Die Bundesregierung hat bei ihrem jüngsten Fachkräfte-Einwanderungsgipfel beschlossen, im neuen Jahr das Anwerben von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern deutlich zu vereinfachen. Das ist dringend geboten, ist aber nach Ansicht vieler Personalexperten nur ein Baustein unter vielen, um den Mangel zu beheben.
Nach Angaben des IT-Branchenverbandes Bitkom hat der Fachkräftemangel in der IT- und Telekommunikationsbranche zum Ende diesen Jahres einen historischen Höchststand erreicht. "Das Fachkräfteproblem ist der Bremsklotz der deutschen Wirtschaft", erklärte jüngst Verbandspräsident Achim Berg.
"Hunderttausende Stellen können nicht besetzt werden – darunter allein 124.000 lukrative IT-Jobs in allen Branchen. Tendenz: rasant steigend", so Berg. "Der Mangel an IT-Experten bedroht die Wettbewerbsfähigkeit unserer gesamten Wirtschaft", warnt er.
"Ingenieuren eine neue Chance geben"
Peter Markl, Senior Partner für die Halbleiter-, Automotive und Elektronikbranche bei dem internationalen Personalberatungsunternehmen 3C Career Consulting, zuckt bei solchen Katastrophenmeldungen nur noch mit der Schulter. "Die Autobranche rast beim Thema Fachkräfte mit 180 auf eine Betonwand zu. Sie hat jahrelang viel zu wenig getan, um diesen absehbaren Engpass zu entschärfen," sagt er. Es gebe viel zu viele Ingenieure mit einem Know-how, das kaum mehr gefragt sei und viel zu wenige Ingenieure mit zukunftsfähigem Know-how.
"Es ist von zentraler Bedeutung, diesen gut ausgebildeten Maschinenbau-Ingenieuren eine neue Perspektive zu geben und ihnen eine neue Chance zu geben. Das bedeutet, sie werden eine zweite Ausbildung machen müssen."
"Ich frage mich, wann die Automobilindustrie der Jugend klarmacht, dass die Zukunft in Elektronik und IT liegt", so Markl weiter. Auch die aktuellen Negativ-Schlagzeilen aus der Automobilbranche seien nicht hilfreich, um junge Leute für einen Job in dem Sektor zu interessieren. "Sie sollte besser nicht von einem Stellenabbau sprechen, sondern von einer dringend benötigten Personal-Umstrukturierung."
"Geld ist eher nebensächlich"
Was können Autohersteller, Zulieferer und Handelsgruppen also tun, um ihre großen Lücken im IT-Bereich zu schließen? Für Personalexperte Markl, der selber jahrzehntelang in der Halbleiter-Branche gearbeitet hat, liegen die notwendigen Schritte auf der Hand: "Das Gehalt muss natürlich passen. Generell aber ist Geld eher nebensächlich für begabte IT-Leute. Für sie zählt ganz stark: Woran arbeite ich, was kann ich dabei dazulernen und mit wem arbeite ich zusammen? Wenn der Job richtig spannend ist, horcht ein guter IT-Experte auf."
Vielfach glaube die Autobranche noch, sie zähle zu den attraktivsten Branchen überhaupt. "Für den IT-Sektor ist das aber nicht der Fall. Dort sind die Entwicklungszyklen besonders lang, die Strukturen besonders komplex, die Hierarchien stark und die Vorhaltezeiten sehr lang - all das macht die Autobranche für einen IT-Experten eher langweilig."
Bei jungen Leuten komme häufig eine geringe Umzugsbereitschaft hinzu. "Die Unternehmen sollten verstärkt über dezentrale Arbeit und die Schaffung von Satelliten in attraktiven Ballungsräumen nachdenken." Auch die erforderlichen Fahrzeiten und die attraktive Gestaltung von Büroräumen spielten für begehrte IT-Experten eine Rolle, wenn es um die Zu- oder Absage für ein Jobangebot gehe.
Berater bombardieren die Kandidaten
Markl weiß auch um einen erschwerenden Effekt beim Thema IT-Mangel, für den die Beraterszene selbst verantwortlich sei: "Nicht wenige Kandidaten werden von Recruitern regelrecht zugespammt mit Jobangeboten. Das ist für manche Fachkräfte schon sehr ermüdend geworden."
Sein Rezept dagegen sei die Auswahl von eher wenigen, aber dafür um so passgenaueren Kandidaten.
Das Recruiten von ausländischen IT-Experten sei in vielen Fällen die letzte Möglichkeit, um dringend benötigte Stellen zu besetzen, räumt Markl ein. Doch in diesen Fällen sei besonders viel Erfahrung bei der Besetzung notwendig, warnt er. "Ich kenne eine Menge Bewerber, die nicht einmal die Sprache kennen, in der die Stellenausschreibung geschrieben wurde. Da sind die Probleme vorprogrammiert."
Mehr Toleranz für fremde Kulturen
Dennoch sei es richtig, beim IT-Recruiting internationaler zu denken. "Wir haben immer mehr qualifizierte Leute aus Indien, aus dem Nahen Osten, aus China und Osteuropa, die nach Europa wollen. Allerdings können viele von ihnen selbst nach drei Jahren nur sehr schlecht Deutsch. Das muss man bei einer Stellenbesetzung berücksichtigen."
Markl rät auch zu mehr Toleranz. "Viele Arbeitgeber zögern noch bei Kandidaten zum Beispiel aus der Türkei oder aus Marokko. Aber auch aus diesen Ländern kommen viele ehrgeizige und begabte junge Leute."
Einen Vorteil bei der Integration ausländischer IT-Experten hätten große Unternehmen mit einer etablierten Welcome-Struktur. "Diese Unternehmen bieten schnell die notwendigen Sprachkurse und Prozesse an, um die neuen Mitarbeiter zu integrieren. Wer hier schläft oder spart, tut sich gewiss keinen Gefallen. Denn dann ist der neue Mitarbeiter schnell auch wieder weg."
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