Bei Renault bahnt sich eine historische Zäsur an. Der angeschlagene Autobauer will französischen Presseberichten zufolge drei kleinere Werke im Stammland Frankreich auf Dauer schließen und zugleich die Automobil-Montage in seinem größten und ältesten Werk in Flins bei Paris beenden. Dort sollen künftig andere Aktivitäten verfolgt werden.
Die Automobilfertigung in Flins soll demnach 2022 auslaufen, wenn die aktuelle Version des E-Autos Zoé an ihr Lebenszyklus-Ende kommt. Einen Großteil seiner Kapazität verlor das Werk im vergangenen Jahr, weil die Fertigung des Volumenmodells Clio in die Türkei und nach Slowenien verlagert wurde.
Ganz geschlossen werden den Presseberichten zufolge das Werk in Dieppe im Nordwesten Frankreichs, wo die wenigen Fahrzeuge der Sportwagen-Untermarke Alpine im Manufakturstil gebaut werden. Das Werk beschäftigt noch rund 400 Mitarbeiter. Ob die Marke Alpine fortgeführt wird, ist ungewiss.
Zudem sollen zwei Komponentenwerke schließen: Die Fabrik in Choisy-le-Roi bei Paris mit 250 Mitarbeitern und die Gießerei in Morbihan in der Bretagne mit rund 400 Mitarbeitern.
"Keine Tabus" bei Restrukturierung
Ein Unternehmenssprecher sagte der Automobilwoche, die Berichte seien Spekulationen und würden vom Unternehmen nicht kommentiert.
Am 29. Mai will Renault einen Restrukturierungsplan mit Kosteneinsparungen von jährlich rund zwei Milliarden Euro verkünden, einen Tag nach einer ähnlichen Ankündigung beim Allianzpartner Nissan.
Der französisische Staat hält 15 Prozent an der Renault-Gruppe und dürfte bei einer Schließung von Flins erhebliche Zugeständnisse von der Unternehmensführung einfordern. Vor wenigen Tagen hatte die Regierung einer staatlichen Garantie für einen fünf Milliarden Euro schweren Kredit für Renault zugestimmt. Dieser Kreditvertrag sollte am Dienstagabend unterzeichnet werden.
Renaults Interims-Chefin Clotilde Delbos hatte Ende April bei der Vorlage der Bilanz für 2019 betont, dass die staatlichen Hilfen keine Kapazitätsanpassungen verhindern würden. Renault habe sich lediglich bereiterklären müssen, für 2019 auf eine Dividende für die Aktionäre zu verzichten. "Wir haben keine Tabus und schließen nichts aus", hatte Delbos erklärt.
Gewerkschaft CGT: "Das ist undenkbar"
Der einflussreiche Chef der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, sagte am Mittwoch im Sender RTL: "Das ist undenkbar." Er forderte eine andere Strategie für Renault.
Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye sagte, die Corona-Krise habe Probleme der Branche noch verstärkt: "Die Lage des Automobilsektors in Frankreich und weltweit ist äußerst besorgniserregend." Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire werde kommende Woche einen Plan für die Branche vorlegen. Auf den Fall Renault ging sie nicht weiter ein.
Die Oppositionspolitikerin und Rechtspopulistin Marine Le Pen kritisierte, diese Milliardenhilfe umfasse keine Verpflichtung, die Beschäftigung im Inland zu sichern.
Mitwirkung von Ferdinand Porsche in Flins
Das Werk in Flins wurde 1952 eingeweiht und erstreckt sich auf einer Fläche von rund 247 Hektar, davon 67 überbaute Hektar. In seiner Hochphase verließen mehr als 400.000 Fahrzeuge jährlich das Werk, 1979 wurde der Rekord-Ausstoß von 412.000 Einheiten erreicht. Damals waren mehr als 22.000 Menschen in Flins beschäftigt.
Zuletzt wurden noch kapp 160.000 Fahrzeuge pro Jahr in Flins von etwa 2600 Mitarbeitern gefertigt. Sie bauen dort das Elektroauto Zoé sowie seit 2017 auch den Micra des Renault-Partners Nissan. Zuvor war seit 1989 durchgehend der Clio in Flins gebaut worden.
Historisch ist das Werk in Flins mit der deutsch-französischen Geschichte verknüpft. Der Porsche-Gründer und Automobil-Pionier Ferdinand Porsche war wegen seiner engen Zusammenarbeit mit dem NS-Regime von Dezember 1945 bis August 1947 in französischer Gefangenschaft. In dieser Zeit war er an der Konzeption des geplanten größten französischen Automobilwerkes in Flins beteiligt.
In kleinem Umfang war Ferdinand Porsche auch an der Entwicklung des 4CV beteiligt. Porsche trug dazu bei, das Ersatzrad des 4CV im Koffer in der Front des Autos unterzubringen. An diese Historie erinnert noch heute eine kleine Ausstellung im Werk Flins.
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