Neuer Höhepunkt im Dieselskandal des VW-Konzerns: Die Münchner Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Audi-Chef Rupert Stadler eingeleitet. Sie legt Stadler und einem namentlich nicht genannten Audi-Vorstand "Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung zur Last". Stadler gilt damit nicht mehr nur als Verdächtiger, sondern als Beschuldigter, gegen den ein begründeter und damit konkreter Anfangsverdacht vorliegt.
Die beiden hätten Dieselautos mit manipulierter Abgasreinigung in Europa in den Verkehr gebracht, teilte die Staatsanwaltschaft am Montag mit. Damit erklärt sich auch der sperrige Ausdruck der "mittelbaren" Falschbeurkundung. Die Typengenehmigung wird von den Behörden erteilt, die Staatsanwaltschaft vermuten aber, dass die Vorstände von der manipulierten Software wussten und das Zulassungsverfahren trotzdem haben laufen lassen. Somit sind sie "mittelbar" an der Falschbeurkundung beteiligt, sie hätten die diese aktiv unterbinden müssen.
Ein Audi-Sprecher sagte in Ingolstadt: "Wir kooperieren vollumfänglich mit der Staatsanwaltschaft." Einen Besuch auf der Digital-Messe Cebit hat Stadler nach Bekanntwerden der Razzien abgesagt.
Die nächsten Aufsichtsratssitzungen bei VW und Audi sind für Ende Sommer geplant.
Einer muss dafür gerade stehen...
Stadler ist seit elf Jahren Audi-Chef. Zur Sicherung von Beweismaterial seien die Privatwohnungen von Stadler und dem nicht genannten Vorstandsmitglied durchsucht worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die Zahl der Beschuldigten sei damit auf 20 gestiegen. Drei Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft München II sind ausschließlich mit dem Ermittlungsverfahren "Audi" betraut, sowie rund fünfzehn Beamte des Landeskriminalamtes.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fordert Stadlers Rücktritt. "Wie für jeden gilt auch für Herrn Stadler die Unschuldsvermutung. Dennoch: Es ist höchste Zeit, dass er als Audi-Chef zurücktritt", sagte DSW-Experte Andreas Breijs der "Rheinischen Post" in Düsseldorf. "Entweder hat er von dem Betrug nichts gewusst, dann muss er die Verantwortung für das Organisationsversagen übernehmen. Oder er hat etwas von den Manipulationen gewusst, und darauf deutet einiges hin, dann muss er dafür gerade stehen."
Stadler soll nach der Aufdeckung der Manipulationen in den USA von den falschen Abgaswerten auch in Europa gewusst haben, aber anders als in den USA keinen Vertriebsstopp angeordnet haben. Die Ermittler stützten sich auf die Auswertung von Korrespondenz, verlautete aus Ermittlerkreisen. Im März 2017 und im Februar 2018 hatte es in der Audi-Zentrale in Ingolstadt und im Werk Neckarsulm Razzien gegeben.
Ex-Motoren-Entwickler belastet Stadler
Als einziger Beschuldigter sitzt ein ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Entwicklungsvorstand in Untersuchungshaft. Er war im September 2017 verhaftet worden. Einer seiner früheren Mitarbeiter bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchungshaft im November 2017 wieder freigekommen. Er soll Stadler bei seinen Vernehmungen schwer belastet haben.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen VW-Konzernchef Herbert Diess und VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wegen des Verdachts, Anleger zu spät über Finanzrisiken des Dieselskandals im VW-Konzern informiert zu haben. Dieser betraf auch Millionen VW-Autos mit manipulierten Vierzylindermotoren.
Audi soll in den USA und Europa von 2009 an rund 220.000 Dieselautos mit Schummelsoftware verkauft haben. Für ein Viertel der betroffenen Audi-Sechszylinder-Motoren stehen die Bescheide und Software-Update-Genehmigungen des Kraftfahrtbundesamtes noch aus. Der Skandal hat Audi bisher 2,25 Milliarden Euro gekostet.
Seit Ende 2015 hatten sechs Audi-Vorstände ihren Hut nehmen müssen. Gegen Stadler waren immer wieder Rücktrittforderungen laut geworden. Er genießt weiterhin das Vertrauen der Familien Porsche und Piëch, die einen Großteil der VW-Aktien halten.
Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, kritisierte den Umgang der Automanager mit dem Skandal. "Wer Fehler gemacht hat, sollte sie benennen, sich entschuldigen und sie abstellen, also Verantwortung übernehmen, um endlich Vertrauen zurückzugewinnen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Ich will nicht verhehlen, dass ich mir nach dem Bekanntwerden der Gesetzesverstöße mehr als einmal ein anderes Verhalten gewünscht hätte." (Von Christine Schultze und Roland Losch, dpa; Rebecca Eisert)
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