt hat und das Smart-Werk im elsässischen Hambach an den britischen Geländewagen-Hersteller Ineos verkaufen will, könnte es jetzt allem die kleineren Werke auf der Welt treffen.
Kleine Werke auf der Kippe
So produziert Mercedes beispielsweise in Brasilien in Iracemapolis die C-Klasse. Kaum vorstellbar, dass diese Werk auch den Zuschlag für die neue Generation erhält, wo der Markt seit Jahren schwächelt und auch das Werk im mexikanischen Aguascalientes nicht ausgelastet ist. Erst im vergangenen Jahr hatte Mercedes in Russland eine Fertigungsstätte mit 1000 Mitarbeitern eröffnet. Auch in Thailand steht eine kleine Fabrik, wo allerdings auch Elektromodelle und Batterien gefertigt werden sollen. Ob diese dauerhaft rentabel betrieben werden können, ist mehr als fraglich.
Neben den Pkw müssen auch die andren Geschäftsfelder bluten. Deutliche Einschnitte sind auch bei den Lkw zu erwarten. So hat Truck-Chef Martin Daum vor wenigen Tagen die Strategie auf dem Weg zur CO2-neutralen Transportwelt vorgestellt. Demnach soll es in Zukunft auch die Langstrecke mit elektrischen Lkw zu bewältigen sein, die ihren Strom entweder nur aus einer großen Batterie oder aber aus einer Brennstoffzelle beziehen. Da diese Umstellung immens teuer ist und auf der anderen Seite der Lkw-Markt durch die Corona-Krise stärker eingebrochen ist als beispielsweise der Pkw-Markt, werden wohl weitere Jobs in Deutschland verloren gehen.
Gleiches gilt für die Mobility-Sparte. Noch kurz vor dem Ende seiner Amtszeit hatte Källenius-Vorgänger Dieter Zetsche Carsharing und Ride-Hailing-Dienste mit BMW zusammengelegt. Doch das neu geründete Joint Venture samt schicker Firmenzentrale in Berlin verursacht hauptsächlich Kosten. Auf der anderen Seite ist nicht abzusehen, wann FreeNow oder ShareNow endlich mal Gewinne abwerfen. Weder Källenius noch BMW-Chef Oliver Zipse hängen an den Services. Sie wollen sich lieber auf das Autogeschäft konzentrieren. Erste Interessenten haben bereits angeklopft. So soll Konkurrent Uber am Ride-Hailing Service FreeNow interessiert sein. Ob es zum Verkauf kommt, ist noch unklar.
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