Digitalisierung, Elektromobilität, autonomes Fahren. Der Wandel der Autoindustrie hat längst begonnen. Doch anstatt sich aktiv um die Zukunft zu kümmern, verharren vor allem Betriebe der Zulieferindustrie wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange. Was die IG Metall bei einer bundesweiten Erhebung aus fast 2000 Betrieben mit rund 1,7 Millionen Beschäftigten der Autoindustrie und des Maschinenbaus erfahren hat, ist ernüchternd.
„Knapp die Hälfte der Betriebe haben keine oder keine ausreichende Strategie zur Bewältigung der Transformation. Wenn sich die Unternehmen weiterhin so defensiv verhalten, spielen sie Roulette mit der Zukunft der Beschäftigten“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann bei der Vorstellung des Transformationsatlas in Frankfurt.
In Baden-Württemberg, einem der Zentren der Autoindustrie, sieht es nicht viel besser aus. Vier von zehn Unternehmen hätten keine klare Strategie zur Bewältigung der Transformation, ergänzt die IG Metall im Südwesten. Besonders groß seien die Defizite bei der Personalplanung und Qualifizierung. Nur in jedem zweiten Betrieb gebe es eine systematische Personalplanung mit Blick auf den digitalen Wandel.
Mehrheit der Betriebe rechnet mit weniger Jobs
Am stärksten betroffen sind Unternehmen der Zulieferindustrie, vor allem die größeren Betriebe. „Die höchsten Rückgänge erwarten wir in Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten“, sagte Rudolf Luz, Bereichsleiter Betriebspolitik im IG-Metall-Vorstand. In 54 Prozent der Betriebe in dieser Branche werde damit gerechnet, dass die Zahl der Arbeitsplätze sinken wird.
Auf der anderen Seite erwarten ebenfalls viele Unternehmen, dass durch den Wandel Arbeitsplätze aufgebaut werden könnten. „Damit diese neuen Arbeitsplätze tatsächlich entstehen, muss jetzt in die Entwicklung und Ansiedelung von Zukunftsprodukten und neuen Geschäftsmodellen investiert werden“, sagte Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg in Stuttgart. Zudem müsse mehr für die Qualifizierung des bestehenden Personals getan werden.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann appellierte an die Arbeitgeber, frühzeitig die Weichen in ihrer Firma zu stellen. „Die Unternehmen müssen die anstehenden Veränderungen offensiv angehen. Dazu gehören Investitionen in neue Produkte, Prozesse und in neue Geschäftsmodelle“, sagte Hofmann. Berufliche Weiterbildung dürfe sich nicht mehr auf Spezialisten und Führungskräfte beschränken, alle Beschäftigtengruppen müssten die Chance bekommen, sich zu qualifizieren.
Transformationskurzarbeitergeld gefordert
Hofmann forderte aber auch begleitende Maßnahmen der Politik wie beispielsweise ein Transformationskurzabeitergeld. Wenn durch den Strukturwandel Arbeitsvolumen wegbreche, könnten die Beschäftigten mit diesem arbeitsmarktpolitischen Instrument in einem Betrieb gehalten und zugleich für die Arbeit an neuen Produkten geschult werden.
Im Interview mit der Automobilwoche hatte Hofmann kürzlich zudem die Einrichtung eines Mittelstandsfonds vorgeschlagen, der vor allem kleineren Betrieben helfen könnte, die den Wandel nicht aus eigener Kraft bewältigen. "Auch die Autoindustrie muss ein Interesse daran haben, dieses prägende und lebenswichtige Netzwerk zu erhalten. Sonst kommen die Hastors dieser Welt als Investoren und bringen die Lieferkette ins Wanken. Das kann niemand wollen", sagte Hofmann.
Um auf die Probleme der Branche aufmerksam zu machen, hat die IG Metall zu einer Demonstration in Berlin aufgerufen. Unter dem Motto #FairWandel sollen Beschäftigte am Samstag, 29. Juni 2019, am Brandenburger Tor auf ihre Anliegen aufmerksam machen.
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