Am äußersten Rand von Bruchsal zwischen Spargelfeldern und Autobahn schreibt ein kleines Unternehmen Luftfahrtgeschichte. Dort befindet sich in einem Industriegebiet die Zentrale von Volocopter. In der hellen Kantine des Start-ups stehen Mitarbeiter in Grüppchen an weißen Tischen, um bei einem Espresso das nächste Projekt zu besprechen. Der obligatorische Tischkicker fehlt nicht. An den Wänden hängen Bilder der voll elektrischen Passagierdrohne, die Alltagsmobilität in die dritte Dimension bringen soll.
Firmengründer Alexander Zosel, 54, in weißem T-Shirt mit Firmenschriftzug und tätowiertem Oberarm, sitzt auf dem Sofa in seinem Büro und kommt ins Schwärmen, wenn er über die Flugeigenschaften des Volocopter 2X redet. "Die Konstruktion ist sehr verträglich für den Passagier, weil Turbulenzen verhindert werden und es ein extrem stabiler, fast sanfter Flug ist." Man habe gar nicht das Gefühl, wirklich zu fliegen. Das liegt unter anderem an den 18 Rotoren, die das Fluggerät deutlich ruhiger in der Luft liegen lassen als ein Helikopter.
Die Idee für das Flugtaxi brachte Zosels Freund und Firmenmitgründer Stephan Wolf ein, der seinem Sohn eine Spielzeugdrohne gekauft hatte und überzeugt war, nach diesem Vorbild ein Verkehrsmittel in die Luft bringen zu können. 2011 gründete der Software-Spezialist Wolf zusammen mit dem Bauingenieur und Fluglehrer Zosel Volocopter. Nur wenige Monate später hob Zosel im ersten Prototyp für 90 Sekunden ab. Der Beweis war erbracht, dass das Konzept funktioniert.
Ab 2025 könnte es losgehen
Was sich vor acht Jahren wie Science-Fiction anhörte, ist heute in greifbare Nähe gerückt. "Schon 2025 werden Flugtaxis in großen Städten auf ersten festgelegten Routen Passagiere transportieren", prognostiziert Daniel Guffarth in einer Studie der Managementberatung Horváth & Partners. Ab 2035 würden sich die Fluggeräte im städtischen Raum als Service etablieren, den die Menschen regelmäßig nutzen. Bis dahin könne das Marktvolumen bereits 75 Milliarden Dollar erreicht haben, glaubt Porsche Consulting. Eine rund dreiminütige Verbindung könnte Kunden 35 Euro kosten.
Volocopter sieht sich neben Unternehmen wie Airbus, Uber, Kitty Hawk und Lilium in einer Führungsrolle. "In zwei bis drei Jahren könnten unsere Taxis die ersten Verbindungen von einem Punkt zum anderen fliegen", sagt Zosel. Ende 2017 absolvierte der 2X einen voll autonomen Testflug in Dubai. Die vorläufige Verkehrszulassung für bemannte Multicopter hat das Unternehmen. Noch sind Hürden wie etwa der rechtliche Rahmen für den Betrieb von Flugtaxis aber nicht geklärt. Wahrscheinlich sind zunächst Routen von einem Flughafen in die Innenstadt. Volocopter hat bereits eine Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Flughafen vereinbart, um die nötige Infrastruktur vorzubereiten. Zosel ist sich sicher: "In rund zehn Jahren werden wir Volocopter in mindestens zehn Megacitys etabliert haben."
Entsprechend hohe Stückzahlen will Volocopter bauen. "Wir reden über eine Größenordnung von 100.000 Einheiten jährlich, die wir bis 2030 erreichen wollen", sagt Zosel. Derzeit könnten in der Halle für die Prototypen etwa 100 Fluggeräte pro Jahr gefertigt werden. Um künftig die Massenproduktion stemmen zu können, hofft Zosel auf die Expertise des Partners Daimler, der sich vor zwei Jahren einen elfprozentigen Anteil an dem Unternehmen und einen Sitz im Verwaltungsrat gesichert hat.
Professionell aufgestellt
"Für uns ist Daimler wertvoller als etwa ein Flugzeughersteller, weil Daimler auch hohe Stückzahlen fertigen kann", sagt Zosel. In der Konzernzentrale in Stuttgart werden die verschiedenen Szenarien offenbar längst durchgespielt. Auf Anfrage der Automobilwoche erklärte Susanne Hahn, Leiterin der zuständigen Innovationseinheit Lab1886: "Die Möglichkeiten bei der Unterstützung der Produktion des Volocopters innerhalb des Daimler-Konzerns werden derzeit geprüft." Daimler und Volocopter verbinde der gemeinsame Anspruch, Pioniere in einem neuen Mobilitätssegment zu werden.
Mit dem Geld der Investoren, zu denen auch Intel zählt, hat sich Volocopter professioneller aufgestellt. Die Gründer haben sich vor zwei Jahren aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und sind nur noch beratend tätig. Florian Reuter führt nun das Unternehmen mit rund 200 Mitarbeitern. Er war zuvor bei Siemens für den Aufbau von Technologie-Start-ups verantwortlich.
Mit Jan-Hendrik Boelens wurde ein Technologie-Chef verpflichtet, der bei Airbus elektrische Systeme für Hubschrauber entwickelte. Finanzchef Rene Griemens bringt Erfahrung in der Finanzierung und Wertsteigerung von Start-ups mit. Noch ist unklar, wann Volocopter Geld verdienen wird. Doch dies hat für Zosel auch nicht oberste Priorität. "Wir wollen ein relevanter Player werden", sagt er. Bis dahin sei ein Verkauf keine Option.
Autohersteller sind gute Partner
Volocopter will sich nicht nur auf die Herstellung der Flugtaxis beschränken, sondern auch als Betreiber auftreten. Noch in diesem Jahr soll in Singapur ein erster Landeplatz zu Demonstrationszwecken eröffnet werden, der mit dem Partner Skyports konzipiert wurde. Dort lässt sich die komplette Abwicklung des Flugbetriebs samt Batteriewechsel, Ladeinfrastruktur und Passagierabfertigung simulieren. Der Flugbetrieb selbst wird aber noch unabhängig von dem Landeplatz getestet.
Mit einer Akkuladung schafft der Zweisitzer bei einer Geschwindigkeit von bis zu 100 km/h einen Radius von etwa 27 Kilometern. Das ist deutlich weniger und langsamer als das Fluggerät des deutschen Konkurrenten Lilium, das eine Stunde lang rund 300 km/h schnell fliegen kann. Für Zosel kein Problem: "Wir haben uns radikal auf eine leise und sichere Lösung konzentriert." Für den Stadtverkehr brauche es keine große Reichweite. Der Radius werde mit neuen Zellgenerationen oder dem Einsatz einer Brennstoffzelle wachsen.
Wer am Ende das Rennen machen wird, ist noch nicht entschieden. Die Experten von Horvath & Partners sehen gute Chancen für Unternehmen, die sich mit Autobauern verbünden. "Automobilhersteller punkten durch Markenbekanntheit, Kundennähe und vielfache positive Erfahrungen in puncto Qualität und Sicherheit", sagt Guffarth. Zosel ist angesichts des entbrannten Wettbewerbs in der Luft entspannt. "Relevante Player tun uns gut, weil der Markt groß genug ist", sagt er. Der Himmel kennt ja keine Grenzen.
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