Den Weg von der Rennstrecke in die Serie findet zwar nur ein Teil der dort eingesetzten Komponenten. Aber als Beschleuniger für die Serienentwicklung kann er bei den Zulieferern allemal dienen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Automobilwoche unter Zulieferern.
Brembo bringt Flexira in die Kompaktklasse
Der italienische Bremsen-Hersteller Brembo hat jüngst auf dem Automobilsalon in Genf beispielsweise einen neuen Bremssattel für die Kompaktklasse präsentiert, mit dem sich der Zulieferer ein neues Marktsegment erschließen will. Ursprünglich kommt der Aluminium-Bremssattel mit dem Namen Flexira aus dem Motorsport.
Stolz ist Brembo auf die Kompaktheit der Entwicklung. Nach Angaben des Unternehmens war bislang das Haupthindernis für den Einsatz von Festsätteln in Autos der Kompaktklasse der fehlende Platz zwischen Bremsscheibe und Rad.
Das lag einerseits an der Größe des Fahrzeugs, aber auch an der speziellen Architektur der Radaufhängungs-Systeme dieser Segmente. Flexira bewahrt nun auf engem Raum die für einen Festsattel typische Funktionalität und Leistungsfähigkeit, weist aber gleichzeitig die Abmessungen eines Schwimmsattels auf.
Glücksfall Ferrari als Kunde
Die neuartigen Sättel werden aus einer speziellen Aluminium-Legierung im Kokillengussverfahren gegossen. Nur auf der Außenseite des Bremssattels finden sich Stahleinsätze, im Fachjargon auch als Buchsen bezeichnet. Neben Vorteilen beim Kraftstoffverbrauch durch das geringere Gewicht verspricht der Hersteller auch geringere Trägheitsmomente.
Als einen großen Glücksfall sieht es das Unternehmen an, seit dem Jahr 1975 Ferrari in der Formel 1 beliefern zu können. "In diesem Bereich ist es entscheidend zu wissen, wie man Neuerungen vornimmt und dies muss schnell geschehen, um nach jedem Rennen bereit zu sein – manchmal auch von einem Tag auf den anderen", erklärt Mario Almondo, Chef der Brembo Performance Group. Beispielsweise wenn zwischen dem Zeitfahren und dem Rennen eine Lösungen gefunden werden müsse.
Karbon-Keramik-Bremsscheibe als Beispiel
"Diese Erfahrung hat es Brembo über die Jahre ermöglicht, auf der Rennstrecke neue technologische Lösungen zu testen, welche im Laufe der Zeit auf Fahrzeuge und Motorräder mit Straßenzulassung übertragen wurden", so Almondo.
Ein Beispiel dafür ist die Karbon-Keramik-Bremsscheibe, die jahrelang in der Formel 1 genutzt wurde, und die von Marken wie Ferrari, Porsche, Lamborghini, Maserati, Aston Martin und anderen für ihre Sportwagen genutzt wird.
"Brembos Fähigkeit, die leichtesten Bremsen zu gestalten und zu produzieren, hat es dem Unternehmen erlaubt, auch in den Marktsegmenten außerhalb des Sports wettbewerbsstärker zu sein. Zum Beispiel im elektrischen oder Hybrid-Bereich, wo ebenfalls dieselbe intensive Suche nach leichteren Komponenten herrscht", ergänzt Almondo.
"Wo Mahle draufsteht, ist auch Mahle drin"
Auch der Motorkomponenten-Hersteller Mahle ist schon seit vielen Jahrzehnten mit seinen Produkten und seinem Entwicklungs-Know-how in den Rennserien der Welt vertreten. Ob Formel 1, die Deutsche Tourenwagenmeisterschaft (DTM) oder die US-NASCAR Series.
Dabei folgt das Unternehmen seinem Grundsatz: "Wo Mahle draufsteht, ist auch Mahle drin. Das heißt, wir betreiben grundsätzlich kein reines Sponsoring, sondern gehen ausschließlich Kooperationen ein, bei denen Mahle einen Entwicklungsanteil einbringt", erklärt Fred Türk, Vice President Mahle Motorsport.
Technologisch gesehen, bietet der Motorsport ein Umfeld, in dem in kürzester Zeit anspruchsvolle Technologien entstehen, die unter den härtesten Einsatzbedingungen standhalten müssen. "Das ermöglicht es uns, viel zu lernen und das gewonnene Know-how beispielsweise auch in der Serienentwicklung zu nutzen", so Türk.
Seiner Einschätzung nach kann der Motorsport in vielen Anwendungsbereichen als Vorschau auf künftige Serientechnologien gesehen werden. Beispielsweise könne ein Werkstoff, eine Beschichtung oder eine Komponentengeometrie Vorteile bringen und ist dauerhaltbar, "was sich in sehr kurzer Zeit feststellen lässt", so Türk.
Als Beispiel dafür steht für ihn der Mahle-Stahlkolben für Dieselmotoren, der zuerst im Langstreckenrennen zum Einsatz kam, bevor er weltweit erstmalig in einem Pkw in Großserie ging.
Schaeffler setzt Schwerpunkt auf Zukunftsthemen
Als Technologieunternehmen und Autozulieferer verfügt Schaeffler über eine lange Tradition in Sachen Motorsport-Partnerschaften. "Mit unseren gegenwärtigen Aktivitäten haben wir unser Produktportfolio auf den internationalen Motorsport übertragen und darüber hinaus einen Schwerpunkt auf Zukunftsthemen gelegt", erklärt Technologie-Vorstand Peter Gutzmer.
Der Zulieferer bietet Technologien für die Optimierung des verbrennungsmotorischen Antriebsstrangs, die Elektromobilität und für alle Formen von Hybridfahrzeugen.
"Der Motorsport ist für Technologieunternehmen und Automobilhersteller seit jeher ein ideales Entwicklungs- und Testfeld", so Gutzmer. Der Rennkalender zwinge zum schnellen finden idealer Lösungen. Und nach dem Rennen erhalten alle Beteiligten – mit dem Rennergebnis – eine Bestätigung für die Güte ihres Tuns.
Emotionalisierung der E-Mobilität
Für Menschen mit Technologiebezug biete der Motorsport ein hohes Identifikationspotenzial. "Wir erleben das hausintern immer wieder; weltweit finden sich an allen Produktionsstandorten und Büros Poster unserer Rennfahrzeuge. Und zu unseren Mitarbeiter-Events im Rahmen der DTM und Formel E wollen immer weit mehr Menschen kommen als wir Kapazitäten dafür schaffen können", freut sich Gutzmer.
Er betont, dass der Motorsport ein ideales Vehikel sei, um beispielsweise die E-Mobilität zu emotionalisieren. "Für deren Erfolg ist die emotionale Komponente von großer Bedeutung", ist er überzeugt.
Antriebsstrang-Konzepte in kürzester Zeit
Darüber hinaus sammeln die in die Motorsport-Programme involvierten Mitarbeiter motivierende Erfahrungen für ihre berufliche Zukunft als Ingenieure und Manager bei Schaeffler. "Und last but not least sammeln wir im Motorsport wichtige Erfahrungen, die wir auch in die Serienprodukte einfließen lassen", so der Vorstand. Daher engagiere sich Schaeffler nicht nur als klassischer Sponsor mit Blick auf den Werbewert, sondern auch als Technologiepartner im Bereich der Zukunftstechnologien.
Motorsport bedeute letztendlich nichts anderes, als Technologien an ihre Grenzen zu treiben. "Die daraus erzielten Erkenntnisse lassen sich hervorragend in die Serie übertragen", so Gutzmer. Es gehe dabei beispielsweise um Gewicht, Lebensdauer, Leistungscharakteristik, Thermodynamik oder Kühlung. "In der Formel E haben wir beispielsweise mit den Spezialisten unserer Tochter Compact Dynamics innerhalb kürzester Zeit drei verschiedene Antriebsstrang-Konzepte realisiert. Diese Truppe wird auch die Entwicklung unserer Serienprodukte zur Elektrifizierung des Antriebsstrangs mit vorantreiben."
Dafür gebe es eine Reihe von Beispielen: "So haben wir viel über den Grundaufbau des Antriebs, das Wirkprinzip des E-Motors, das Kühlkonzept, die Anordnung der Magnete, die funktionale Anbindung der Batterie, die Software-Steuerung oder auch die Rekuperation von Energie gelernt. Und das alles im Renntempo", so Gutzmer. Und auch die Geschwindigkeit der Umsetzung sei eine Erfahrung von großem Wert.
Bosch: "Rennsieg ist Werbung für unserer Produkte"
Der Motorsport hat bei Bosch eine lange Tradition. Bereits seit 1901 sind Rennfahrer mit Bosch-Technik weltweit unterwegs. Seit Anfang der Firmengeschichte nutzt der Zulieferer den Motorsport als Härtetest für seine Komponenten und Produkte, die später in Serie gehen. "Für uns ist ein Rennsieg die glaubwürdigste Werbung für die hohe Qualität unserer Produkte", erklärt Klaus Böttcher, Leitung Bosch Motorsport.
Bosch Motorsport, seit 2003 als Teil des Entwicklungsdienstleisters Bosch Engineering, beliefert sowohl komplette Rennserien (von Clubsport bis zur Formel 1), als auch einzelne Teams im professionellen Motorsport (Rennwagen und Motorrad).
Stetiger Wissens- und Erfahrungsaustausch
Das Produktportfolio deckt dabei die gesamte Produktpalette mit Elektrik, Elektronik und Hydraulik für Motor und Fahrwerk ab. Erweitert wird das Angebot um eine eigenentwickelte Software zur Programmierung, Simulation und Datenauswertung. "Jeder Endkunde profitiert von den Erfahrungen, die wir seit Jahrzehnten im Extremeinsatz unserer Komponenten im Motorsport gesammelt haben", so Böttcher.
Nach Angaben des Zulieferers findet zwischen den Extrempolen Motorsport und Serie ein stetiger Wissens- und Erfahrungsaustausch statt. So profitiert die Serie vom Motorsport und der Motorsport von der Serie, auch wenn die Zielsetzungen weit auseinanderliegen: Kurzzeitige Extremleistung ohne primären Fokus auf die Kosten kontra kostengünstige Lösungen mit möglichst produktlebenslanger Haltbarkeit.
Dabei haben in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Komponenten und Produkte ihren Weg vom Rennwagen ins Serienfahrzeug geschafft. Prominente Beispiele sind das Fahrerassistenzsystem ABS sowie das Halogenlicht. Die Benzindirekteinspritzung oder das Common Rail Dieselsystem sind hingegen von der Serie auf die Rennstrecke übernommen worden.
Eberspächer: Vom Konzept bis zur Auslieferung
Seit mehr als 30 Jahren engagiert sich die Eberspächer Prototechnik im Motorsport. Die Manufaktur am Standort Schwäbisch Gmünd wurde 2015 erweitert und stellt Produkte für den Motorsport sowie Prototypen für die Erprobung, die Vorserie und Sonderserien her. Das aktuelle Motorsport-Portfolio umfasst hauptsächlich Einzelkomponenten für Abgasanlagen.
Zum Kundenkreis gehören die Motorsportabteilungen fast aller namhaften europäischen Automobilhersteller. "Die meisten Projekte begleiten wir vom Konzept bis zur Auslieferung. Je nach Anforderung werden die dreidimensionalen Komponentendaten des Kunden in ein fertiges Bauteil umgesetzt oder das komplette virtuelle und reale Bauteil für den vorhandenen Bauraum entwickelt und gefertigt", erklärt Jens Müller, Leiter Eberspächer Prototechnik.
Technologietransfer in beide Richtungen
Zum Portfolio zählen zum Beispiel extrem dünnwandige Abgasanlagen mit teilweise nur noch 0,5 Millimetern Wandstärke oder extrem leichte beziehungsweise feste Bauteile aus den Werkstoffen Aluminium, Titan sowie Inconel.
Der Zulieferer engagiert sich im Motorsport, weil es einen Technologietransfer in beide Richtungen gibt. "Als Technologiezentrum für Leichtbau innerhalb der Eberspächer Gruppe widmen wir uns beispielsweise der Erforschung und Vorentwicklung von alternativen Werkstoffen, neuartigen Konzepten oder innovativen Fertigungsverfahren wie der Dünnwand-Fügetechnik. Diese Erkenntnisse fließen in alle Motorsportprojekte mit ein und führen Eberspächer Prototechnik gemeinsam mit den Kunden zu neuen Lösungsansätzen", erläutert Müller.
Verfahren wird für die Serienfertigung geprüft
So nutzt das Unternehmen die Erfahrungen aus dem Motorsport für Produkt- und Prozessentwicklung im Bereich Sonderserien. "Ein echter Technologietransfer", erklärt Müller. Der Motorsport stelle extreme Anforderungen an die Belastbarkeit und Zuverlässigkeit der Produkte. Für den Manager ist das ein ideales Feld, um Innovationen schneller zu entwickeln und zu erproben.
Der Unternehmensbereich untersucht, ob und in welcher Form die Werkstoff-, Konstruktions- oder Prozesserfahrungen aus dem Motorsport sich in sportlichen Serienfahrzeugen auch für Großserienprodukte umsetzen lassen.
Beispielsweise wurden Bauteile zunächst für den Motorsport im SLM-Verfahren (selective laser melting) hergestellt. Dieses Verfahren finde mittlerweile beim Prototypenbau vermehrt Anwendung. "Wir sind in Überlegungen, dieses auch für Sonderserien einzusetzen", erklärt Müller. Leichtbau-Abgasanlagen mit extrem geringen Wandstärken von 0,6 bis 0,8 Millimeter finden in Serienprodukten bereits Anwendung.
ZF Friedrichshafen
Der Zulieferer ZF Friedrichshafen beliefert über seine Tochtergesellschaft ZF Race Engineering viele Teams und Rennserien weltweit. Die Bandbreite der technischen Kooperationen umfasst dabei beispielsweise Teams in der Formel 1, der Rallye Dakar, den 24 Stunden von Le Mans, der DTM sowie weiteren Rennserien und Markenpokalen in Europa, USA, Japan und Australien.
Das Produktspektrum beinhaltet hauptsächlich Kupplungen und Stoßdämpfer, aber auch Getriebe, Brems- und Lenkungskomponenten. In der elektrisch angetriebenen Formel E ist ZF als Technologiepartner des Venturi Formula E Team engagiert und liefert ab der kommenden Saison einen elektrischen Antriebsstrang mit E-Maschine, Getriebe, Inverter und Leistungselektronik.
Ansätze, die es in der Serienentwicklung so nicht gibt
Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Rennsport fließen in die Entwicklungen für die Automobilindustrie ein. "Allerdings weniger in Form konkreter Produkte, die ihren Weg vom Einsatz im Motorsport direkt in die Serie finden, sondern vielmehr in Bezug auf den Einsatz und die Anwendung besonderer Materialien sowie hoch spezialisierter Fertigungsprozesse", erklärt Norbert Odendahl, Leiter der ZF Race Engineering.
Insbesondere die Entwicklung eines elektrischen Antriebsstranges für die Formel E erlaube derzeit viele Rückschlüsse für kommende Projekte in der Serienbelieferung. "Extreme Anforderungen hinsichtlich Bauraum und Gewicht erfordern dabei Wege und konstruktive Ansätze, die bislang in der Serienentwicklung von Hybridmodulen bei ZF so noch nicht zum Einsatz gekommen sind", erläutert Odendahl.
Starkes Zeichen für die Kunden
Doch das Engagement lohnt sich. "Nirgendwo zeigt sich die Leistungsfähigkeit und Technik-Kompetenz eines Unternehmens für jeden so nachvollziehbar wie im Motorsport", so Odendahl.
Denn höchste Belastungen unter extremen Einsatzbedingungen verlangten qualitativ hervorragende Produkte mit hoher Dauerhaltbarkeit. "Wenn unsere Produkte es im Rennsport schaffen, zu siegen und zum Gewinn von Weltmeisterschaften beizutragen, dann ist das auch ein starkes Zeichen für unsere Kunden."
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