Ein unscheinbares Firmenschild im Böblinger Büroviertel unweit der Erlebnisausstellung "Motorworld" weist den Weg zu Ineos. Eigentlich steht der Name für einen weltweit operierenden Chemiekonzern aus Großbritannien. Bei Stuttgart hat die vor vier Jahren gegründete Auto-Sparte des Unternehmens eine Entwicklungseinheit aufgebaut mit inzwischen 100 Mitarbeitern. Sie verfolgen ein ehrgeiziges Ziel: Inmitten von Klimadiskussionen und SUV-Kritik wollen sie einen Geländewagen auf den Markt bringen, der den Namen auch verdient.
Projekt-Chef Dirk Heilmann, der schon seit fast 20 Jahren bei Ineos Großprojekte betreut, sitzt an einem langen Konferenztisch und hat eine Video-Konferenz nach Großbritannien organisiert, um exklusiv für die Automobilwoche erstmals das Design des "Grenadier" getauften Modells zu enthüllen und Fragen zu dem Vorhaben zu beantworten.
Die Herausforderung ist groß, das Selbstvertrauen aber auch. "Wir wollen mittelfristig 25.000 Einheiten pro Jahr verkaufen. Darauf ist auch unser Geschäftsplan ausgelegt", sagt Heilmann. Bei Bedarf könnten auch mehr Exemplare gebaut werden. Zum Vergleich: Der alte Land Rover Defender brachte es 2015 im letzten Jahr vor dem vorläufigen Produktionsende auf 23.000 Einheiten.
Der Grenadier soll in 18 Monaten auf den Markt kommen. "Wichtig war uns, dass das Auto leicht zu lesen und unkompliziert ist", sagt Designer Toby Ecuyer. Die Zielvorgabe war klar: Es sollte ein "modernes, funktionelles und extrem leistungsfähiges Allradfahrzeug mit einem hohen Nutzwert als Kern" entstehen, wie Ecuyer erzählt. Der kantige Grenadier hat einen Leiterrahmen und Starrachsen und soll ein klassischer Geländewagen in der Tradition von Land Rover Defender oder Toyota Land Cruiser sein, bei dem die Form der Funktionalität folgt.
Alleine wäre das ehrgeizige Projekt, das nach Informationen der Automobilwoche bereits einige Hundert Millionen Euro verschlungen hat, kaum realisierbar gewesen. Deswegen hat sich Heilmann namhafte Partner aus der Auto- und Zuliefererindustrie gesucht. Magna beispielsweise bringt den Grenadier zur Serienreife, ZF liefert das Getriebe, Gestamp den Leiterrahmen, Carraro die Achsen. Die Entscheidung für den Entwicklungsstandort Böblingen und das Automobilcluster Stuttgart fiel laut Heilmann auch wegen der Nähe zu den Partnern – und weil sich hier ein Gesamtfahrzeug umsetzen lässt.
Für Abgasnorm Euro 7 ausgelegt
Die Diesel- und Benzinmotoren mit sechs Zylindern kommen von BMW und sind bereits auf die schärfere Abgasnorm Euro 7 ausgelegt. Eine Elektrifizierung ist wegen des Gewichts der Batterien und dem Fahrverhalten zunächst nicht vorgesehen. "Wir haben uns bewusst für Verbrennungsmotoren entscheiden, da für unseren Fahrzeugtyp mit einer Tonne Zuladung und 3,5 Tonnen Anhängelast eine akzeptable Reichweite mit einem elektrischen Antrieb noch nicht darstellbar ist", sagt Heilmann. "Die Offroad-Fahrleistung wäre wegen des zusätzlichen Gewichts der Batterie auch stark eingeschränkt. Eine Option für die nächste Generation ist aber sicher der Brennstoffzellen-Antrieb, und wir haben bereits Konzepte dafür erarbeitet."
Die Idee zum Grenadier entstand 2016, als Land Rover das Ende des Defenders bekanntgab. Ineos-Chef Jim Ratcliffe, der mit seinem Unternehmen Milliarden gemacht hat, beschloss einen eigenen Geländewagen auf den Markt zu bringen und benannte das Projekt nach seinem Londoner Lieblingspub Grenadier. "Es gab kein am Nutzen orientiertes Offroad-Fahrzeug mehr. Daraus
entstand unsere Blaupause für einen leistungsfähigen, robusten und verlässlichen Offroader, der auch das anspruchsvollste Gelände der Welt meistern kann", sagt Ratcliffe, der als Hobby auch den Fussballverein OGC Nizza aus der ersten französischen Liga sponsert.
Als Kunden hat Ineos Menschen aus ganz unterschiedlichen Zielgruppen im Visier. Dazu zählen neben Förstern, Skiliftbetreibern oder Umweltschutzbehörden auch "coole Mütter und Väter", wie es Vertriebschef Mark Tennant beschreibt. Der Grenadier soll in erster Linie ein Lifestyle-Auto für Enthusiasten sein. Als Hauptmärkte gelten Europa, USA oder Australien. Beim Start wird der Geländewagen zunächst in Großbritannien und Europa erhältlich sein, weitere Märkte folgen später.
Gefertigt werden soll trotz Brexit in einem Werk in Bridgend (Wales), das derzeit aufgebaut wird. Hier arbeiten zunächst 200 Beschäftigte, später könnten es 500 sein. Zudem ist eine Anlage für die Vormontage von Fahrwerk und Karosseriekomponenten in Estarreja (Portugal) geplant, in der im Lauf der Zeit weitere 500 Stellen entstehen können. Der Vertrieb erfolgt zum Großteil über das Internet, für den Service und Ersatzteile will sich Ineos eine Werkstattkette als Partner suchen.
Zum Preis äußert sich Ineos nicht. Bei der Liste der namhaften Zulieferer wird der Grenadier sicher kein Schnäppchen. Er soll aber "bezahlbar" sein und beispielsweise nicht in den Regionen einer Mercedes G-Klasse wildern. Dass gerade jetzt der Nachfolger des zuvor aussortieren Defenders auf den Markt gekommen ist, stört Heilmann nicht. Für ihn handelt es sich um ein völlig anderes Konzept. "Wir wollten zurück zu den Wurzeln und schaffen eine ganz eigene Identität."
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