Die Lage bei Daimler ist ernst. Sehr ernst sogar. Das zeigt sich an einem ungewöhnlichen Schritt, den Konzernchef Ola Källenius vor wenigen Tagen vollzogen hat. Mit dem Finanzanalysten Max Warburton vom US-Vermögensverwalter Alliance Bernstein holte sich Källenius, der im vergangenen Mai das Amt von Dieter Zetsche übernommen hatte, einen externen Berater für den Vorstand ins Haus – und ließ dies offensiv kommunizieren.
"Max verfügt über eine Fülle an Automotive-Know-how", lobte Ola Källenius in der Mitteilung. Man habe ihn beauftragt, Wege zu finden, "um unseren Fokus zu schärfen, unsere Entscheidungsfindung zu beschleunigen, unsere Strategie zur Elektrifizierung zu beschleunigen und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern", erklärte der Daimler-Chef weiter. "Er wird eine wichtige Rolle spielen, wenn wir uns verstärkt darum bemühen, Kosten zu senken", sagte Finanzchef Harald Wilhelm.
Die Zeilen klingen beinahe wie ein Hilferuf. Denn man könnte natürlich argumentieren, dass dies genau die Aufgaben sind, die der Vorstandschef und der Leiter des Finanzressorts eines großen Dax-Konzerns mit einem Einkommen von jeweils mehreren Millionen Euro pro Jahr selbst lösen müssen. Doch sind die Probleme im Unternehmen offenbar so groß, dass Källenius und Wilhelm sich nicht mehr nur auf ihre eigenen Managementfähigkeiten verlassen wollen.
Gewinnspanne schrumpft
Wenn der Daimler-Chef am Dienstag seine erste Bilanzpressekonferenz im Carl-Benz-Center neben der Stuttgarter Fußball-Arena leitet, dann muss er vor allem schlechte Nachrichten verkünden. Die Eckdaten sind bereits bekannt. Der Gewinn brach 2019 gegenüber dem Vorjahr um fast die Hälfte auf 5,6 Milliarden Euro ein. Zusätzliche Kosten aus dem Diesel-Skandal aus Verfahren der US-Behörden und Rückrufen in Höhe von voraussichtlich bis zu 1,5 Milliarden Euro sind dabei noch nicht berücksichtigt. Die Gewinnspanne in der wichtigen Pkw-Sparte ist auf mickrige vier Prozent geschrumpft. Ziel sind acht bis zehn Prozent.
Eigentlich lief der Absatz angesichts der lahmenden Konjunktur mit fast 2,5 Millionen verkauften Mercedes und Smart sowie einem Plus von 0,7 Prozent überraschend gut. Verpatzte Anläufe wie beispielsweise beim GLE verbunden mit einer schwächeren Preisdurchsetzung auf vielen Märkten und ein stärkerer Zuwachs bei den margenschwächeren Kompaktwagen haben die Rendite unter Druck gebracht.
Dazu kommen gestiegene Aufwendungen für die Zertifizierung der Modelle auf den unterschiedlichen Märkten und die Kosten für die Elektromobilität und andere Technologien, die ebenfalls am Gewinn knabbern.
Verheerende Situation bei Vans
Geradezu verheerend ist die Situation bei den Vans. Mit einem Verlust von mindestens 2,4 Milliarden Euro steckt die Sparte tief in den roten Zahlen. Die erst vor zwei Jahren auf den Markt gebrachte X-Klasse wird bereits wieder eingestellt. Der mittelgroße Pick-up konnte die Erwartungen von Anfang an nicht erfüllen. Allein dafür musste der Konzern innerhalb eines Jahres 800 Millionen Euro abschreiben.
Ein verpatzter Produktanlauf beim Sprinter in den USA und die Kosten für die Diesel-Krise verhageln vollends die Bilanz. Allein in Deutschland müssen Hunderttausende Vans auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamts für ein Software-Update in die Werkstatt, weil sie mit einer illegalen Abschalteinrichtung unterwegs sind und die Abgaswerte auf der Straße nicht einhalten können. Für einen Vergleich in den USA wegen ähnlicher Vorwürfe hat der Konzern bereits mehrere Milliarden zur Seite gelegt, die hauptsächlich bei den Vans zu Buche schlagen.
Auch in der Lkw-Sparte, in den vergangenen Jahren der Musterknabe im Konzern, läuft es nicht mehr rund. Der boomende US-Markt kehrt zur Normalität zurück, auch in Europa stagniert das Geschäft. Immerhin lag der Gewinn noch bei 2,5 Milliarden Euro, was einer Marge von 6,1 Prozent entspricht.
Damit ist Truck-Chef Martin Daum "ganz und gar nicht zufrieden", wie er zum Jahreswechsel wissen ließ. Zumal 2020 der Wert, der Auskunft über die Profitabilität des Geschäfts gibt, auf "mindestens fünf Prozent" weiter sinken könnte. Parallel zum schwächelnden Absatz muss Daimler hohe Kosten für Entwicklung und Produktion von Elektrofahrzeugen sowie die Automatisierung und Vernetzung von Lastwagen und Bussen schultern.
Druck nimmt zu
Konzernchef Ola Källenius hat bereits ein großes Sparprogramm in Gang gebracht, mit dem das Unternehmen wieder profitabler werden soll. Dafür sollen unter anderem 10.000 Stellen abgebaut werden, darunter auch 1000 Führungskräfte. Zuletzt wurde in Medien spekuliert, es könnten sogar 15.000 Jobs wegfallen. Bis Ende 2022 soll dies über alle Sparten hinweg mindestens 1,4 Milliarden Euro bringen.
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden zunächst auf dem Niveau von 2019 gedeckelt und sollen später weiter sinken. Außerdem will Källenius die Materialkosten drücken und sich konsequenter Geld bei Zulieferern zurückholen, die mangelhafte Komponenten geliefert haben. Unrentable Geschäftsbereiche werden eingestellt. So hat Källenius bereits das defizitäre Carsharing des Gemeischaftsunternehmens mit BMW in Nordamerika eingestellt, die eigene Innovationsschmiede Lab1886 soll verkauft werden.
Ob dies auf lange Sicht ausreicht, darf allerdings bezweifelt werden. "Das im November aufgelegte Sparprogramm dürfte schon bald erweitert werden", ist sich Frank Schwope, Analyst der NordLB, sicher. Angesichts von Krisen und Unternehmensschwächen werde sich der Konzern für längere Zeit von Margen m Pkw-Bereich jenseits der acht Prozent verabschieden. Schwope plädiert daher bereits für eine engere Kooperation oder gar ein Zusammengehen von Daimler und BMW. Er schränkt aber ein, dass dem "noch diverse, individuelle Befindlichkeiten" entgegenstehen.
Zwar hat Ola Källenius viele der Probleme von seinem Vorgänger Dieter Zetsche übernommen. Als Entwicklungschef war er daran aber nicht unbeteiligt. Noch genießt der gebürtige Schwede eine Art Welpenschutz an der Spitze des Unternehmens. Aber nicht zuletzt die Arbeitnehmer werden genau hinschauen, ob die Verpflichtung eines externen Beraters nun schnell zu Ergebnissen führt. Sollten sich nicht bald deutliche Anzeichen der Besserung zeigen, dann dürfte der Druck auf den Daimler-Chef spätestens im nächsten Jahr deutlich zunehmen.
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