Die Übernahme des niederländischen Chipherstellers NXP durch Qualcomm galt als fast abgehakt. Kurt Sievers wäre Automotive-Chef von Qualcomm geworden, der Name NXP verschwunden. Doch die Übernahme starb Ende 2018 im Handelskrieg USA–China. Beide Firmen hatten schon für die gemeinsame Zukunft geplant. „Die Übernahme ist die perfekte Zusammenführung zweier Unternehmen. Uns stehen jetzt Möglichkeiten offen, die wir mit NXP nie gehabt hätten“, sagte NXP-Automotive-Chef Sievers 2017 der Automobilwoche. Das Qualcomm-Portfolio bestand aus Konnektivität, LTE, 5G, Wi-Fi und künstlicher Intelligenz und sollte vor allem durch NXP-Technologie rund ums selbstfahrende Auto erweitert werden. Umgekehrt hätte Qualcomm die Ausweitung des Nicht-Automobilgeschäfts erleichtert.
NXP reagierte auf den geplatzten Qualcomm-Deal mit Veränderungen bei Strategie und Personal: Ende 2018 wurde Automotive-Technik-Chef Lars Reger zum CTO von NXP. Und Kurt Sievers, zuvor Automotive-Chef, avancierte zum President. Die neue Idee: Ausgehend vom starken Automotive-Geschäft – NXP war damals noch mit deutlichem Vorsprung größer Hersteller von Automotive-Chips – den gesamten Markt vernetzter Devices allein in Angriff zu nehmen.
Karrierestart bei Philips
Dass der NXP-Aufsichtsrat Kurt Sievers nun einstimmig als designierten CEO und Nachfolger von Rick Clemmer nominiert hat, ist für den 50-jährigen eine Bestätigung seiner bisherigen Karriere. Der studierte Physiker und Informatiker mit zusätzlichem MBA-Abschluss startete 1995 bei Philips im Produkt-Marketing Mikrocontroller. Es folgten Führungsaufgaben in Marketing, Vertrieb, Entwicklung und Produktmanagement. 2006 wurde die Philips-Halbleitersparte unter dem Namen NXP – das steht für Next eXPerience – aus dem Konzern herausgelöst. Dort stieg Sievers weiter auf und war 2015 an der Fusion mit Freescale beteiligt.
Doch Sievers übernimmt die NXP-Führung auch in einer schwierigen Zeit. Bislang steckte im Automobilmarkt genug Elektronik-Wachstum für alle Halbleiterhersteller. Doch der gesamte Automobilmarkt schwächelt sehr. Und beim autonomen Fahren, das als Turbo für die Halbleiterbranche gesehen wird, sind die Blütenträume zerplatzt, der Markt wird sich nur mit großer Verzögerung entwickeln. Der für NXP wichtige Markt China war schon 2019 angeschlagen und leidet nun durch die Corona-Pandemie noch mehr.
Infineon bedroht Spitzenposition von NXP
2017 war Sievers für China noch sehr optimistisch. Der Markt habe für NXP „eine enorm hohe“ Bedeutung sagte er der Automobilwoche. „Es ist noch nicht unser größter Markt, aber es ist die am schnellsten wachsende Region. Und wenn das Wachstum mit derselben Geschwindigkeit weitergeht wie wir das in den vergangenen Jahren gesehen haben, dann dauert das nicht mehr allzu lange, bis China für uns auch der größte Markt ist.“
Zudem zeichnet sich ab, dass NXP die Krone im Automotive-Halbleiter-Geschäft an Infineon abgeben muss. Die Münchner sind NXP in den letzten Jahren immer näher auf die Pelle gerückt. Spätestens mit der geplanten Übernahme des US-Konkurrenten Cypress würde Infineon wohl vorbeiziehen. Und nicht zuletzt: Qualcomm entwickelt sich vom verhinderten Partner zum Konkurrenten. Bei der CES im Januar kündigte Qualcomm eine Computerplattform für autonome Fahrzeuge an, die 2023 auf den Markt kommen soll.
Unverzichtbar bei IT-Geräten: "Der Ausschalter"
Trotz der Herausforderungen sieht Sievers für NXP „enormes Potenzial“. Er startet als NXP-CEO auf einer starken Basis: NXP erzielte 2019 mit rund 30.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 8,88 Milliarden US-Dollar. 2018 – neuere Zahlen liegen noch nicht vor – erlöste der Konzern im Automotive-Geschäft 4,5 Milliarden US-Dollar (plus knapp fünf Prozent) und erreichte damit einen um 0,5 Punkte auf 12,0 Prozent gesunkenen Marktanteil. Infineon legte im gleichen Jahr um 0,4 Punkte auf 11,2 Prozent zu.
Sievers muss natürlich daran interessiert sein, für seine Halbleiter immer neue Anwendungsfelder zu erschließen. Für ein Allheilmittel hält er Computer aber nicht. Im Interview mit dem Branchenverband ZVEI antwortete er auf die Frage, auf welche Innovation er nicht verzichten möchte: „Den ‚Ein/Aus‘ Schalter an allen meinen elektronischen Helfern, der mir immer zur Verfügung steht und oft hilft, den richtigen Mix aus menschlicher und maschineller Innovationskraft zu erzielen.“
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