Der Daimler-Konzern und die Brennstoffzelle – das ist eine unendliche Geschichte. Die Entwicklungsarbeit begann vor mehr als 20 Jahren. Im Jahr 2011 umrundeten drei mit Wasserstoff betriebene B-Klasse-Fahrzeuge den Globus und sammelten wichtige Erfahrungen. Vor einem Jahr schließlich kam der GLC F-Cell auf den Markt und nährte die Hoffnung, dass die Technologie wie bei Hyundai, Honda oder Toyota nun endlich die Serienreife erreicht habe. Doch weit gefehlt. Das Auto wurde nicht zum Verkauf angeboten, sondern nur für eine Leasingrate von 800 Euro pro Monat einem ausgewählten Kreis an Kunden zur Verfügung gestellt. Von horrenden Kosten in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro pro Fahrzeug ist die Rede. Und längst ist klar, dass der GLC F-Cell keinen Nachfolger bekommen wird.
Stattdessen folgte ein Strategieschwenk. Nicht die Pkw, sondern die Lkw der Marke mit dem Stern sollen möglichst bald mit Brennstoffzelle an Bord unterwegs sein. Harte CO2-Vorgaben der EU zwingen die Truck-Hersteller, eine Alternative zum altgedienten Diesel zu entwickeln. Doch die rein batteriebetriebene Elektromobilität ist dafür ungeeignet. Um für die Langstrecke eine ansprechende Reichweite zu erzielen, müssten die Lkw bis zu acht Tonnen Batterie mitschleppen und trotzdem lange Ladestopps einlegen. Das reduziert die Nutzlast erheblich und ruft Fragen nach der ökologischen Sinnhaftigkeit hervor. Die Brennstoffzelle dagegen verspricht ordentliche Reichweiten bei schneller Betankung. Vorausgesetzt, die entsprechende Infrastruktur wird in den nächsten Jahren aufgebaut. "Hier ist die Brennstoffzelle als lokal CO2-neutraler Antrieb im besonders weiten Fernverkehr in Richtung 1000 Kilometer ohne längeren Zwischenstopp und bis zu 40 Tonnen Lkw-Gesamtgewicht alternativlos", sagt Andreas Gorbach, Leiter Daimler Truck Fuel Cell.
Um möglichst schnell die Marktreife für solche Systeme zu erreichen, braucht es auch eine geeignete Produktion. "Wie bei der Entwicklung der Brennstoffzellen-Technologie profitieren wir auch in Sachen Herstellung von der langjährigen Erfahrung unserer Experten", sagt Gorbach. "Dadurch sind wir bereits heute in der Lage, ganz konkret an einem unserer wichtigsten Meilensteine zu arbeiten, und zwar der technologischen Vorlage für die Serienfertigung von Brennstoffzellensystemen im großen industriellen Maßstab." Gorbach verspricht sich davon einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Herstellern.
Dafür sollen in einem Daimler-Werksteil in Esslingen Hallen entstehen mit Reinräumen und hochpräzisen Maschinen, wie sie für die Produktion der hochempfindlichen Stacks benötigt werden. Die kleinste Verunreinigung könnte die Funktionsfähigkeit der Brennstoffzellen beeinträchtigen. Man investiere einen "erheblichen Beitrag". Das dürften deutlich mehr als als zehn Millionen Euro sein. Die größte Herausforderung für die Daimler-Experten stellt offenbar das Erreichen einer kurzen Taktzeit der Produktion dar, wie es in der Mitteilung heißt. Die sei für eine wirtschaftliche Fertigung jedoch unerlässlich. Die Experten greifen daher bei der Fertigung der Stacks auf Technologien der Verpackungsindustrie zurück – in der Autoindustrie eher unüblich.
Nikola will schon 2023 starten
Doch bis erste Systeme wirklich in Lkws verbaut sind, dürfte bei Daimler noch einige Zeit vergehen. Lkw-Chef Martin Daum selbst rechnet damit, dass die Serienreife erst nach 2025 erreicht werden könne. Für ihn spielt die Brennstoffzelle aber eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der zukünftigen Abgasvorschriften. "Wir verfolgen die Vision eines CO2-neutralen Transports der Zukunft. Die wasserstoffbasierte Brennstoffzelle ist dabei eine zentrale Technologie von strategischer Bedeutung. Wir gehen nun konsequent den Weg in Richtung Serienfertigung von Brennstoffzellen und leisten damit absolute Pionierarbeit – und dies über die Fahrzeugindustrie hinaus", so Daum.
Um noch schneller voranzukommen, hat Daimler erst vor wenigen Wochen eine Absichtserklärung für ein Gemeinschaftsunternehmen mit Volvo unterschrieben. Ziel ist die "serienreife Entwicklung und Vermarktung von Brennstoffzellensystemen für den Einsatz in schweren Nutzfahrzeugen und anderen Anwendungsfeldern". Für stationäre Brennstoffzellensysteme will Daimler dagegen mit Rolls Royce kooperieren. Der Geschäftsbereich Power Systems von Rolls-Royce Power Systems plant, für die von ihm entwickelten und vertriebenen Notstromgeneratoren der Marke MTU in Rechenzentren zukünftig auf die Brennstoffzellensysteme aus dem Joint Venture von Daimler Volvo zurückzugreifen. Bis Ende des Jahres solle ein umfassender Kooperationsvertrag ausgearbeitet und unterzeichnet werden.
Während der Daimler-Konzern aufs Tempo drückt, schläft die Konkurrenz keineswegs. So will das US-Start-up Nikola Brennstoffzellen-Lkw im großen Stil auf den Markt bringen. Allein diese Aussicht beschert dem Unternehmen, das kürzlich an die Börse ging, einen aktuellen Marktwert von über 20 Milliarden Euro. Der gesamte Daimler-Konzern ist an der Börse derzeit nicht einmal 40 Milliarden Euro wert. Zusammen mit der Lkw-Marke Iveco sollen am Standort Ulm bereits im Jahr 2023 Brennstoffzellen-Lkw vom Band laufen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Zulieferer Bosch, der für die Serienproduktion der Brennstoffzellen-Stacks sorgen soll. "Der Nikola Tre ist der modernste schwere Lkw der Welt und wird den Standard für emissionsfreie Fahrzeuge heute und in Zukunft setzen", kündigte Nikola-Chef Trevor Milton bei der Bekanntgabe des Joint Ventures mit Iveco an.
2021 soll bereits eine elektrische Version des Nikola Tre gebaut werden, der als Vorläufer und Plattform für die Brennstoffzelle gilt. Allerdings ist unklar, inwiefern die Corona-Krise die Pläne nun verzögert hat. In den USA hat Nikola nach eigenen Angaben bereits 14.000 Truck-Vorbestellungen, unter anderem vom Brauereikonzern Anheuser-Busch. Als Start ist auch hier das Jahr 2023 vorgesehen. Umgerechnet wären das Einnahmen im Wert von über zehn Milliarden Dollar. Außerdem will Nikola bis 2027 gemeinsam mit Nel, einem führenden Hersteller von Elektrolyse-Anlagen, 700 Wasserstoff-Tankstellen in den USA errichten.
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