Das größte Problem der europäischen Autobauer ist aktuell weder der Brexit noch drohende Automobilzölle in den USA, sondern die im April verabschiedeten neuen Richtlinien der Europäischen Union (EU) zur Begrenzung der CO2-Emissionen. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie des nach eigenen Angaben weltweit führenden Kreditversicherers Euler Hermes.
Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Euler Hermes Gruppe und stellvertretender Chefvolkswirt der Allianz, sagt: "Dunkle CO2-Wolken zeigen sich am Horizont: Die europäischen Automobilhersteller müssen gemäß der Richtlinie die CO2-Emissionen innerhalb von nur zwei Jahren um 20 Prozent senken. Zum Vergleich: In den letzten 10 Jahren waren es 25 Prozent. Das ist mehr als sportlich. Hinzu kommen weitere ehrgeizige Ziele, die sie bis 2025 und 2030 erreichen sollen. Das wird ein Wettlauf mit der Zeit, den die Autobauer sehr wahrscheinlich verlieren werden."
Die neuen Emissionsziele könnten für die Automobilindustrie laut der Studie sogar ein katastrophales Szenario auslösen. Aktuell erfüllt kein Hersteller die geforderten Abgasnormen.
Hälfte der Nettogewinne als Strafen?
"Für die Autohersteller ist es gleich in dreierlei Hinsicht eine riesige Herausforderung: industriell, finanziell und kommerziell", sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Es erfordert zum einen eine schnelle und drastische Anpassung des Antriebsstrangmix' zugunsten von alternativ angetriebenen Fahrzeugen, insbesondere Elektrofahrzeugen. Zum anderen drohen bei Nichterreichen hohe Geldbußen: Wenn man von den Zahlen von 2018 ausgeht, könnten sich diese auf 30 Milliarden Euro summieren. Das entspricht der Hälfte der gesamten Nettogewinne der Automobilhersteller."
Die Produktionskosten könnten der Studie zufolge bis Ende 2020 um bis zu sieben Prozent und bis 2025 um bis zu 15 Prozent steigen. Die vollständige Weitergabe dieser an die Kunden würden zu Einbußen bei den Autoverkäufen um neun Prozent bis Ende 2020 und um 18 Prozent bis 2025 führen.
160.000 Jobs akut bedroht
"Wenn man also vom schlimmsten Fall und den aktuell erreichten Emissionswerten der europäischen Autobauer ausgeht, würde dies sowohl das französische als auch das deutsche BIP-Wachstum in den Jahren 2019 und 2020 mit jeweils -0,1 Prozentpunkten belasten. Das würde etwa 160.000 Arbeitsplätze gefährden", sagt Subran. "Darüber hinaus würde ein zunehmender Wettbewerb der Elektro-Hersteller den Abwärtsdruck auf Umsätze und Margen erhöhen. Die Automobilhersteller werden jedoch ihr Bestes tun, um diesen perfekten Sturm zu vermeiden - aber es wird ein Kraftakt, der manchem an die Substanz geht."
Europäische Autobauer dürften nach Einschätzung der Euler Hermes-Experten die vorhandenen finanziellen Puffer nutzen, versuchen weiter Kosten zu senken und "Superkredite" zu nutzen. Auch Partnerschaftsverträge und sogenannte "Pools" sowie eine weitere Konsolidierung werden wahrscheinliche Folgen sein.
"Es ist eine fast sichere Gewissheit, dass die Automobilhersteller die geforderten CO2-Ziele nicht einhalten werden", sagt Van het Hof. "Selbst mit einer schnellen Anpassungsstrategie werden sie voraussichtlich maximal ein Drittel der Ziele erreichen. Wir erwarten daher bis Ende 2020 einen Anstieg der durchschnittlichen Pkw-Preise um etwa 2,6 Prozent und in der Folge einen Rückgang der Neuzulassungen um 3,1 Prozent. Das dürfte zu einem Minus von 2,9 Milliarden Euro bei den verkauften Fahrzeugen führen und dadurch etwa 60.000 Arbeitsplätze gefährden."
Weitere Risiken drohen der Branche
Weitere Unsicherheiten wie die weiterhin drohenden Zölle auf europäische Autos in den USA sowie durch den Brexit kommen hinzu.
Angesichts der Größe der europäischen Automobilindustrie, auf die 13 Prozent der Produktion im verarbeitenden Gewerbe und 13,3 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze entfallen, werden vermutlich Verbraucher und Regierung gefordert sein, um das Szenario abzumildern, so die Studie.
Die vollständige Studie "A perfect storm for car manufacturers?" finden Sie hier.
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