Am 20. Januar 2020 war die Corona-Pandemie noch weit weg. An dem Tag gab Tata Motors als Eigentümer von Jaguar Land Rover (JLR) bekannt, dass JLR-Vorstandschef Ralf Speth im September zurücktreten wird. Bis heute aber ist ein Nachfolger für Speth noch nicht ernannt. Das nährte zuletzt Spekulationen, der 64 Jahre alte Franke werde noch ein weiteres Jahr dranhängen, damit inmitten der Krise nicht noch mehr Unruhe entsteht.
Speth wollte die Information auf Anfrage der Automobilwoche nicht kommentieren. Nach Informationen der "Financial Times" gibt es eine Shortlist mit vier Kandidaten für die Nachfolge.
JLR steckt in einer Dreifachkrise: erstens die Wirtschaftskrise, zweitens die Covid-19-Pandemie, drittens der Brexit. Die Finanzlage des britischen Herstellers ist angespannt. JLR leidet unter hohen Entwicklungs- und Plattformkosten. Schon vor dem Virusausbruch schwenkte Speth auf einen rigorosen Sparkurs ein, der jetzt noch einmal verschärft worden ist: Bis März 2021 sollen nun insgesamt fünf Milliarden Pfund (5,5 Milliarden Euro) weniger ausgegeben werden. Die Muttergesellschaft Tata hat die Investitionen für das laufende Geschäftsjahr bereits von vier auf 2,5 Milliarden Pfund reduziert. Im Juni nahm JLR bei chinesischen Kreditgebern zudem rund 600 Millionen Euro auf.
JLR befürchtet auch, dass man im Falle eines No-Deal-Brexits zusätzlich pro Jahr 500 Millionen Pfund (550 Millionen Euro) für Zölle aufwenden muss – das sind 40 Millionen Pfund pro Monat. Die meisten Werke des Herstellers befinden sich auf der Insel.
Hohe Kosten und Absatzminus
Im Geschäftsjahr 2019/2020 (zum 31. März) sackte der Absatz um zwölf Prozent ab. Im vierten Quartal von Januar bis März gab es einen Rückgang um 30 Prozent. Das Jahr endete mit einem Minus von fast 400 Millionen Pfund. Zahlen zum ersten Quartal liegen noch nicht vor.
Vor allem Jaguar tut sich aktuell schwer. Die Verkäufe bei Land Rover laufen besser. Als Reaktion auf den Rückgang erwägt JLR, die Modellpalette zu verkleinern, wie der Finanzchef von Tata Motors, PB Balaji, jetzt vor Investoren sagte. "In einigen Wochen", so Balaji, würde man klarer sehen und könne darüber entscheiden.
Ein Hoffnungsträger ist indes der neue Defender, der jetzt in vielen Märkten in den Handel kommt. Nach Informationen der Automobilwoche fragen sich Händler allerdings, ob auch genug Stückzahlen produziert und sie ausreichend versorgt werden. Das Defender-Werk in der Slowakei war während des Shutdowns 58 Tage lang geschlossen, seit dem 18. Mai wird die Produktion sukzessive hochgefahren. Das Werk in der Stadt Nitra hat eine Kapazität von 150.000 Einheiten, dort baut JLR neben dem Defender auch den Land Rover Discovery.
Wartezeit: Drei bis sechs Monate
"Natürlich haben wir Fahrzeuge, die noch in der Produktion hängen. Das muss jetzt nach und nach abgebaut werden", sagte JLR-Deutschland-Chef Jan-Kas van der Stelt der Automobilwoche. JLR nennt eine Wartezeit in Deutschland von drei bis sechs Monaten je nach Modell. Van der Stelt: "Wenn es einen Ansturm im Verkauf gäbe und die Wartezeit sich verlängern würde, hätte ich auch nichts dagegen."
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