Ex-VW-Chef Matthias Müller hat in einer Talkrunde auf Einladung der FDP-Bundestagsabgeordneten Judith Skudelny die Stundung der CO2-Strafzahlungen für die deutschen Autobauer gefordert. "Ich kenne keinen Konzernlenker in der Autoindustrie, der die Klimaziele und die daraus abgeleiteten CO2-Ziele heute noch infrage stellt", sagte Müller in der von Philipp Sohmer moderierten Videokonferenz. "Aber ich würde mich der Idee anschließen, die Strafzahlungen, die von diesem Jahr an wirken, für ein Jahr auszusetzen." Dies gebe der Autoindustrie die Gelegenheit, die Zeit der Corona-Krise zu überstehen und dann den Blick nach vorne zu richten.
Auch Skudelny plädierte für eine Aussetzung der Strafzahlungen. "Wir haben im Moment eine Industrie, die mit dem Rücken zur Wand steht und sehr hohe Investitionen leisten muss", so Skudelny. Das Geld sei für die Fortbildung von Mitarbeitern oder neue Technologien besser angelegt als in Strafzahlungen für die EU, wo nicht klar sei, wohin das Geld letztlich fließe.
Müller zeigte ich aber zuversichtlich, dass die Automobilindustrie in Deutschland die Krise überstehen werde. Sie sei schon öfter totgesagt worden, aber meist gestärkt aus den Transformationsphasen hervorgegangen. Die hohe Kunst sei derzeit, die Corona-Krise prozessual zu steuern und gleichzeitig die Mobilität der Zukunft zu gestalten. Wichtig sei, dass die Politik hier die geeigneten Rahmenbedingen setze. "Was aufhören muss, ist eine Verbotspolitik, die den Bürgern das Autofahren verleidet", so Müller. Diese setzten sich schließlich nicht nur aus "Jux und Dollerei" in ein Fahrzeug, sondern um beispielsweise Kinder in die Schule zu bringen, einzukaufen oder ab und zu in den Urlaub zu fahren.
Brecht für staatliche Kaufanreize
Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht sprach sich erneut für staatliche Kaufanreize aus, um die Corona-Krise zu überstehen. "Ich bin zuversichtlich, dass in drei Wochen ein Paket verabschiedet wird, das nicht nur die deutsche Autoindustrie, sondern die Industrie insgesamt wieder zum Laufen bringen kann", sagte Brecht. Die eigentliche Krise werde erst in einigen Monaten richtig spürbar sein. Schon jetzt höre er von vielen mittelständischen Betrieben, die um ihre Existenz bangten.
Alle Teilnehmer, darunter auch der KIT-Technologieexperte Thomas Koch sowie Ex-Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug plädierten für eine Technologieoffenheit, um die Transformation der Autoindustrie zu erleichtern und die deutsche Industrie in der Konkurrenz mit anderen Ländern nicht zu schwächen. Kritisiert wurde dabei der einseitige Fokus auf die Elektromobilität mit entsprechenden Vorgaben der Politik. Judith Skudelny monierte, dass beispielsweise Deutschland eine Richtlinie der EU zur Zulassung synthetischer Kraftstoffe nicht umgesetzt habe. Gerade diese könnten aber einen großen Beitrag leisten, um die künftigen CO2-Ziele zu erreichen und den Klimaschutz zu verbessern.
Für Norbert Haug liegen die Vorteile synthetischer Kraftstoffe auf der Hand. "Wir haben Tankstellen, die Zapfsäulen und die Verbrennungsmotoren, das alles könnte im Sinne der Nachhaltigkeit erhalten bleiben", sagte Haug. "Wer die Pariser Klimaziele halten will, der muss in Richtung synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff gehen zusätzlich zu batterieelektrischen Fahrzeugen", so Haug. Dieser sei bei entsprechender Produktion mit regenerativen Energien auch CO2-neutral darstellbar. Letztlich mache es die Mischung und der Wettbewerb der verschiedenen Technologien.
Müller hat "erhebliche Zweifel"
Aus Sicht des Kunden müsse es eine Wahlmöglichkeit geben, forderte Müller. "Wenn der Diesel heute verdammt wird, dann frage ich mich, was ein moderner Diesel mit dem vor fünf oder zehn Jahren zu tun hat. Heute ist dies ein moderner Antrieb, der auch zur Erfüllung der Klimaziele beitragen kann." Für Müller sind bei der Elektromobilität zwar die Probleme Reichweite und Preis inzwischen gelöst, nicht aber das Thema Ladeinfrastruktur. "An dieser Stelle habe ich erhebliche Zweifel. Wer soll denn in den nächsten Jahren ein E-Auto kaufen, wenn er keine Lademöglichkeiten vorfindet."
Skudelny forderte daher von der Bundesregierung und der EU, nur Ziele des Klimaschutzes vorzugeben, die Technologie aber nicht. "Die Wege dorthin sollten wir in Gottes Namen denen überlassen, die es am besten wissen – und das sind die Ingenieure in den jeweiligen Unternehmen, deren Ziel es ist, die Fahrzeuge am Ende auch verkaufen zu können."
Lesen Sie auch:
EXKLUSIV - Vor Hintergrund der Corona-Krise: Branche hofft auf Lockerung der CO2-Ziele
Elektroautoanteil steigt die Corona-Zeiten deutlich
CSU will Konjunkturpaket für gesamte Wirtschaft
Streit über Kaufprämien: Kritiker fordern Dividenden-Stopp
Kaufprämie für E-Autos: Zahl der Anträge stürzt im April ab
Umweltbonus: Anträge erreichen im März Rekordniveau
Aus dem Datencenter:
Produktionsausfälle der Autohersteller durch die Corona-Krise