WAS IM UNTERNEHMEN LOS IST:
VW-Konzernchef Herbert Diess trimmt das Unternehmen mit den zwölf Fahrzeugmarken wegen der schärferen EU-Emissionsgrenzwerte vor allem auf rein batteriegetriebene Elektroantriebe. Das Geld für die neuen Modelle und die teure Technik soll vor allem aus dem gesteigerten Anteil von Stadtgeländewagen (SUV) kommen. Das dürfte sich auch in den Zahlen für 2019 zeigen. Der Konzern steigerte die Auslieferungen weltweit um 1,3 Prozent auf 10,97 Millionen Fahrzeuge. Außerdem laufen bei der Kernmarke VW Pkw und beim schwächelnden Premiumautobauer Audi Sparprogramme. Gleichwohl lauern in vielen Märkten, insbesondere für 2020, konjunkturelle Risiken.
Das Umsteuern des Konzerns ist ohnehin ein Mammutunterfangen, bei dem es doch an manchen Ecken knirscht. Kann VW wirklich genug Elektroautos absetzen, um potenzielle Milliardenstrafen der EU-Kommission wegen zu viel Kohlendioxid-Flottenausstoß zu vermeiden, wenn es beim künftigen E-Parademodell ID.3 bereits im Produktionshochlauf Softwareprobleme gibt? Auch bei der neuen, achten Version vom Brot-und-Butter-Modell Golf lief nicht alles rund. Zudem: Wann kommt grünes Licht für die geplante Fabrik in der Türkei, wo VW über eine Milliarde Euro in ein Mehrmarkenwerk für Osteuropa stecken will?
Baustelle bleibt natürlich auch die Bewältigung des Dieselskandals. Nachdem außergerichtliche Gespräche mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen für Kunden aus dem Musterklage-Verfahren gescheitert waren, hatte VW ein eigenes Entschädigungsangebot von insgesamt bis zu 830 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Inzwischen sprechen beide Seiten unter Vermittlung des Oberlandesgerichts Braunschweig wieder miteinander. Bis Ende des dritten Quartals hatte VW für die in den USA im Herbst 2015 aufgeflogenen Softwaremanipulationen insgesamt 30,3 Milliarden Euro verbucht.
Immerhin kommt Volkswagen bisher ohne größere Blessuren durch den Abschwung am chinesischen Markt. Spannend wird sein, wie sich die Coronavirus-Epidemie im Land auswirkt. Die meisten Produktionswerke mit den Partnern FAW und SAIC laufen zwar wieder. Am Ende könnte aber vor allem ein Einbruch der Nachfrage VW belasten. Chinesische Verbände rechnen mit deutlichen Rückgängen am Markt in den ersten Jahresmonaten. China steht im Konzern für rund 40 Prozent der Auslieferungen weltweit.
Bei einigen strategischen Projekten kann Diess derweil Erfolge vorweisen. Die Lkw- und Bustochter Traton ist mittlerweile an der Börse, wenn auch zunächst in homöopathischer Dosis. Nutzfahrzeugchef Andreas Renschler geht derzeit sogar die seit langem rumorte Komplettübernahme des US-Truckherstellers Navistar an. Der Mehrheitsanteil am Maschinenbauer Renk wird für über 500 Millionen Euro an den Finanzinvestor Triton verkauft. Mit Ford steckt VW Milliarden in die Erforschung und Entwicklung des autonomen Fahrens, zugleich wollen die Amerikaner die Elektroplattform MEB der Wolfsburger gegen Gebühr für eigene Modelle nutzen, was Geld in die Kasse spült.
WOMIT VW RECHNET:
Volkswagen hat für 2019 ein Umsatzplus von bis zu 5 Prozent in Aussicht gestellt - das wären dann bis zu knapp 248 Milliarden Euro. Das um Sondereinflüsse bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern soll 6,5 bis 7,5 Prozent vom Umsatz ausmachen und damit zwischen 16,1 und 18,6 Milliarden Euro liegen (VJ 17,1). Nach drei Quartalen hatte VW eine operative Marge von 7,9 Prozent erreicht, war aber bei der vorsichtigen Margenprognose geblieben.
Die Ziele für 2020 hat Volkswagen in seiner Mittelfristplanung im November wegen der schwachen Branchenlage zurechtgestutzt. VW kalkuliert 2020 mit mindestens knapp 261 Milliarden Euro Umsatz und damit rund zehn Milliarden weniger als noch vor einiger Zeit. Das operative Ergebnis soll nach wie vor 6,5 bis 7,5 Prozent davon ausmachen - bei einem Wert von 7 Prozent also rund 18,25 Milliarden Euro. Unter dem Strich soll der Gewinn je Aktie zwischen 27 und 28 Euro betragen und damit bei insgesamt 501,3 Millionen Aktien mindestens 13,5 Milliarden Euro erreichen.
WAS DIE ANALYSTEN SAGEN:
Die von Bloomberg bis Mittwoch befragten Experten rechnen für den Konzern 2019 mit einem Umsatzplus von 6,1 Prozent auf 250,3 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen dürfte um 10,5 Prozent auf 18,9 Milliarden Euro klettern. Das entspräche einer operativen Marge von 7,6 Prozent nach 7,3 Prozent im Vorjahr. Der Gewinn unterm Strich dürfte um 17,5 Prozent auf 13,9 Milliarden Euro steigen. Bei der Dividende kalkulieren die Experten für die Vorzugsaktie mit 5,70 Euro nach 4,86 Euro für das Vorjahr.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die chinesischen Gemeinschaftsunternehmen nicht in Umsatz und operatives Ergebnis einfließen, sondern erst über das Finanzergebnis in den Nettogewinn. Die Experten des Bankhauses MMWarburg verweisen zudem darauf, dass sich die starken Auslieferungszuwächse im vierten Quartal nicht eins zu eins in Produktion und Absatz wiederfinden dürften, weil VW damit auch die Lagerbestände zurückgefahren haben sollte. Ein Jahr zuvor hatten die Probleme mit dem neuen Abgastest WLTP die Angebotspalette stark eingeschränkt.
Für 2020 gehen die Experten von weniger Erlös aus als der Konzern zuletzt im November und rechnen mit rund 256,3 Milliarden Euro. Das bereinigte operative Ergebnis sollte demnach mit 19,03 Milliarden Euro nur noch leicht steigen und damit bei der Marge 7,4 Prozent ausmachen.
Doch die große Unbekannte ist derzeit nicht mehr nur die Schwäche der Automärkte an sich und die Kosten für die Elektrowende. Immer unsicherer wird auch die Ausbreitung des Coronavirus und die Auswirkungen auf die Konjunktur und die Branche. Barclays-Analystin Dorothee Cresswell stellte in einer Branchenstudie schon Anfang Februar die Frage, ob die neuartige Lungenkrankheit ein sogenannter "Schwarzer Schwan" für die Autoindustrie werden könne - also ein unvorhersehbares, sehr seltenes Ereignis mit sehr negativen Auswirkungen. Für die Autokonzerne entstünden bedeutende Risiken für die Gewinne, weil die Produktion vor allem in China beeinträchtigt werde.
WIE DIE AKTIE ZULETZT LIEF:
Nach einer längeren Dümpelphase setzten die VW-Vorzugsaktien im Oktober zu einem deutlichen Aufwärtskurs an, den auch die europäische Autobauer- und Zulieferbranche erlebte. Fast wurden wieder Kurse rund um die Hochs von über 190 Euro im Frühjahr 2018 erreicht, bis im neuen Jahr erneut Tristesse einsetzte. Aktuell notiert das Vorzugspapier wieder bei rund 157 Euro. Im laufenden Jahr ging es für die Vorzugsaktionäre um mehr als 11 Prozent bergab.
Schwer im Magen liegt ihnen dabei womöglich auch, dass US-Elektroautopionier Tesla jüngst dank seiner Kursexplosion erstmals den weltgrößten Autobauer Volkswagen beim Börsenwert hinter sich ließ. Das ausgegebene Kapital von VW ist derzeit rund 78 Milliarden Euro wert, Tesla bringt umgerechnet mittlerweile rund 133 Milliarden auf die Waage.
Diess hat angekündigt, den eigenen Marktwert in den kommenden Jahren deutlich steigern zu wollen, indem er VW zu einem softwaregetriebenen Konzern machen will, um an der Börse ebenfalls die Bewertungen eines Technologiekonzerns zu erreichen. Ob das gelingen kann, hängt auch vom Erfolg der neuen Fahrzeuge mit neuer, eigener Betriebssystem-Software ab - und ob VW den Kunden in dieser Hinsicht den gleichen Service bieten kann wie zum Beispiel Tesla. (dpa-AFX/gem)
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