Mehr als drei Jahre ist es her, dass Sergio Marchionne der gesamten Branche den Kopf gewaschen hat – sich selbst eingeschlossen. Auf 25 Seiten reihte er Argument für Argument und Zahl für Zahl aneinander, warum die Automobilhersteller auf dem Holzweg sind: Zu hohe Investitionen, zu geringe Rendite. Ein mageres Ergebnis im Vergleich zur Chemieindustrie oder Handelskonzernen. Kapitalvernichter seien die Autobauer, Konsolidierung ihr einziger Ausweg.
Doch wie so oft galt der Prophet im eigenen Land, dem Land auf vier Rädern, nicht viel. Zumindest nicht genug, also dass es mehr als nur Diskussionen nach seinen Confessions of a Capital Junkie gegeben hätte. Erhört wurde Marchionne nicht. Nicht von Mary Barra und GM, nicht von Mark Fields bei Ford. Und auch nicht in Wolfsburg.
Aber Marchionne musste sich diesen Ärger vom Leib schreiben und in eine große Powerpoint-Präsentation gießen. Denn für ihn lagen die Argumente klar auf dem Tisch, in Zahlen und Grafiken nachzulesen. So offensichtlich. Und doch so wenig wirkungsvoll.
Steve Jobs der Autobranche
Nicht erst mit diesem Auftritt hatte Marchionne seinen Sonderstatus in der Autobranche zementiert. Er kultivierte sein Image, einem Steve Jobs nicht unähnlich. War es beim Apple-Gründer stets der schwarze Rollkragenpulli zur Jeans, genügte Marchionne ein normaler schwarzer Pullover zur Jeans. Beiden war aber wichtig, dass es immer der gleiche Look war.
Deshalb hatte der verstorbene FCA-Chef in seinen Unterkünften in Michigan, Turin und der Schweiz überall ein Dutzend seiner immer gleichen Klamotten. Bis hin zu den Socken. Marchionne blieb seinem Look stets treu, auch wenn er US-Präsident Donald Trump gegenüberstand.
Marchionne war Workaholic und Genießer gleichermaßen. Fünf Smartphones parallel im Einsatz, im intensiven Gespräch aber auch Espressi und italienische Muratti-Zigaretten am laufenden Band. Vor 66 Jahren wurde Marchionne in Chieti an der italienischen Adria geboren. 1966 zog die Familie nach Toronto. Marchionne hatte auch einen kanadischen Pass. In Kanada studierte er Philosophie, BWL und Rechtswissenschaften. Bei Deloitte & Touche stieg er als Wirtschaftsprüfer und Steuerrechts-Experte ins Berufsleben ein.
Von da an ging es aufwärts. Und Schritt für Schritt wurde er zum Sanierungsexperten. 2002 heuerte er bei der angeschlagenen Schweizer SGS an, dem größten Prüfkonzern der Welt. Er sanierte das Unternehmen und wurde Präsident des Verwaltungsrats.
"Gott segne Sie, Sergio!"
Seinen größten Erfolg aber erlebte er kurz vor dem Ende seines viel zu kurzen Lebens. Kaum einer gab Marchionne mit seinem Vorhaben eine Chance, aus zwei angeschlagenen Autobauern einen schlagkräftigen Konzern zu formen. Fiat und Chrysler waren jeder für sich schon zu viel für die meisten. Und genau das richtige Maß für Marchionne. Ihm gelang es vor wenigen Monaten tatsächlich, Fiat Chrysler wieder profitabel zu machen. Sogar profitabler als General Motors. Es dürfte ihm eine Genugtuung gewesen sein.
Und so musste mancher Zweifler in diesem Jahr sein Urteil über den Zahlenmann von der Adria revidieren. Ganz offen und ehrlich tat dies Adam Jonas, Auto-Analyst der US-Großbank Morgan Stanley. Er sei einer der Skeptiker gewesen, die zu Marchionnes Amtsantritt 2004 dachten: „Wer zum Teufel ist dieser Kerl?“. Heute habe sich sein Blick auf Marchionne um 180 Grad gedreht: „Es gibt mehrere hundertausend Familien in vielen Ländern, denen es wegen Ihnen und Ihres Teams besser geht. Gott segne Sie, Sergio! Wir werden nie wieder jemanden wie Sie sehen.“
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