Das hat es früher nicht gegeben: 10.974.600 Fahrzeuge konnte der VW-Konzern im Geschäftsjahr 2019 ausliefern. Mehr neue Mobile haben die Wolfsburger innerhalb von zwölf Monaten noch nie an die Kundschaft gebracht.
Und das hätte es früher nicht gegeben: Die prestigeträchtige Elf-Millionen-Marke so knapp zu verpassen, es wäre zu Zeiten etwa von Vorstandschef Martin Winterkorn ein Unding gewesen. Und wenn man die fehlenden 25.400 Fahrzeuge – gerade mal der Output eines guten halben Arbeitstages im Konzern – schon der schlichten Schönheit des Zahlenwerks halber noch flugs auf die eigenen Landesgesellschaften und Handelspartner zugelassen hätte.
Auch dies ist neu: In den Einzelmitteilungen der VW-Marken zu ihren Absatzzahlen im vergangenen Jahr finden sich kaum noch Jubelpassagen. Das Schlusskommuniqué des Konzerns liest sich ebenfalls vergleichsweise nüchtern, sachlich, bodennah. Das ist angenehm. Und es lässt tief blicken.
Konzernchef Herbert Diess will Rendite sehen. Er muss sogar. Die Kosten der Dieselkrise sind hoch. Die erforderlichen Investitionen in Zukunftsfelder wie Elektromobilität, Digitalisierung der Geschäfte, buchstäblich nachhaltiges Wirtschaften entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind noch höher. Rekordzahlen helfen Diess da nicht, sofern sie nicht einhergehen mit erklecklichen Margen.
Motivation bis in die letzten Ecken
Kein Zweifel: 2020 wird ein überaus wichtiges Jahr für VW. Da sind die erheblich verschärften Flottengrenzwerte der EU, die nun greifen. Um Strafzahlungen zu vermeiden, setzt Diess auf die E-Karte. Bei der Hauptmarke VW Pkw beispielsweise muss schon deshalb der Hochlauf des Stromers ID.3 reibungslos gelingen.
Diess und seine Führungsteams werden sich im laufenden Jahr verstärkt wichtigen Märkten zuwenden müssen. Die Länder Nordamerikas gehören dazu, wo VW 2019 gegenüber 2018 ein Minus eingefahren hat. Ähnliches gilt für etliche Staaten im bevölkerungsreichen und damit für Volks(!)wagen überdurchschnittlich verheißungsvollen asiatisch-pazifischen Raum.
Die Integration von Bits und Bytes in Fahrzeuge und Fabriken wird 2020 auch im VW-Konzern eine größere Rolle spielen als je zuvor. Software ist ein Gamechanger. Von der On-board-Diagnose im Auto über Over-the-air-Updates von Neuwagen bis hin zur Weiterentwicklung der Technologien im Bereich automatisiertes Fahren. Die Werke von VW müssen produktiver werden, auch hier sind unter anderem abermals leistungsfähigere Computer gefragt. Ob bei Volumenmarken wie Seat und Škoda, Premiumlabeln à la Audi und Porsche oder den Nobeltöchern Bentley, Lamborghini, selbst Bugatti – am Verhältnis von Aufwand und Ertrag hat Herbert Diess noch so manches auszusetzen.
"Die Automobilindustrie befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch", hat der VW-Chef erst vor Kurzem wieder betont. Und hinzugefügt: "Das erfordert von uns eine klare Strategie". Am Gelingen Letzterer wird man Herbert Diess messen. Auch an der Steigerung des Börsenwerts, mit dem der Vorstandsvorsitzende noch lange nicht zufrieden ist. 2019 war das erste volle Amtsjahr des Diess als Konzernlenker. Es war ein Gutes. Doch es geht besser. Ob das schon 2020 bewiesen werden kann? Das hängt entscheidend davon ab, ob Diess sowohl seine Führungskräfte im engeren Umfeld als auch die Mitarbeiter noch in den entferntesten Regionen des Erdenrunds zu größeren Anstrengungen anspornen kann. Herbert Diess, der Renditefan, wird jetzt auch als Motivator gebraucht.
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