Schwarze Walzen auf glanzgedrehten Felgen – in der guten alten Zeit reichte diese Kombination für viele Einsatzzwecke aus. Heute ist das Zusammenspiel von Reifen und Rädern erheblich komplexer. Schon durch das gesetzlich vorgeschriebene Luftdruckkontrollsystem. Mit rasantem Tempo nehmen die hohen Anforderungen weiter zu.
Der weltweite Trend zu Hybriden und reinen Stromern erfordert neuartige Reifenkonzepte. Das autonome Fahren kann nicht ohne Integration von Chips in alle Bauteile des Fahrwerks gelingen. Und die zunehmende Digitalisierung in den Produktionsanlagen der Fahrzeugbranche – Stichwort Industrie 4.0 – krempelt auch die Abläufe in den Fabriken der Reifen- und Räderhersteller um.
„Die Diversifizierung der Reifensegmente – denken Sie nur an Bereifung für Elektroautos oder All-Season-Reifen – schreitet dynamisch weiter voran“, sagt Frank Jourdan, als Mitglied des Vorstands des Zulieferers Continental zuständig für die Division Chassis & Safety. Eine verheißungsvolle Zukunftsvision sei der „intelligente Reifen“. Als Beispiel nennt Jourdan „Intelligenz in Form eines Profilsensors, der in die Lauffläche eingebettet wird. Der Profilsensor übermittelt der Fahrzeugelektronik drahtlos Daten, etwa über kritische Fahrbahnzustände wie Nässe, Eis und Schnee.“
Reifen mit einem Meter Durchmesser
Auch Contis großer US-Wettbewerber Goodyear arbeitet intensiv an smarter Bereifung. Für die französische Automarke Citroën etwa, die ihr 100-jähriges Bestehen mit dem Konzeptauto 19_19 würdigt, hat Goodyear die passenden Reifen entwickelt.
Der Citroën 19_19 fährt autonom, vernetzt und elektrisch. Sein Design soll unter anderem „Exklusivität“ und „Komfort“ vermitteln, heißt es beim Kooperationspartner Goodyear. Aus diesen Eigenschaften des 19_19 leiteten sich zahlreiche Besonderheiten des schlicht C100 genannten Konzeptreifens ab. Sie zeigen eindrucksvoll, wohin die Reise beim Reifen der Zukunft gehen wird.
So weist der C100 einen Durchmesser von fast einem Meter auf. Zum Vergleich: Konventionelle Pkw-Reifen messen durchschnittlich gerade mal 60 Zentimeter. Das große Format biete mehr Effizienz, Komfort und Leistung, so Goodyear. Der geringere Rollwiderstand ermögliche ein Plus bei der Energieeffizienz und steigere die Reichweite des Konzeptautos.
Einem natürlichen Schwamm nachempfunden
Auch das Design der Laufflächen trägt künftigen Anforderungen an die Bereifung Rechnung. So hat der C100 deutlich mehr Blöcke als ein herkömmlicher Reifen. Das macht Goodyears Konzeptreifen leiser – bei sanft surrenden E-Autos ein klarer Vorteil.
Die Gummimischung in den Profilrillen des C100 ist einem natürlichen Schwamm nachempfunden. Der Mix wird steifer bei trockener Straße und weicher bei Regen. „So werden sich auf nasser und auf trockener Fahrbahn Handling, Grip und Bremsen verbessern“, erwartet Goodyear.
Das Highlight des C100 ist seine Konnektivität: Das Reifenkonzept ermöglicht die Integration von Sensortechnologie. Damit kann die Bereifung die jeweiligen Straßenoberflächen und Witterungsbedingungen ertasten und die Informationen in das autonome Steuersystem des Citroën 19_19 einspeisen. Goodyear schaut noch weiter in die Zukunft: „Mit einer speziellen Technologie, der ,Active Wear Technology‘, könnte der Reifen den Verschleißzustand aktiv erfassen und eine proaktive Wartung möglich machen.“
Daten werden zu Erlösen
Die daraus resultierenden Geschäftschancen sind verlockend. „Der Zulieferer produziert künftig nicht nur Bauteile, Module und Systeme. Er generiert auch Daten über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs“, sagt Federico Magno, Geschäftsführer Automobilindustrie von Porsche Consulting – und fügt an: „Damit verändert sich sein Geschäftsmodell und seine Kundenstruktur. Zu seinen Aufgaben wird es gehören, für den Endkunden relevante Dienstleistungen zu bieten und damit auch Geld zu verdienen.“
Die Allianzen von Reifen und Rädern werden nochmals anspruchsvoller. Die von Herstellern und Lieferanten auch. Terry Gettys, Entwicklungschef des französischen Reifenanbieters Michelin, betont: „Im Bereich der nachhaltigen Mobilität kann kein einzelner Akteur alles allein stemmen.“
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