Normalerweise pflegt der Betriebsrat bei Bosch einen kooperativen Stil. Demonstrationen und Muskelspiele wie sie beispielsweise bei Daimler üblich sind, zählen beim weltgrößten Zulieferer eher zur Ausnahme. Jetzt aber schlagen die Arbeitnehmer Alarm. Rund 5000 von ihnen haben an einem Protestzug durch Feuerbach teilgenommen. Die Sorge um ihre Jobs treibt sie auf die Straße. Denn in den Diesel-Werken brechen die Aufträge weg. "Wir werden das heutige Beschäftigungsniveau auf Dauer nicht halten können", sagte Bosch-Powertrain-Chef Uwe Gackstatter nach der Veranstaltung den anwesenden Journalisten.
Während der Unternehmensvertreter keine konkreten Zahlen nennen will, haben die Arbeitnehmervertreter bereits genauere Vorstellungen. So würden an den Standorten Bamberg, Homburg und Stuttgart-Feuerbach in diesem Jahr 500 Stellen wegfallen, befürchtet Betriebsratschef Hartwig Geisel. 200 davon entfallen auf die Entwicklung, der Rest geht in der Produktion verloren. Dabei handelt es sich in erster Linie um befristet Beschäftigte, deren Verträge nicht mehr verlängert werden. Im vergangenen Jahr waren bereits 600 Jobs in Homburg und Bamberg abgebaut worden, wie die Automobilwoche exklusiv berichtete.
Sinkende Auslastung
Seit Monaten schon haben die drei Diesel-Werke in Homburg, Bamberg und Feuerbach mit einer sinkenden Auslastung zu kämpfen. In Homburg etwa sollen in diesem Jahr alle Brückentage zu verlängerten Wochenenden genutzt werden, schon jetzt ist eine verlängerte Weihnachtsruhe vereinbart. Außerdem verhandelt die Arbeitnehmervertretung über die flächendeckende Anwendung einer neuen Option im Tarifvertrag.
Dabei können Schichtarbeiter statt einer Lohnerhöhung acht zusätzliche freie Tage wählen. Diese Regelung soll in Homburg und auch Bamberg möglichst flächendeckend angewendet werden, um einen weiteren Stellenabbau vorerst zu verhindern. "Bisher konnten wir die zurückgehende Nachfrage bei den Pkw durch eine Sonderkonjunktur bei den Nutzfahrzeugen ausgeglichen, aber auch hier erleben wir einen massiven Einbruch", sagte Homburgs Betriebsratschef Oliver Simon.
Die Diesel-Nachfrage ist vor allem in Europa rückläufig. Wurde 2015 noch jeder zweite Neuwagen mit einem Selbstzünder ausgeliefert, ist es aktuell nur noch jeder dritte. "Die negative Diesel-Debatte wirkt wie ein Brand-Beschleuniger", klagt Frank Sell, Betriebsratschef in Feuerbach. Zwar könnten über den demografischen Wandel Kündigungen vermieden werden. So gingen ab Anfang der 20er Jahre allein in Feuerbach 250 der 3500 Beschäftigten pro Jahr in den Ruhestand. Doch das könne keine Lösung sein. "Wir wollen die industrielle Fertigung an Standorten wie Stuttgart halten", so Sell.
"Dann wird es schmutzig"
Der weltgrößte Zulieferer, bei dem 50.000 der über 400.000 Mitarbeiter von der Diesel-Technologie abhängen, steckt in einem Dilemma. Denn der Diesel hat eine Wertschöpfungstiefe wie kaum ein anderes Produkt in der Autoindustrie. So komme auf zehn Arbeitsplätze beim Diesel nur einer im Bereich der Elektromobilität, rechnet Hartwig Geisel vor. Ein adäquater Ausgleich ist also nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Autohersteller Elektro-Komponenten selbst fertigen wollen, um ihrerseits die Beschäftigung halten zu können. Verbrenner-Komponenten dagegen werden vielfach nach Osteuropa verlagert, weil sie als Auslaufmodell gelten.
Während eine von der IG Metall beauftragte Fraunhofer-Studie beim Übergang ins Elektrozeitalter zunächst von einem deutschlandweiten Jobverlust bis 2030 in der Größenordnung von 70.000 ausgegangen war, stellt sich das Szenario wenige Monate später ganz anders dar. Angesichts verschärfter CO2-Grenzwerte der EU müssen die Hersteller voll auf die E-Mobilität setzen. So hatte VW-Chef Herbert Diess auf der Bilanz-Pressekonferenz des Konzerns eine massive Beschleunigung beim Wandel angekündigt. Der Anteil von batterieelektrischen Fahrzeugen bei Neuwagen soll nun 2030 bereits 40 Prozent betragen. Alternativen wie der Brennstoffzelle erteilte er eine klare Absage. "Wenn es dumm läuft, reden wir hier von 160.000 Stellen, die wegfallen", sagte IG-Metall-Bezirkschef Roman Zitzelsberger. "Das wird mit Demografie allein nicht aufzufangen sein. Und dann wird es schmutzig."
30-Stunden-Woche als Vorschlag
Um die Beschäftigung bei Bosch zumindest auf absehbare Zeit stabil zu halten, wollte die Unternehmensleitung den Arbeitnehmervertretern eine 30-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich abtrotzen. Diese Forderung sei nun vom Tisch, es werde auf Augenhöhe verhandelt, sagte Geisel. Dabei habe der Betriebsrat einen Acht-Punkte-Plan vorgeschlagen. Dieser sieht unter anderem vor, dass das Unternehmen Perspektiven für jeden Standort erarbeitet. Über einen Innovationsfond sollen mögliche neue Technologien schneller gefunden werden. Mitarbeiter sollen bei Bedarf für andere Aufgaben qualifiziert werden. Außerdem gehe es um eine gerechte Verteilung der Stückzahlen über alle Diesel-Standorte in Europa hinweg. Zu diesen zählen beispielsweise auch Bari in Italien oder Rodez in Frankreich.
Powertrain-Chef Gackstatter erklärte allerdings, dass die 30-Stunden-Forderung nach wie vor eine Rolle spiele. "Wir sehen dies als wichtiges Instrument, um die Beschäftigung zu halten. Er wies auch das Ansinnen des Betriebsrats nach einer Beschäftigungssicherung bis 2030 zurück. "Das können wir nicht zusagen, das wäre unseriös." In Feuerbach gehe es allenfalls um eine Absicherung bis zum Jahr 2022/23. Wichtig sei aber, eine europäische Lösung zu finden. Ziel sei ganz klar, eine Perspektive für alle Standorte zu finden. Dafür benötige das Unternehmen aber Zeit. "Wir können Strukturwandel, aber keinen Strukturbruch."
Weitere Proteste geplant
Immerhin hat das Unternehmen bereits für Homburg und Bamberg den Einstieg in die Brennstoffzelle versprochen. Auch für Feuerbach wäre dies eine Option. Bosch will dabei mobile und stationäre Anwendungen zur Marktreife bringen. Mit dem amerikanischen Start-up Nikola arbeitet Bosch bereits an einem Wasserstoff-Antrieb für schwere Nutzfahrzeuge. Bis durch diese Technologie in nennenswerter Anzahl Stellen geschaffen werden, könnte es aber noch viele Jahre dauern.
Angesichts der dramatischen Situation beobachtet die IG Metall einen zunehmenden Stimmungswandel in den Zulieferbetrieben im Südwesten. Erstmals seien bei Bosch so viele Mitarbeiter bereit gewesen, auf die Straße zu gehen. IG-Metall-Bezirkschef Roman Zitzelsberger kündigte an, dass dies nur der Anfang sei. "Wir werden dieses Thema massiv nach vorne bringen", sagte er. So soll es in den nächsten Wochen weitere Proteste geben. Nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Berlin.
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