Bisweilen schreibt das echte Leben die besten Drehbücher. Oder war diese technische Panne etwa fest eingeplanter Teil der Choreografie? Fakt ist, dass die weltweit mit Spannung erwartete Vorstellung des Geländewagens Urus von Lamborghini vor Ort in der Festhalle auf dem Apennin eine überraschende Unterbrechung des vorgesehenen Programmablaufs enthielt. Und dass der Livestream für Zuhausegebliebene und Spätheimkehrer für etwa zehn Minuten nicht zur Verfügung stand.
Zum Auftakt des Spektakels am Stammsitz in Sant'Agata Bolognese hatte alles perfekt funktioniert. Die orchestrale Performance der italienischen Nationalhymne etwa war ohne Misstöne über die Bühne gegangen. Das Protokoll vermerkte: "Feierliche Stimmung im Saal". Mal ganz nebenbei: Man male sich aus, die süddeutsche VW-Marke Porsche stellt eines gar nicht so fernen Tages ihren neuen Stromer Mission E im Serientrimm vor – und Vorstandschef Oliver Blume erhebt sich mit Kollegium und Gästen, um "Einigkeit und Recht und Freiheit" zu lauschen. Tja, stolz und selbstbewusst sind sie, die Italiener. Die Fußball-WM in Russland – nein, das tut hier nichts zur Sache. Schnell zurück zu Lamborghinis Liveact.
Nach allerlei bodenturnerischer Artistik einer schwarz gewandeten Tänzertruppe zu bombastischer Beschallung hatte Produktionschef Ranieri Niccoli über die Vorzüge des hochmodernen Fertigungskonzepts für den neuen Urus referiert. In einem begleitenden Video waren die neuesten Industrieroboter von Kuka im Einsatz zu sehen. Kollaboratives Arbeiten steht an in der Urus-Montage, mit etlichen Mensch-Maschine-Schnittstellen. "Wir bei Lamborghini lieben Herausforderungen", hob Führungskraft Niccoli mehrmals hervor.
Nun, eine solche sollte sich alsbald ergeben. Plötzlich nämlich brachen Sound und Lichteffekte ab, die Urus-Bühne wurde dunkel, hektische Betriebsamkeit brach aus. Über Lautsprecher bat der Conferencier, sich doch bitte mit einem Cocktail zu erfrischen, bis die technischen Schwierigkeiten gemeistert seien. Die Simultan-Dolmetscherin geriet ins Stottern, zumindest die für den deutschen Part eingeteilte Dame. Und der Livestream im Internet brach ab. Stattdessen wurde eine Art futuristisches "Sendezeichen" eingeblendet.
Licht aus, Spot(t) an
Doch Lamborghini wäre nicht der Hersteller bisweilen so divenhafter wie stets kraftstrotzender Supersportwagen und Stefano Domincali nicht der allseits anerkannte CEO des Labels mit dem Kampfstier im Logo, wenn in Italien auf ein plötzliches Problem nicht sofort eine improvisiert-charmante Lösung zur Verfügung stünde. Und so entschuldigte sich Domenicali beim anwesenden Ministerpräsidenten nebst weiteren Honoratioren für den "kleinen Spaß" und ließ einen signalgelben sowie einen silbrig-grauen Urus vorzeitig auf die Bühne brummen.
Nun musste Maurizio Reggiani, der Entwicklungschef, improvisieren und die Technik des schnellsten Serien-SUV der Welt (der Urus schafft 305 km/h und fährt damit Kreise um den Cayenne; Anm. d. Red.) ohne Charts auf dem Großbildschirm hinter sich erläutern. Und das machte er souverän. Mit mildem Spott an die eigene Adresse. "Lamborghini überwindet jedes Hindernis", sagte Reggiani in der Passage über den Allradantrieb des Urus – seine augenzwinkernde Anspielung auf die Premieren-Panne war bis nach Norddeutschland zu sehen. Bei einem Kameraschwenk über das Publikum geriet kurz Rupert Stadler ins Bild. Der Audi-Vormann und Lamborghini-Mentor hatte gerade seine Brille abgesetzt – und rieb sich verblüfft die Augen.
War auch das gezielte Dramaturgie, ein inszenierter Kniff der Regie? Egal. Spaß hat es den Zuschauern und -hörern so oder so bereitet. Ein Lamborghini war nie so makellos wie ein Porsche, und absolute Perfektion erwartet auch keiner von den Boliden aus der Nähe Bolognas. Extrem und extrovertiert sind die Flundern von der Via Modena, 12. Der Aventador, der Huracán, nun obendrein der neue Geländewagen. Und irgendwie ehrlich auf ihre bullige Weise. Da haben die Zeremonienmeister der Urus-Uraufführung keine Ausnahme gemacht. Panne hin, Urus her.
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