Dank zunehmender Vernetzung werden künftig vermehrt Fahrzeuge mit der freien Werkstatt kommunizieren. "Bei aller Herausforderung bietet das dem Werkstattinhaber gleichzeitig die Möglichkeit, eine größere Vielfalt an Fahrzeugmarken abzudecken", betont Florian Freund, Leiter Connectivity Solutions bei ZF Aftermarket, die Perspektiven dieser Entwicklung.
Zur Nutzung der Online-Portale der Fahrzeughersteller ist nach seiner Einschätzung ein Kommunikationsmodul mit so genannter Pass-Thru-Schnittstelle nötig, um die Informationen vom Autohersteller für die Diagnose in der freien Werkstatt einsetzen zu können. Dass dafür eine Gebühr fällig wird, hält er für normal. "Dennoch ist der Betrieb mit ein paar Euro für den Einzelzugang deutlich wettbewerbsfähiger, als wenn in ein komplettes markenspezifisches Diagnosesystem investiert werden muss", erklärt Freund.
Fahrzeugdiagnose im Hosentaschen-Format
Für die meisten allgemeinen Anwendungsfälle existieren unterschiedliche Multi-Marken Diagnosegeräte, die 85 Prozent der Fälle abdecken. "Bei den Spezialfällen geht man dann künftig über das Online-Portal des Herstellers ins System und kann beispielsweise Steuergerätesoftware reprogrammieren oder Bauteile anlernen." Für den Inhaber einer freien Werkstatt ergibt sich laut Freund dadurch die Möglichkeit, "sich noch breiter aufzustellen und zukünftig Umfänge zu bearbeiten, die bisher den Werkstätten der Fahrzeughersteller vorbehalten waren".
Zudem verweist er auf kleine Diagnosewerkzeuge wie ZF Smart Service, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen würden. Diese werden via zugehörigen OBDII-Dongle und Smartphone App bedient. "Die Werkzeuge ermöglichen es Werkstätten und Kunden, Fahrzeugdiagnose im Hosentaschen-Format durchzuführen", erklärt Freund. So könne beispielsweise bei der Fahrzeugannahme innerhalb von fünf Minuten der elektrische Fahrzeugzustand noch auf dem Hof bewertet werden.
Neue Anforderungen durch Digital Natives
Hierfür entwickele sich gerade eine neue Produktgruppe mit dem Namen "Remote Diagnose". Dabei werden Fahrzeugdaten in der Cloud abgelegt und den Werkstätten verfügbar gemacht, um einen besseren Service anbieten zu können.
Seiner Einschätzung nach akzeptieren die sogenannten "Digital Natives" Empfehlungen des Autos zur Wartung und Reparatur. Sie erwarten von ihrer Werkstatt, dass diese "always on" ist, schnell agiert und den besten Service zum günstigsten Preis bietet. Online-, Preis- und Leistungsvergleiche wie auch der Onlinekauf oder das bargeldlose Zahlen in der Werkstatt seien für diese Gruppe selbstverständlich.
Offene, herstellerübergreifende Plattformen immer wichtiger
Für Hans Peter Meyen, Mitglied des Bereichsvorstandes Automotive Aftermarket von Bosch, wird in Zukunft mit steigendem Datenvolumen die Anbindung an offene, herstellerübergreifende Plattformen und Systeme noch wichtiger für den Erfolg der Werkstatt. "Plattformen wie der freie Datenmarktplatz Caruso schließen die Lücke zwischen Datenanbietern und Nutzern und vereinen gleichzeitig die Daten verschiedener Spieler in einem gemeinsamen Ecosystem." Ein solches Ecosystem ist für ihn ein Wegbereiter für viele neuen Services. Dazu zählt er beispielsweise die Ferndiagnose von Fahrzeugproblemen oder eine direkte Terminvereinbarung mit der Werkstatt.
Darüber hinaus bieten seiner Einschätzung nach Konnektivität und neue datenbasierte Lösungen die Möglichkeit, den Workflow innerhalb der Werkstatt zu optimieren und gleichzeitig die Effizienz erheblich zu steigern. Voraussetzung dafür sei, dass Werkstätten die Fahrzeugdaten auch während der Reparatur- oder Serviceprozesse durch intelligente Vernetzung allgemein verfügbar machen. Meyen verweist in diesem Zusammenhang auf die IT-Lösung Bosch Connected Repair. Diese verbindet Fahrzeugempfang, -informationen und Testgeräte und schafft eine gemeinsame Datenbasis, die drahtlos an alle angeschlossenen Geräte übertragen wird.
Kein Wandel über Nacht
Für den Bereichsvorstand liegen für Werkstätten in der Kommunikation mit dem Fahrzeug in Kombination mit einem intelligenten Datenmanagement "somit enorme Chancen auf neue Geschäftsmodelle und die Steigerung der Effizienz innerhalb des Betriebs".
Auch Rolf Kunold, Geschäftsführer der Hella-Tochter Hella Gutmann Solutions, ist die zunehmende Kommunikationsfähigkeit der Fahrzeuge der Schlüssel für Abstimmungen zwischen den Autofahrern und Werkstätten sowie Pannendiensten, Versicherer und anderen Teilnehmern. Damit könne ein neues ökonomisches Netzwerk mit entsprechendem Einfluss auf den automobilen Aftermarket entstehen. Dieser Wandel werde sich vermutlich nicht über Nacht, jedoch in den nächsten Jahren vollziehen.
Noch Hausaufgaben für die Werkstätten
Zudem erwartet er, dass nicht nur Vertragswerkstätten an diesem neuen Netzwerk partizipieren, denn auch die Fahrzeughalter und Versicherer werden über die Nutzung der Kommunikationswege im Auto mitentscheiden. "Manche Teilnehmer dieser Interessengruppen werden die Routenwahl hin zu markenfreien Werkstätten bevorzugen", so Kunold. Freie Werkstätten, so seine Empfehlung, die an diesem neuen Netzwerk partizipieren wollen, sollten sich darauf vorbereiten, auch wenn der Wandel zu digitalen Servicestützpunkten nicht von heute auf morgen vollzogen werde.
Zu den Hausaufgaben der Werkstätten zählen unter anderem ein stabiles Internet in der Werkstatt, Kommunikation über neue Medien, Weiterbildung der Mitarbeiter, systembasierte, dokumentierte Prozesse und moderne Werkstattausrüstung mit der Möglichkeit zum Datenstreaming von OE-Daten und ADAS-Kalibrierungen. Leider bestehe bei freien Werkstätten zu einigen dieser Punkte noch viel Unsicherheit – nicht zuletzt aufgrund mangelnder und zum Teil widersprüchlicher Informationen seitens der Industrie, bedauert Kunold.
Autofahrer wird Daten nicht kostenlos preisgeben
Um die freien Werkstätten beim Wandel zu unterstützen, hat Hella Gutmann Solutions das Konzept eines Kalibrier- und Diagnosezentrums unter dem Namen CheckPoint entwickelt. Im Schulterschluss mit Partnern aus dem Independent Aftermarket möchte der Zulieferer damit den freien Werkstätten die Möglichkeit geben, mit neuen Technologien und Trainings "eine gemeinsame Reise in die vernetzte Automotive-Welt anzutreten", so Freund.
Auf einen weiteren Aspekt verweist Joachim Schneeweiss, Geschäftsführer Mahle Aftermarket Deutschland. "Die Kommunikation zwischen freier, markenungebundener Werkstatt und Autofahrer wird nur dann erfolgreich sein, wenn der Fahrer dadurch auch einen spürbaren Benefit hat." "Denn", so fragt er sich, "warum sollte der Autofahrer die Daten kostenlos preisgeben, damit ein anderer damit ein Geschäft macht?". Als einen Anreiz, um dem Autofahrer die Datenfreigabe schmackhaft zu machen, nennt er beispielsweise einen kostenlosen Hol- und Bringservice für dessen Fahrzeug.
Kein grundsätzlicher Gesundheitscheck fürs Fahrzeug
Auch beim Auslesen der Daten aus dem Fahrzeug sieht er Grenzen. So lassen sich zwar Zustände und Temperaturen von Flüssigkeiten wie Öl oder Kühlmittel messen, "einen grundsätzlichen Gesundheitscheck für ein Fahrzeug wird es aber nicht geben." Kriterien wie der Verschleißgrad einer Kupplung oder die Tiefe des Reifenprofils lassen sich seiner Einschätzung nach "heute nur mit einem nicht vertretbaren Aufwand generieren".
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