Carlos Ghosn ist ein unbeugsamer Mann. Selbst nach 108 Tagen in einem japanischen Untersuchungsgefängnis sitzt er mit geradem Rücken, faltenfrei und so entschlossen wie immer vor den Betrachtern. Der aus allen Ämtern mit Schimpf und Schande vertriebene Spitzenmanager redet frei - und angstfrei. So kann doch nur ein Unschuldiger auftreten, sagt sich der unvoreingenommene Betrachter.
Seine Videobotschaft hat Carlos Ghosn jede Menge Sympathie zurückgebracht. Auf allen Portalen, die das frei zugängliche Video in englischer Sprache auf Youtube zur Verfügung gestellt haben, überwiegen bei weitem die "Likes" vor den "Dislikes." Das gilt für französische, amerikanische, aber auch für japanische Internetportale. Ghosn hat mit seiner Videobotschaft gezeigt, dass es nicht nur um eine persönliche Bereicherungsaffäre geht. Sondern auch um einen kinoreifen Wirtschaftskrimi.
Unrechtsbewusstsein: Null
Die Betonung liegt allerdings auf "auch." In dem Video betont Ghosn rundheraus, er sei unschuldig in allen ihm zur Last gelegten Vorwürfen. Also keine private Sause auf Schloss Versailles, keine Verlustübernahme der Allianz aus privaten Spekulationen, keine versteckten Gehalts- und Bonuszahlungen und und und.
Fazit aus diesem Teil des Ghosn-Videos: Der schwer beschuldigte Manager hat ein Unrechtsbewusstsein von exakt null komma null Prozent. Ghosn Hybris war und ist grenzenlos, das zeigt diese Botschaft aus dem Gefängnis. In dem Video listet der einstige "Retter von Nissan" auf, wieviel Gutes er für Nissan, Renault, den japanischen Staat und für die Unternehmenskultur in Japan geleistet hat. Das mag alles richtig sein - macht mögliche Verfehlungen aber nicht ungeschehen.
Die konkreten Bereicherungs- und Veruntreuungsfälle wird ein japanisches Gericht womöglich in einem monatelangen Mammutprozess aufarbeiten können und ein Urteil finden. Nicht vor Gericht werden dagegen die Vorwürfe besprochen, die so gut wie jeder langjährige Nissan- oder Renault-Mitarbeiter äußert, der Ghosn und seinen Führungsstil kennenlernen konnte - oder vielmehr musste. "Der Raum verstummte und die Menschen zitterten, wenn Ghosn an den Tisch trat", sagte jüngst noch ein Renault-Manager der Automobilwoche.
Auch wenn ein rechtskräftiges Urteil in der Causa Ghosn wohl noch Jahre auf sich warten lassen wird, steht heute schon fest: Mit den Mitteln des Strafgesetzes und mit den Möglichkeiten staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ist ein vollständiges, faires Urteil über eine Persönlichkeit wie Carlos Ghosn kaum möglich.
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