Die Software-Einheit von Volkswagen steht nach monatelanger Vorbereitung vor dem Start: Zum 1. Juli soll die Entwicklung einer eigenen Digital-Plattform für alle Marken im Konzern beginnen.
Diese bildet den Kern eines Auto-Betriebssystems, das bis 2024 voll ausgearbeitet sein soll.
VW will die "komplette Fahrzeugarchitektur" inklusive Elektronik dabei selbst kontrollieren, wie Digitalvorstand Christian Senger am Freitag erklärte.
Man bleibe aber offen für Partnerschaften, Joint-Ventures oder Beteiligungen. In den kommenden Jahren will die neue Konzerneinheit mehr als sieben Milliarden Euro ausgeben.
Abhängigkeit von IT-Riesen
Es gebe Anfragen von außen, sagte Senger. "Was wir aber nicht wollen, ist, dass jeder sein eigenes Ding mitbringen und umsetzen kann. Wir bestimmen die Architektur." Die Plattform selbst werde eine Entwicklung der eigenen Experten sein.
Die steigende Bedeutung von Software macht die Industrie abhängiger von den IT-Riesen. Viele Unternehmen versuchen daher, ihre Kompetenz zu erweitern und das Fachpersonal entsprechend aufzustocken.
Die "Car.Software"-Organisation bei VW soll nach bisherigen Plänen bis 2025 über 10.000 Experten umfassen, bis zum Ende des laufenden Jahres könnten es schon 5000 Mitarbeiter sein.
Ziel ist es, mehr Systeme in Eigenregie zu programmieren und so die Wertschöpfung zu vergrößern. Der Anteil soll von weniger als zehn auf mehr als 60 Prozent wachsen.
Ein skalierbares System
Man habe "die 100-prozentige Überzeugung", möglichst viel selbst machen zu wollen, so Senger. Der "digitale Mehrwert" müsse im Konzern bleiben. Wo sinnvoll, könnten weitere Partner dazu kommen. "Aber von jetzt an werden wir unsere eigenen Software-Standards definieren. Wir werden entscheiden, wie wir etwas umsetzen und was wir umsetzen."
Indes stiegen die Anforderungen an Technologie-Zulieferer. Volkswagen setze auf "eine selbst definierte Architektur mit klaren Schnittstellen, die regional unterschiedliche Module möglich macht".
Das "VW.OS" enthält im Kern etwa ein Infotainment-System sowie einen Teil, bei dem auch freie Software-Entwicklung ("open source") möglich ist. Darüber hinaus sind "On-top-Systeme" geplant, die – je nach Nachfrage und Vorschriften in einzelnen Märkten – auf dem Basismodell aufsetzen.
Im Hintergrund sind riesige Cloud-Speicher, über die der Datenverkehr läuft. Ab 2022 soll die Grundplattform bei Audi und Porsche kommen. Für die Ausbaustufe mit vollem Funktionsumfang ist 2024 angepeilt, ab 2025 in allen Marken der Gruppe. Es gehe um "ein System, das vom Kleinwagen bis zur Premiumlimousine skalierbar ist".
Nicht alle Autobauer dürften bald Eigenentwicklungen haben, schätzt Senger: "Es wird in Zukunft wahrscheinlich weltweit weniger Betriebssysteme fürs Auto geben, als es Autohersteller gibt." Der Wettbewerb um die nötigen Experten sei in der Branche groß.
Hohe Komplexität
Bei VW werden mehrere Tausend eigene IT-Fachkräfte aus Beteiligungen und Marken eingesetzt. Hinzukommen soll Personal aus Neueinstellungen oder Firmenübernahmen. Die Hälfte soll in Europa arbeiten, vor allem in Deutschland.
Neben Wolfsburg ist Ingolstadt einer der Standorte; Audi ist zudem für die übergreifende Koordination von Forschung und Entwicklung im Konzern zuständig. Der VW-Betriebsrat hatte bereits klargemacht, dass der Wechsel in die Einheit freiwillig sein müsse und die Mitarbeiter volle betriebliche Mitbestimmung haben sollten. Auch in China, Indien, Israel und den USA soll programmiert werden.
Der Ausbau der Software-Entwicklung gehört zu den strategischen Schwerpunkten von Konzernchef Herbert Diess. Zuletzt war allerdings auch deutlich geworden, dass viele der neuen Systeme einen bisher ungekannten Komplexitätsgrad haben.
Beim Elektroauto ID.3 gibt es einen zunächst etwas abgespeckten Umfang an Funktionen, beim Golf 8 kam es zu Verzögerungen in der Produktion. "Ein Auto ist zehn Mal komplexer als ein Smartphone", meinte Senger.
Entstehen soll ein "digitales Ökosystem", in dem Daten zwischen den Smartphones oder Tablets der Kunden, den Anwendungen im Auto, dem Hersteller, Händlern und weiteren Dienstleistern ausgetauscht werden. VW integriert dabei auch Cloud-Speicher und kooperiert mit Microsoft.
Andere Autokonzerne stecken ebenfalls viel Geld in die Vernetzung, nicht zuletzt mit Blick auf die Entwicklung des autonomen Fahrens. Beim Aufbau seiner "Industrial Cloud", die Maschinen und Anlagen in Werken weltweit vernetzen soll, arbeitet Volkswagen mit Amazon und Siemens zusammen. (dpa/mer)
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