Auf den ersten Blick sieht die fest vereinbarte Zusammenarbeit zwischen Ford und Volkswagen im Nutzfahrzeugbereich aus wie business as usual: Zwei Autohersteller tun sich zusammen, um eine Produktgattung gemeinsam in größerer Stückzahl und damit vor allem kostengünstiger entwickeln und produzieren zu können.
Doch hinter dem Handschlag von VW-Vorstandschef Herbert Diess und Ford-Boss Jim Hackett steckt weit mehr als eine einzelne Kooperation. Die beiden Autobauer sind bereit, in den wichtigsten Feldern künftiger Mobilität sehr eng zusammenzuarbeiten. Denn unstrittig ist, dass sich der zukünftige Erfolg einer Automarke an deren Fähigkeit bemisst, in den Bereichen autonomes Fahren, Elektromobilität und neue Mobilitätsdienste Treiber zu sein statt Getriebener.
Wenn zwei der ganz Großen in der Branche diese Absicht haben, dann muss das die gesamte Branche aufhorchen lassen. Die Chance, mit geballter Kraft Innovationen schnell und kostengünstig marktreif zu entwickeln, ist enorm. Ebenso enorm freilich ist die Chance beider Hersteller, angesichts der schieren Menge an Kooperationsfeldern zu scheitern. Sei es an unterschiedlichen Anforderungen, an der unterschiedlichen Unternehmenskultur oder schlichtweg am Ehrgeiz der jeweiligen Entwickler, sich bei einem gemeinsamen Projekt durchzusetzen.
Jim Hackett und Herbert Diess haben mit der bewusst vage gehaltenen Absichtserklärung im Prinzip nichts ausgeschlossen. Was dies für die Entwicklung und die Fertigung künftiger gemeinsamer Fahrzeuge und Technologien bedeutet, ist heute noch kaum absehbar. Standorte sind hier gleich im Dutzend betroffen. Keine Frage, die Kooperation hat das Potenzial, beide Unternehmen von Grund auf zu verändern.
VW – je mehr Low-Cost, umso besser
Dies ließen Diess und Hackett auch in einem kurzfristig anberaumten Conference Call mit Medienmenschen und Analysten durchblicken. Im Frage-und-Antwort-Teil der Telefonschaltung wollte Automobilwoche von VW-Chef Diess wissen, ob der Antriebsstrang des mit Ford geplanten City-Vans komplett elektrifiziert sein wird und inwiefern dieses Fahrzeug der Studie "ID. Buzz" ähnelt. Der Topmanager erklärte, für konkrete Aussagen dazu in der Öffentlichkeit sei es "noch zu früh". Die Frage zu einer möglichen Öffnung der VW-Fabrik im US-amerikanischen Chattanooga/ Tennessee für die Fertigung von Ford-Fahrzeugen beantwortete Diess unter anderem mit dem Satz: "Das könnte eine Option sein".
An Thomas Sedran, den Chef der Marke Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN), richtete Automobilwoche im VW-Ford-Call die Fragen, ob VW die Produktion der T-Baureihe (derzeit T6, auch "Bulli" genannt) perspektivisch in jenes türkische Werk von Ford verlagern wird, in dem der US-amerikanische Joint-Venture-Partner den Ford Transit fertigt, ob die Caddy-Baureihe aus dem polnischen Poznan abgezogen werden soll – und welche Pläne für den argentinischen VW-Standort Pacheco bestehen, an dem der Pick-up Amarok von VWN vom Band läuft. Sedran, zuvor Strategiechef des VW-Konzerns, sagte darauf unter anderem: "Je mehr Volumen wir in Low-Cost-Ländern allokieren, umso besser".
Ford könnte sein Europa-Problem bändigen
Für Ford bietet die prinzipiell nicht begrenzte Zusammenarbeit mit VW die Chance, das defizitäre Europageschäft auf mittlere Sicht zumindest in den Griff zu bekommen. Bislang muss sich Ford den kostspieligen Luxus erlauben, für einen vergleichsweise kleinen europäischen Markt einen enormen Aufwand zu treiben in Gestalt eigens entwickelter und gebauter europäischer Fahrzeuge, die sonst auf der Welt so gut wie nicht nachgefragt werden.
Sollte die Kooperation im Nutzfahrzeugbereich erfolgreich starten, wird Ford sehr schnell versuchen, auch im wenig rentablen Kleinwagenbereich mit VW auf einen Nenner zu kommen. Fiesta und Polo könnten künftig aus ein und demselben Automobilwerk schlüpfen. Gute Designer können heutzutage ohne Probleme aus ein und derselben Plattform zwei oder noch mehr grundlegend unterschiedliche Autos entwerfen - als Beispiel mag da etwa der Toyota Aygo dienen, der sich die Plattform mit dem Citroen C1 und dem Peugeot 108 teilt.
Derselbe Ansatz ist im Prinzip bei jedem anderen Modell denkbar. Fraglich ist dabei aber, warum ein absoluter Marktführer wie VW im C-Segment seine Vorteile mit einem Wettbewerber teilen sollte. Die Antwort lautet auch hier Kostenvorteile. Je mehr Einheiten eines Kooperationsfahrzeuges einer der beiden Partner gemeinsam baut, um so höher liegen seine Einspar-Potenziale.
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