Dieser Schuss muss sitzen. Zum ersten Mal schickt Porsche mit dem Taycan einen rein elektrischen Sportwagen ins Rennen. Und weil das Unternehmen diesen Weg konsequent weitergehen wird und dafür bis 2022 sechs Milliarden Euro investiert, ist das Modell zum Erfolg verdammt. Selten haben die Marketingleute für ein Auto derart viel getrommelt. Da fällt auch die Fahrvorstellung für rund 400 internationale Journalisten aus dem Rahmen. In elf Etappen touren 20 Vorserienfahrzeuge über 4400 Kilometer von Norwegen quer durch Europa bis zu den Alpen, nach Berlin und schließlich zum Stammsitz nach Stuttgart. "Wir wollten beweisen, dass der Taycan auch für Langstrecken geeignet ist", sagt ein Porsche-Pressesprecher, bevor es losgeht. Bei strahlendem Sonnenschein und spätsommerlichen Temperaturen startet die siebte Etappe, die von Dornbirn bei Bregenz über die Alpen bis nach Innsbruck führt.
Zum Einsatz kommt ein silberfarbener Turbo S, der in der Basisversion 185.000 Euro kostet. Wie immer bei Porsche liegt auch beim Taycan der Startknopf links neben dem Lenkrad, auch wenn es in diesem Fall nur einer leichten Berührung auf dem Display bedarf. Den Automatik-Schalthebel hat Porsche rechts platziert als einer der wenigen analogen Bedienelemente. Auf D gestellt, schon surrt der Taycan der Silvretta Hochalpenstraße im Montafon entgegen. Anders und doch irgendwie vertraut. Denn schon auf den ersten Metern stellt sich das typische Porsche-Feeling ein, auch wenn beim Druck auf das Pedal kein Röhren des Motors zu hören ist. Die tiefe Sitzposition, das handliche Lenkrad und die Straßenlage lassen keinen Zweifel aufkommen, dass es sich um Sportwagen aus Zuffenhausen handelt.
Wenig später zeigt sich auf einem der berühmtesten Alpenpässe, dass die Entwicklungsingenieure ganze Arbeit geleistet haben. Der Taycan schmiegt sich in die Haarnadelkurven zum Piz Buin hinauf wie ein Kätzchen ins Sofakissen. Dabei hilft der durch das Batteriepaket bedingte niedrige Schwerpunkt. Der Taycan gleitet wie auf Schienen und ermöglicht irrsinnige Kurvengeschwindigkeiten. Wäre da nur nicht so wenig Platz zum Überholen. Die vom Cockpit aus gut sichtbaren hohen Kotflügel erinnern dabei an den Le-Mans-Prototypen 919 Hybrid, von dem der Taycan die 800-Volt-Technologie und die E-Maschine übernommen hat. Sie verleihen dem Taycan ein Fahrgefühl wie auf der Rennstrecke. Selbst die ambitioniertesten Motorradfahrer werfen irgendwann das Handtuch. Der Unterschied zwischen dem Turbo S und einem rund 30.000 Euro günstigeren Turbo, der nach der Ladepause zur Verfügung steht, ist dabei kaum spürbar.
Besser als Tesla
Wie bei Porsche üblich lassen sich auch beim Taycan verschiedene Fahrstile über einen Drehknopf am Lenkrad auswählen. Wer Range wählt, der maximiert die Reichweite des Elektroautos bis zum nächsten Ladestopp. Dafür ist die Höchstgeschwindigkeit je nach zu bewältigender Strecke zwischen 90 und 150 km/h abgeregelt und die Energiezufuhr gedämpft. Über Normal geht es zu Sport und Sport plus, wo der Spaßfaktor am größten ist. Wer die höchste Leistungsstufe wählt, bekommt auch einen Sound mitgeliefert. Der klingt sehr ähnlich wie der eines Verbrennungsmotors, aber so gedämpft wirkt er wie eine ferne Erinnerung aus der Kindheit. Auch das Hochschalten des Zwei-Gang-Getriebes ab Tempo 80 ist deutlich spürbar. Damit wird der Übergang ins Elektrozeitalter auch eingefleischten Verbrenner-Fans so leicht wie möglich gemacht.
Die Launch Control im #Porsche Taycan Turbo S lässt einen unweigerlich an Walter Röhrls legendären Worte denken: "Beschleunigung ist, wenn Tränen der Rührung waagrecht nach hinten abfließen." pic.twitter.com/zWXKSX3Lfd
— Michael Gerster (@mig_gerster) September 30, 2019
Die mobile Vergangenheit mit Benzin und Diesel ist jedoch schnell vergessen angesichts der atemberaubenden Leistung des Taycan. Kultstatus erlangt bei den Testfahrern binnen kürzester Zeit die Launch Control (Video: So beschleunigt der Taycan Turbo S), die Porsche eingebaut hat. Dabei wird die höchste Systemleistung von 761 PS beim Turbo S abgerufen. Einfach mal auf einer geraden Strecke hinter dem Silvretta-Stausee zum Stillstand kommen. Dann Bremse und Gaspedal gleichzeitig voll durchdrücken. Wenn auf dem Display die aktivierte Launch Control erscheint, die Bremse loslassen. Was dann passiert, lässt sich nur mit einem Raketenstart vergleichen. Der Kopf fliegt gegen die Stütze, der Kollege auf dem Beifahrersitz lässt das Smartphone beinahe fallen und dann rattert der Tacho die Zahlen bis 100 derart schnell hoch, dass man Mühe hat zu folgen. Die 2,8 Sekunden, die im Datenblatt stehen, sind definitiv realistisch. Unweigerlich kommt einem der berühmte Satz von Rallye-Legende Walter Röhrl in den Sinn: "Beschleunigung ist, wenn Tränen der Rührung waagrecht nach hinten abfließen."
80 Prozent nach 20 Minuten
Für die Batterie ist das natürlich nicht ideal. Doch der Ehrgeiz der Entwickler war darauf gerichtet, es besser zu machen als Tesla. Dort ist nach einer Beschleunigungsfahrt auf der Autobahn der Bummelmodus angesagt, um den Akku zu schonen. Bei Porsche dagegen garantieren sie mindestens zehn Wiederholungen, was im normalen Verkehr ohnehin kaum möglich sein dürfte. Das Erstaunliche dabei ist, dass auch die Reichweite durch solche Brachialspurts nicht wesentlich beeinflusst wird. Die Restkapazität von 33 Prozent beim Etappenziel wird über die gesamte Strecke immer akkurat angezeigt und entspricht am Ende genau der Vorhersage vom Start. Hier hallt der Diesel-Skandal nach. Um jeden Preis wollte Porsche eine eklatante Abweichung von Daten auf dem Papier und im Realbetrieb vermeiden.
Mit der Reichweitenkalkulation wird auch eine verfügbare Ladestation vorgeschlagen. An der Raststätte Klösterle nahe Lech hat Ionity, ein Zusammenschluss mehrerer Autohersteller, bereits Schnellladesäulen installiert. Auch hier hält Porsche seine Versprechen ein. Obwohl die 250 kW Leistung, die der Akku aufnehmen kann, nicht ganz erreicht werden, sind 80 Prozent Kapazität nach gut 20 Minuten wieder erreicht. Das reicht für weitere 300 Kilometer und damit locker für die nächste Etappe. Es zeigt sich aber auch der Nachteil der Elektromobilität. Wer angesichts der mit Porsche Taycans voll ausgelasteten Ladesäulen jetzt mit seinem E-Auto kommt, der muss schon einige Tassen Kaffee trinken, bis er seine Fahrt fortsetzen kann. Zwar wäre theoretisch auch eine Reservierung aus dem Auto heraus möglich. „Aber die Ladesäulen können das noch nicht“, sagt ein Porsche-Experte.
Wie ein Veggie-Burger
Der Porsche lässt sich durch die engen Kurven prügeln oder aber entspannt als Reiselimousine fahren. Dafür reicht der Fahrmodus Normal, der immer noch sehr zügige Überholvorgänge erlaubt. Fahrassistenzsysteme wie Distanzregelung und Spurhalteassistent erhöhen den Komfort im dichten Verkehr. Die sind etwas gewöhnungsbedürftig in der Bedienung über den Schalthebel am Lenkrad, funktionieren in der Praxis aber gut. Vor allem das Anfahren im Stau erfolgt sanft und ohne ruckeln. Werden die Hände am Lenkrad gefordert, dann erkennt das System dies auf Anhieb. Da muss bei der Konkurrenz zum Teil deutlich öfter und mit beiden Händen gedrückt werden.
Der Taycan ist innen hochwertig mit viel Leder verarbeitet. Auf Wunsch gibt es auch eine lederfreie Ausstattung. Die Sitze hinten sind zwar bequem, aber für lange Distanzen doch etwas beengt. Die vielen Displays und eingelassenen Lüftungsschlitze lassen das Cockpit sehr puristisch wirken. Die Bedienung erfolgt fast ausschließlich über die Displays. Der geschwungene digitale Bildschirm hinter dem Lenkrad ist für die Fahrinformationen zuständig. Daneben sitzt das Navi und Infotainmentsystem mit Digitalradio. Auf Wunsch hat auch der Beifahrer ein eigenes Display. Über der Mittelkonsole liegt ein weiteres Bedienfeld, das die Klimaanlage steuert. Über ein individuelles Profil können Fahrer und Beifahrer die Luftströme lenken, wie es am angenehmsten ist.
So bewährt sich der Taycan im Reise- wie im Rennmodus gleichermaßen. Die Antriebsart spielt schon nach wenigen Kilometern keine Rolle mehr, weil die Leistung überzeugt. Am Ende eines langen Tages fühlt sich die Testfahrt im Porsche Taycan an wie der Genuss des Veggie-Burgers "Beyond Meat", der bei der Ladepause an der Raststation gereicht wird. Er erfordert keinerlei Verzicht oder Verhaltensänderung, bietet das gleiche Geschmackserlebnis wie das Original und dazu ein reines Umweltgewissen. Damit fährt Porsche mit dem Zeitgeist und lässt einen 911 irgendwie altmodisch aussehen.
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